Zeit des Übergangs
Bulletin - Heft 127 (2024)
Inhaltsverzeichnis
EDITORIAL
Bernard Lorent Tayart OSB
PERSPEKTIVEN
Rede auf dem Äbtekongress in Sant‘Anselmo/Rom
Jean-Pierre Longeat OSB
Rede auf dem Äbtekongress in Sant‘Anselmo/Rom
Gregory Polan OSB
Jeremias Schröder – neuer Abtprimas der Benediktinerkonföderation
Vatican News
REFLEXION
Autorität und Freiheit. Oberenkurs für den Zisterzienserorden
Mauro Giuseppe Lepori OCist
ÖFFNUNG ZUR WELT
Indiens aktuelle Situation auf der internationalen Bühne: ein unumgänglicher Akteur
Jean-Pierre Longeat OSB
ZEUGNIS
Ein vertieftes Glaubensverständnis dank der Mystik des Orients und Okzidents (Jules Monchanin, Henri Le Saux, Bede Griffiths) Dorathick Rajan OSB Cam
LITURGIE
„Wir brauchen eine ernsthafte und belebende liturgische Bildung“
Patrick Prétot OSB
ZEUGEN FÜR DAS MONASTISCHE LEBEN
Notker Wolf OSB – Missionsbenediktiner von Sankt Ottilien
Cyrill Schäfer OSB
Abschied von Notker Wolf. Predigt beim Requiem
Jeremias Schröder OSB
Lazare Hélène de Rodorel de Seilhac OSB (1928-2023)
Marie-Madeleine Caseau OSB & Fabienne Hyon OSB
NACHRICHTEN
Reise nach Indien
Jean-Pierre Longeat OSB
Reise in den Togo
Jean-Pierre Longeat OSB
Bericht vom Treffen der Klosteroberen im französischsprachigen Westafrika
Thérèse-Benoît Kaboré OSB
Chronik des 21. Generalkapitels der Kongregation von Subiaco und Montecassino
Josep Enric Parellada OSB
Leitartikel
Im Juni dieses Jahres ernannte mich Abtprimas Gregory Polan nach Rücksprache mit den zuständigen Gremien zum Präsidenten der AIM als Nachfolger von Abt Jean-Pierre Longeat, der damit elf Jahre wertvollen Dienstes für die benediktinischen Ordensfamilien beendet. Die offizielle Bekanntgabe meiner Ernennung erfolgte auf dem letzten Äbtekongress, der vom 10. bis 20. September 2024 in Rom stattfand. Ich werde mein Amt als Vollzeitkraft ab dem 1. Januar 2025 antreten, da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch Abt von Maredsous bleibe.
Um diese Ernennung zu begründen, dürften folgende Überlegugenen eine Rolle gespielt haben: Ich bin seit April 2002 Abt von Maredsous und war mit auch Leiter des Priorats Gihindamuyaga in Ruanda bis zu dessen Autonomie im Jahr 2018; ich gehöre der Kongregation von der Verkündigung an, die international und auf mehreren Kontinenten vertreten ist; ich bin zusammen mit Erzbischof Sayaogo, Erzbischof von Koupéla in Burkina Faso, Ko-Vorsitzender der Internationalen Stiftung Religionen und Gesellschaften, die in Afrika den Bildungspakt von Papst Franziskus und die Aufnahme afrikanischer Priester und Ordensleute in Europa fördert; schließlich ist meine Wahrnehmung der Kirche universalistisch und ich staune immer wieder darüber, wie Christus spricht und sich durch so kostbare und unterschiedliche Gesichter, Hände und Herzen ausdrückt.
Auf dem Äbtekongress kristallisierten sich am Ende unserer Debatten zwei Themen heraus: die Klöster, die an Konfliktorten präsent sind, und der Jahrestag der Gründung der Abtei Montecassino im Jahr 529.
Mehrere Abteien und Priorate befinden sich nämlich in Konfliktgebieten: im Heiligen Land, in der Ukraine, in der Demokratischen Republik Kongo, in mehreren Ländern der Sahelzone, in Venezuela und in anderen Regionen. Unsere Gemeinschaften teilen die Angst der Bewohner, organisieren aber auch die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen. Wie können unsere Brüder und Schwestern, die in diese Konfliktsituationen verwickelt sind, die Stimme des Friedens zum Ausdruck bringen, die dem heiligen Benedikt so sehr am Herzen liegt? Andere Klöster befinden sich in Konfliktzonen mit der Natur: Die Abtei Valyermo in Kalifornien war erst kürzlich so stark von Bränden bedroht, dass die gesamte Gemeinschaft evakuiert werden musste. Die Umweltfrage wird noch lange aktuell bleiben.
In fünf Jahren wird die Abtei von Montecassino den 1500. Jahrestag ihrer Gründung im Jahr 2029 feiern. Man sollte sich also darauf vorbereiten, denn dieses Jubiläum ist auf mindestens drei Ebenen symbolisch. Die vom heiligen Benedikt gegründete Abtei war bis zu ihrer Zerstörung im Jahr 1943 mehrfach vom Krieg betroffen. Sie ist daher mit der Problematik von Abteien verbunden, die inmitten von Konflikten leben. Die Abtei wurde 529 gegründet und übernahm den kulturellen Auftrag der im selben Jahr aufgelösten Neuplatonischen Schule in Athen. Sie ist damit ein starkes Symbol für die Übertragung von Werten zwischen der Antike und dem Christentum. Unsere Zeit erlebt heute dieselbe Spannung und fordert uns auf, darüber nachzudenken, ob wir uns in der Position einer Institution einrichten wollen, die stirbt und ihre Werte weitergibt, oder ob wir wieder „grün werden“ (virescit) und der Menschheit Christus anbieten wollen, der immer neu ist. Schließlich kennt die derzeitige Gemeinschaft in Montecassino die Zerbrechlichkeit von zu kleinen Gemeinschaften und das Risiko, nicht mehr weitermachen zu können. Die AIM wird Wege vorschlagen, wie alle Gemeinschaften dieses Ereignis der Niederlassung des heiligen Benedikt in Montecassino, wo er seine Regel schrieb, erleben können.
Wir beginnen auch eine Reflexion über die Rolle der AIM, über die Solidarität, die sie verkörpert und zum Ausdruck bringt, angesichts der Zerbrechlichkeit vieler Gemeinschaften im Norden und der Vitalität vieler Gemeinschaften im Süden. Das Heilige Jahr 2025, das der Hoffnung und dem Vertrauen gewidmet ist, ist die beste Motivation, die wir uns vorstellen können, um uns dabei zu helfen.
Bernard Lorent Tayart OSB
Abt von Maredsous/Belgien – Präsident der AIM
Artikel
Rede auf dem Äbtekongress (J.-P. Longeat)
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Rede auf dem Äbtekongress
Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM 2013-2024
Rede auf dem Äbtekongress
in Sant’Anselmo/Rom
Nach elf Jahren als Präsident von AIM freue ich mich, dieses schöne Amt an einen kompetenten und unternehmungslustigen Abt weitergeben zu können, der die Bemühungen um Offenheit und Austausch, die mit der Arbeit dieser Organisation untrennbar verbunden sind, fortsetzen wird.
Es war mir eine besondere Freude, an diesem Werk mitzuwirken, das Benediktiner-, Zisterzienser- und Trappistengemeinschaften, Männer und Frauen auf der ganzen Welt miteinander verbindet. Dies stellt ein beeindruckendes Netzwerk von rund 1800 Gemeinschaften dar. Weitere Einzelheiten zu diesem Werk finden Sie auf der kürzlich erneuerten AIM-Website (https://www.aimintl.org/).
In einer so unbeständigen Welt wie der unseren sind übergreifende Strukturen, die es ermöglichen, in Netzwerken zu agieren, unerlässlich. In diesem Sinne hat die AIM das Entstehen und die Vitalität regionaler monastischer Vereinigungen auf allen Kontinenten gefördert. Diese ermöglichen es den Oberen, Ausbildern und jungen Mönchen und Nonnen, von wertvollen Orten der Abstimmung, des Austauschs und der Ausbildung zu profitieren. Natürlich sind die Orden und Kongregationen seit jeher dafür aktiv, aber oftmals reicht dies aufgrund mangelnder Erneuerung, struktureller Probleme oder aufgrund eingefahrener Gewohnheiten nicht aus. Deshalb kann die AIM, obwohl sie keine hierarchische Aufgabe hat, in Freiheit andere Funktionsweisen fördern, die von den jungen Gemeinschaften sehr geschätzt werden.
In den letzten 60 Jahren gab es viele klösterliche Neugründungen (ca. 600). Dabei ist allerdings in den letzten zehn Jahren die Zahl der Gründungen von weltweit zehn pro Jahr auf etwa drei pro Jahr gesunken. Dabei entfällt der Großteil der Unterstützungsanträge, die AIM erhält, auf den Bildungsbereich, auch wenn es immer noch Anträge für neue oder renovierungsbedürftige Gebäude oder gewinnbringende Aktivitäten gibt. Es ist klar, dass nun alle Neugründungen gefestigt werden müssen und mit einem soliden Fundament fortbestehen sollen.
Die AIM hilft den Klöstern auch bei ihren Entwicklungsprojekten, die ihnen selbst und der lokalen Bevölkerung zugutekommen. Wir haben eine von der Caritas begleitete Stiftung, die Benedictus-Stiftung, gegründet, um all diese Projekte zu begleiten und Spenden und Vermächtnisse entgegenzunehmen, die von Steuerabzügen profitieren können.
Einige Regionen bleiben in monastischer Hinsicht besonders lebendig, etwa in Asien oder Afrika, während andere auf diesen Kontinenten bereits beginnen, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Nachwuchs zu haben. Viele Länder sind mit dem Phänomen der Säkularisierung konfrontiert – insbesondere in Lateinamerika – und mit der „Konkurrenz“ evangelikaler Gemeinschaften, die dem Katholizismus den Rang ablaufen. All dies schafft neue Kontexte, auf die die Klöster reagieren müssen.
Vielerorts kann man eine Zunahme der Verbindung zu Laien feststellen. Dies ist keine neue Realität für das monastische Leben, da das Phänomen der Konversen, Oblaten, Donaten, Familiaren usw. in verschiedenen Formen schon immer berücksichtigt wurde; heute stellt sich diese Frage in Anlehnung an die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils neu. Es wäre ein schwerer Fehler, dies nicht berücksichtigen zu wollen.
In den Jahren meiner Amtszeit als Präsident wurden von unserem Internationalen Team mehrere Dokumente entwickelt, die den Gemeinschaften helfen sollen: darunter der „Klosterspiegel“, der „Klostertraum“ und vor kurzem die Antworten auf einen Fragebogen über den Zustand des monastischen Lebens heute. Dies entspricht dem Auftrag, den die AIM erhalten hat, eine Beobachtungsstelle für das monastische Leben zu sein. Zu diesem Zweck wurde das internationale Team verjüngt, das AIM-Sekretariat wurde um eine indische Schwester erweitert und wird bald zusätzlich um eine Schwester aus Burkina Faso vermehrt werden (vielen Dank an die Schwestern Gisela Happ, Mary-Placid Dolores und Christine Conrath, die das Sekretariat während meiner Amtszeit betreut haben); viele Mitglieder des Rates und des Exekutivausschusses sind neu im Amt. Ich freue mich, meinem Nachfolger und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine lebendige Organisation zu hinterlassen, die bereit ist, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen.
Meine letzten Worte sind sowohl ein großes Dankeschön für Ihren menschlichen, spirituellen und wirtschaftlichen Beitrag zu diesem großartigen Unternehmen als auch ein Aufruf, in Sachen Solidarität immer besser und mehr zu tun. Unser schönes klösterliches Netzwerk ist zu großen Dingen fähig, wenn es zusammenhält. Bitte bleiben Sie solidarisch miteinander und gehen Sie immer auf die Bedürfnisse der ärmsten Gemeinschaften ein, die oft auch die jüngsten und dynamischsten sind.
Gott sei gesegnet und in allen Dingen verherrlicht.
Rede auf dem Äbtekongress (Gregory Polan)
2
Perspektiven
Gregory Polan OSB
Abtprimas 2016-2024
Rede auf dem Äbtekongress
in Sant’Anselmo/Rom
10. September 2024
Acht Jahre sind vergangen, seit wir uns zum letzten Mal als Gemeinschaft der Benediktineräbte zusammengefunden haben. Viele wichtige Fragen haben sich für unsere Welt, unsere Kirche und unseren Benediktinerorden gestellt. Wir waren und sind weiterhin mit einer Welt konfrontiert, die durch Krieg, Gewalt, Tod auf vielen Ebenen und Äußerungen von Extremismus gespalten ist. Ebenso hat unsere Kirche, von der ich glaube, dass wir ein wichtiger Teil davon sind, Zeiten des Leidens und der Heilung, der Demütigung und der Ehre, des Todes und des neuen Lebens durchlebt. Und unsere Kirche hat uns neue Wege für die Zukunft aufgezeigt, hin zu einer erneuten Hingabe an Christus und die Wahrheiten des Evangeliums. Dies wird immer durch unsere Fähigkeit bereichert werden, auf synodale Weise miteinander in Beziehung zu treten. Ähnlich wie unsere Kirche hat auch unser Benediktinerorden damit zu kämpfen, sich der Realität kleinerer Gemeinschaften, weniger Berufungen in vielen Teilen der Welt und der Suche nach tieferer Weisheit zu stellen, um neue Wege der Ausbildung innerhalb unserer Gemeinschaften auf allen Ebenen zu finden, auch für uns selbst als Äbte und leitende Mitglieder in unseren Gemeinschaften. Doch wenn wir über unsere Herausforderungen sprechen – sind diese nicht auch ein Anreiz, unser benediktinisches Leben auf allen Ebenen zu erneuern? Sind unsere Probleme nicht Wege nach vorne, um uns zu verpflichten, in unseren Sorgen einen Plan zu sehen für die kontinuierliche und fortlaufende Erneuerung unseres Benediktinerordens, unserer Mission in Christus und unsere Einladung, den benediktinischen Geist lebendig, gut und gesund zu erhalten? Unser Engagement für das einfache, aber tiefgründige Motto „ora et labora“ bietet uns zahlreiche Möglichkeiten, wie wir sehen können, wie der Benediktinerorden als kreativer und hoffnungsvoller Führer in der Kirche voranschreiten kann, und wie wir unsere Kirche und unsere Welt durch die Dinge berühren können, die die Benediktiner im Laufe der Jahrhunderte ausgezeichnet haben: Liturgie, Gebet, Stille, Zuhören, Kontemplation, Dialog, Ökumene. Mäßigung, Demut, Gehorsam und Gastfreundschaft.
Meine Absicht bei der Konferenz dieses Morgens ist es nicht, die Welt der Benediktiner für Sie zusammenzufassen. Das ist die Aufgabe der Mitglieder der Synode der Äbte, die sowohl Berichte als auch kurze Vorträge vorbereitet haben, die wir in den kommenden Tagen hören werden. Vielmehr möchte ich zu Ihnen als Bruderabt sprechen, der die Aufgabe übernommen hat, Abt zu bleiben, während er an diesem einzigartigen und wunderbaren Ort hier in Sant’Anselmo in Rom lebt und arbeitet. Ich kann sagen, und werde morgen, wenn ich über die Aufgaben des Abtprimas spreche, näher darauf eingehen, dass dieser Dienst sich erheblich von meiner vorherigen Erfahrung als Abt von Conception Abbey im Herzen der Vereinigten Staaten unterscheidet. Ich danke Ihnen, meine Mitbrüder im Amt, aufrichtig dafür, dass Sie mich zu dieser gegenwärtigen Verantwortung in Sant’Anselmo berufen haben, um den Benediktinerorden an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt zu vertreten. Gleichzeitig kann ich sagen, dass es mich sowohl in meinen gottgegebenen Talenten als auch in der Entwicklung ungenutzter Fähigkeiten auf die Probe gestellt hat, die für das Wohlergehen der Menschen in Sant’Anselmo und in verschiedenen Situationen in Klostergemeinschaften auf der ganzen Welt erforderlich sind. Es hat meine Fähigkeiten erweitert, aber mir auch meine Schwächen aufgezeigt und mich herausgefordert, mich auf eine Weise weiterzuentwickeln, die mein spirituelles Wachstum vertieft, meinen Horizont erweitert und mir ermöglicht hat zu sehen, wie unserem Benediktinerorden sowohl der Männer als auch der Frauen eine wunderbare Zukunft vorherbestimmt ist, in der unser Dienst an anderen sie durch den Geist Benedikts zu Christus führt.
Während meiner Zeit als Abtprimas und während ich in Sant’Anselmo lebte, habe ich eine spirituelle Freundschaft mit den frühesten Gründern von Klöstern, den Vätern und Müttern der Wüste, entwickeln können. Diese Männer und Frauen begaben sich im vierten Jahrhundert nach dem Edikt Konstantins des Großen in die palästinensische und ägyptische Wüste. Sie begaben sich auf die Suche nach der menschlichen Seele und insbesondere nach ihrer eigenen Seele. Ihre Einsamkeit bot den Raum für ein intensives Nachsinnen, das sie zu Einfachheit und Tiefe führte, zu eindringlichen Texten und Worten der Autorität, die ihrer Zeit entsprachen; und sie hinterließen ein Vermächtnis, das uns noch heute anspricht. Obwohl sie selten lange Passagen aus den heiligen Schriften zitierten, wurden sie vom Heiligen Geist geformt, der im göttlichen Wort der heiligen Schriften wohnte. Die heiligen Schriften waren in ihren Knochen und ihrem Blut, in ihrem Geist und ihrem Herzen. Konstantin hatte dem Christentum zwar die Freiheit der Meinungsäußerung gewährt, doch diese Mönche der Wüste waren auf der Suche nach einer Freiheit, die ihnen die Augen öffnete, um tiefer zu sehen, die Ohren, um tiefer zu hören, und die Herzen, um offener zu empfangen, wie der Heilige Geist sie in Fragen, über die sie intensiv nachdachten, leiten würde. Ihre Flucht in die Wüste sollte sie an den Ort ihrer Vorfahren im Glauben führen, wo Gott zu ihren Herzen auf ungeteilte und verwandelnde Weise sprach, was eine wahre Bekehrung des Herzens bewirkte. Die Prophezeiung des Hosea war ihre Inspiration: „Ich will sie (Israel) nun locken und in die Wüste führen und ihr zu Herzen reden“ (2,16). Als ihre Zahl wuchs, kamen neue und jüngere Suchende mit Fragen, um den Weg zu Gottes Willen zu finden. Ihre Fragen und Geschichten offenbaren uns die Intensität der Weisheit, die sie durch menschliche Erfahrung und Leid erlernt hatten.
Es gibt viele schöne Sammlungen von Schriften, die die Sprüche unserer Wüstenväter enthalten. Eine davon war besonders hilfreich, um auf Schlüsselthemen hinzuweisen, die in ihren Schriften immer wieder auftauchen. Es handelt sich um Douglas Burton-Christies „The Word in the Desert“ (Oxford 1993). Das Lesen der Wüstentradition ist fast wie das Lesen des Buches der Sprüche. Die kurzen und prägnanten Sprüche zwingen uns, innezuhalten und darüber nachzudenken, was der Autor uns mitteilen möchte. Ich glaube jedoch nicht, dass eine oberflächliche Lektüre dieser Texte ausreicht. Wir können uns dabei leicht langweilen und die Aufgabe einer langsamen und sorgfältigen Lektüre dieser Sprüche aufgeben, die mit der spirituellen Aufgabe der lectio divina verglichen wird. Es ist die genaue, langsame und tiefgründige Lektüre der biblischen Texte, die uns, unser Herz und unseren Geist weiter formt. Ich möchte vier dieser Kernpunkte näher betrachten: 1) die Bedeutung der Selbsterkenntnis; 2) die Bedeutung der Geduld; 3) eine tiefe Kenntnis der Psalmen und 4) geistliche Vaterschaft und brüderliche Liebe. Dies sind Worte aus einer alten klösterlichen Tradition, die in einem ganz anderen Stil als unserem eigenen sprechen, aber sie haben auch heute noch etwas zu sagen, auch für diejenigen, die unsere klösterlichen Gemeinschaften bilden.
Die Bedeutung der Selbsterkenntnis
Abt Poemen sagt, dass der Text aus Ps 55(54),23 sowohl für den Mönch als auch für den geistlichen Vater von wesentlicher Bedeutung ist: „Vertraue deine Sorgen dem Herrn an, und er wird dich unterstützen. Er wird niemals zulassen, dass der Gerechte stolpert.“ Abt Poemen nimmt diesen Vers des Psalms und ändert ihn so, dass er lautet: „sich vor Gott hinwerfen; sich selbst und seine Sorgen vor Gott hinwerfen.“ Für Poemen befähigt uns nichts Geringeres als die völlige Abhängigkeit von Gott dazu, uns so zu sehen, wie wir wirklich sind. Wenn wir nichts haben, auf das wir uns verlassen können, bei dem wir uns sicher fühlen können, bringt uns das an einen Punkt, an dem wir uns der Dinge beraubt sehen, die uns eine falsche Vorstellung davon vermitteln, wer wir in dieser Welt sind. Diese Selbsterkenntnis entsteht, wenn wir uns Gott vollkommen ausgeliefert fühlen. Die Wüstentradition behandelt die Bedeutung der Selbsterkenntnis so, dass sie als etwas bestätigt wird, das in unserem Leben immer wieder auftaucht. Sobald wir glauben, an dem Punkt angekommen zu sein, an dem wir anerkennen, wer wir sind, was an uns einzigartig ist (sowohl positiv als auch negativ), welche Schwächen uns auszeichnen, wird uns klar, dass diese Praxis, „uns selbst und unsere Sorgen auf den Herrn zu werfen“, ein lebenslanger Prozess ist. Jeden Tag gibt es Situationen, in denen unsere Einzigartigkeit vor Gott uns daran hindert, mit der inneren Freiheit zu leben, die den Mönch, den Abt, auszeichnet.
Doch das völlige Vertrauen auf Gott stärkt uns, mit einer inneren Freiheit zu sehen, die uns zu einem richtigen Urteil befähigt. Das ist nicht immer einfach. Es ist jedoch sehr befreiend, wenn wir vor einem Problem stehen, das unsere sorgfältige Einsicht erfordert, und uns dann unsere innere Freiheit den Weg weist, dem wir folgen sollen. Wenn es wahre Selbsterkenntnis gibt, sieht man klarer, wie man beurteilt, was richtig oder falsch, nützlich oder unnütz ist. Wenn wir allein vor Gott stehen, ohne die Hilfe einer Person oder eines Gedankens, erkennen wir, wer wir sind, und haben die Freiheit, das Leben und all seine Komplexitäten mit einer Vision zu sehen, die sicher, zuversichtlich und aufrecht oder gerecht ist. Dies geschieht nicht über Nacht. Die Verwirklichung der inneren Freiheit kommt mit Jahren, in denen man das Leben aus der Perspektive der eigenen völligen Abhängigkeit von Gott betrachtet, während man gleichzeitig mit dem Heiligen Geist als Führer lebt.
In der Praxis entsteht eine Situation, die eine gewisse Bedeutung hat, weil sie das eigene Leben betrifft, insbesondere das Leben eines anderen in Not, einer menschlichen Seele. Wenn man jedoch über diese Selbsterkenntnis und innere Freiheit verfügt, ist einem klar, für welchen Weg man sich entscheiden muss, und man tut es. Es ist nicht unbedingt einfach, aber man ist sich dessen sicher, weil man durch die Gnade Gottes innere Freiheit erlangt hat und offen für die Stimme des Heiligen Geistes ist. Das alte Sprichwort „Sei dir selbst treu“ zeugt von dieser Selbsterkenntnis und inneren Freiheit.
Die Bedeutung von Geduld
Heutzutage, wo das Leben so schnelllebig ist und wir sofortige Ergebnisse erwarten, sind wir oft auf unterschiedlichen Ebenen frustriert. Als ich aufwuchs, sagte meine Mutter immer zu mir: „Denk daran, Geduld ist eine Tugend.“ Inzwischen habe ich erkannt, wie wichtig es für alle Menschen in unserer heutigen Welt ist, in dieser Tugend zu wachsen. Zu oft verlassen wir uns ausschließlich auf die menschlichen Anstrengungen der anderen, um Dinge zu erreichen. Und doch ist es für uns als Äbte und geistliche Väter von Gemeinschaften etwas, wofür wir beten, nachdenken und Geduld aufbringen müssen, nämlich die Aufgabe, menschliche Herzen zu formen. Denn letztlich ist es Gott, der menschliche Herzen auf eine Weise formt und gestaltet, die weitaus wunderbarer ist als alles, was wir selbst tun könnten. Und oft hat die große Weisheit Gottes etwas viel Tieferes und Bedeutenderes, als wir bei unseren Bemühungen je erreichen könnten. Aber wir müssen warten, und während wir warten, müssen wir geduldig sein, damit Gott mit seiner Gnade etwas weitaus Bedeutenderes vollbringen kann, als wir es uns je hätten vorstellen können. Geduld wird uns diese Wahrheit des christlichen Lebens immer wieder vor Augen führen. Hören wir etwas aus der Wüstentradition, das dies zum Ausdruck bringt.
„Als der heilige Abba Antonius in der Wüste lebte, verfiel seine Seele in Müdigkeit und Gedankenverwirrung, und er begann zu Gott zu sagen: ‚Herr, wie sehr wünsche ich mir, geheilt zu werden, und meine Gedanken würden mich nicht so sehr leiden lassen. Was soll ich in dieser Trübsal tun, wie soll ich geheilt werden?‘ Nach einer Weile stand er auf und ging ins Freie, wo er jemanden sah. Zuerst dachte er, es sei er selbst, der da sitzt und arbeitet, sich dann von dieser Arbeit erhebt und betet, sich wieder hinsetzt und eine Krone aus Palmblättern flechtet und sich dann wieder zum Gebet erhebt. In Wahrheit war dies ein Engel des Herrn, der zu Antonius gesandt wurde, um ihn zu tadeln und zu warnen. Bald darauf hörte er eine Stimme, die zu ihm sagte: ,Tu dies, und du wirst gesund werden: Sei geduldig.‘ Als Abba Antonius diese Worte hörte, schöpfte er große Freude und Mut aus dieser Ermahnung. Und indem er dies tat, fand er die Erlösung für seine Seele, nach der er suchte und für die er betete.“
Unsere Bereitschaft, geduldig zu sein, wirkt sich sowohl auf den Empfänger als auch auf uns aus. Für denjenigen, der unsere Geduld erhält, ist es ein Segen zu wissen, dass er oder sie respektiert wurde, indem man sich nicht beeilt, ein Problem zu lösen. Wenn man sich Zeit nimmt, um Gedanken, Gefühle und Reaktionen zur Ruhe kommen zu lassen, zeigt man der anderen Person, dass es bei diesem Problem nicht um ein Machtspiel geht, bei dem es darum geht, wer gewinnt. Vielmehr zeigt Geduld, dass unsere Bereitschaft, dem Problem Zeit zu geben, um die richtige Richtung zu bestimmen, ein Zeichen dafür ist, dass die Gnade in uns wirkt. Unsere Geduld kann einem Mitglied der Gemeinschaft als Lehrmeister für jede zukünftige Situation in seinem oder ihrem Leben dienen. Geduld kann ein Band der Verbundenheit zwischen zwei Menschen schaffen, die sich in einer Angelegenheit uneinig waren und schließlich zu einer gemeinsamen Vision der Lösung kommen.
Auf diese Weise bringt unsere Bereitschaft, geduldig zu sein, viele Segnungen mit sich. Zunächst einmal erkennen wir tief in unserem Herzen an, dass es sich um ein Anliegen handelt, in dem Gottes Gnade ihr Wunder der Bekehrung wirken kann. Dies macht uns zu einem Werkzeug des Wirkens Gottes, was uns ein Gefühl von großem Wert geben kann, nämlich ein Werkzeug Gottes zu sein. Zweitens: Jedes Mal, wenn wir die Fürsorge für unsere Brüder oder Schwestern in der Gemeinschaft in Gottes Hände legen, können wir in Geduld darauf vertrauen und abwarten, dass Gott selbst sie auf den von ihm vorbereiteten vollkommenen Weg bringt. Drittens: Manchmal stellen wir fest, dass unser gut gemeinter Plan nicht der Plan Gottes für diesen Bruder oder diese Schwester ist. Oder dass unser erhoffter Plan noch im Geheimnis der Gnade in göttlicher Zeit und nicht in menschlicher Zeit ausgearbeitet wird. Viertens: Geduld, wenn sie immer wieder praktiziert wird, beruhigt unsere Seele und gibt uns den Frieden, der einen Unterschied darin macht, wie wir Menschen im Allgemeinen begegnen, und auch darin, wie sie uns sehen. Ein friedlicherer, ruhigerer und nachdenklicherer Abt ist immer jemand, dem man sich leichter nähern kann und dem wir bereit sind, unser Herz zu öffnen. Und fünftens, und das ist vielleicht am wichtigsten, ahmen wir Gott nach, wenn wir Geduld üben, denn seine unendliche Geduld mit jedem von uns ist einer der größten Segen des Lebens. Wenn wir an die Zeiten zurückdenken, in denen Gott darauf gewartet hat, dass wir geduldig, offen und bereit sind, auf seine göttliche Stimme zu hören, sehen wir, wie gesegnet wir waren. Und wir sind dankbar.
Tiefes Wissen über die Psalmen
Die Psalmen sind unsere täglichen Begleiter. Wir begegnen ihnen drei-, vier- oder fünfmal am Tag, je nachdem, wie die Psalmen in unserer jeweiligen Feier des Stundengebets angeordnet sind. Einige Gemeinschaften rezitieren alle 150 Psalmen in einer Woche; die meisten Gemeinschaften rezitieren 150 Psalmen in zwei Wochen und einige kleinere Gemeinschaften in drei oder vier Wochen, je nach Anzahl der Mönche. Wir sollten uns daran erinnern, dass diese Gebete aus ihren ursprünglichen hebräischen Fassungen ins Griechische, Lateinische, Syrische und Aramäische übersetzt wurden. Die meisten Psalmen finden sich bereits in den Fragmenten der Schriftrollen vom Toten Meer. Diese Sammlung von Gebeten wird seit über 2.500 Jahren sowohl im Gottesdienst als auch im privaten Gebet rezitiert und als Gebetsquelle genutzt. Wissenschaftler, die sich mit der Wüstentradition befassen, stellen fest, dass das Neue Testament in der Wüstentradition am häufigsten reflektiert oder zitiert wird. Wenn die Wüstenväter und -mütter jedoch das Alte Testament zitieren, dann immer aus den Psalmen. Interessant ist, dass bei zitierten Psalmen oft eine Zeile mehrfach wiederholt oder auch umformuliert wird, so als entstamme sie aus ihrem eigenen Beten. Dies geschah, während sie ihre Körbe flechteten oder ihre Seile knüpften.
Wir vernachlässigen es oft, lectio divina zu praktizieren oder über die Psalmen zu meditieren, und doch ist genau das der Kern der Rezitation der Psalmen im Stundengebet und in der Wüstentradition. Die Allgemeine Einführung in das Stundengebet unterscheidet klar zwischen dem „Rezitieren der Psalmen“ und unserem „Beten aus den Psalmen“. In den frühen Ausgaben des Stundengebets nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden kurze Fürbitten eingefügt, die die Psalmen begleiteten. Manchmal wurden sie rezitiert, manchmal still gebetet und manchmal ignoriert. Aber der Punkt ist, dass die Tradition, aus den Texten der Psalmen zu beten, auf die frühe Tradition unseres gemeinsamen Gebets zurückgeht. Die Frage für uns lautet: „Wie rufen die Texte dieser Psalmen das Gebet aus unseren Herzen hervor; wie entfachen die Worte des Psalms ein Feuer in uns, das Gott im Gebet des Herzens anruft?“
Ich erwähne dies, weil wir manchmal die Psalmen ohne jegliche Pause rezitieren, die zum Gebet oder zur Besinnung anregen würde. Die Psalmen sind ebenso wie jedes andere Buch der Bibel das inspirierte Wort Gottes. Gott spricht durch diese Worte zu uns und ruft uns zur Antwort auf. In den letzten Jahren hat die Erforschung der Psalmen gezeigt, dass der allererste Psalm des Psalters ein Tora-Psalm ist, ein Psalm der Unterweisung. Bedeutet dieser Psalm, dass das gesamte Buch der Psalmen mehr ist als eine Sammlung von Gebeten und auch ein Leitfaden für ein rechtschaffenes und gerechtes Leben, im Gegensatz zu Gewalt und Krieg, die unsere heutige Welt durchdringen? Sind es vielleicht gerade die Psalmen, die von Gewalt, Feinden und Hass sprechen, welche uns dazu aufrufen, für diese Notwendigkeit und Absicht für unsere Welt, für unsere Brüder und Schwestern in der Menschheitsfamilie in verzweifelten Situationen zu beten? Ich kann Ihnen sagen, dass der Psalter seit den Tagen meines Noviziats ein ständiger Begleiter für Gebet und Reflexion ist. Er vereint eine Vielzahl unterschiedlicher Gebetsarten, in denen sich unsere Herzen den Kämpfen des Lebens mit Feinden, der Gewalt des Krieges sowie dem tiefen und innigen Lob und dem dankbaren Dank zuwenden. Ich kann nicht genug dazu ermutigen, den Reichtum, den wir im Psalter finden, für unser tägliches Leben, unser tägliches Gebet und unsere tägliche Reflexion über die Bewegungen in unserer heutigen Welt zu nutzen. Lernen Sie den Psalter kennen und lieben, meine lieben Brüder und Schwestern. Ermutigen Sie Ihre Brüder und Schwestern in der Gemeinschaft dazu und diejenigen, die zu uns kommen, um zu beten, sich zurückzuziehen und zu schweigen!
Geistliche Vaterschaft und geschwisterliche Liebe
Beim Lesen der Benediktusregel wird die Rolle des Abtes als geistlicher Vater als das ausgeprägteste Bild desjenigen dargestellt, der die Gemeinschaft leitet. „Sein Befehl und seine Lehre ollen wie Sauerteig göttlicher Heilsgerechtigkeit die Herzen seiner Jünger durchdringen“ (Rb 2,5); der Abt soll allen die gleiche Liebe entgegenbringen und allen die gleiche Disziplin auferlegen, je nach ihren Verdiensten (RB 2,22); „der Abt muss immer bedenken, was er ist, und bedenken, wie man in anredet“ – Vater (RB 2,30). Es gibt noch viele andere Hinweise auf die geistliche Vaterschaft des Abtes, und Sie alle kennen sie gut. Und doch birgt der Titel der geistlichen Vaterschaft einige Gefahren. Wenn er zu stark ausgeübt wird, werden die Mönche wie Kinder behandelt, wie Menschen ohne Verantwortung, Initiative und Intelligenz. Wenn er zu stark betont wird, kann er eine Atmosphäre der Unreife schaffen, die sich negativ auf das Wachstum und die Vitalität der Gemeinschaft auswirkt. Wenn jedoch das Gefühl besteht, dass ein spiritueller Vater an der Spitze der Gemeinschaft steht, entsteht eine Haltung des Wohlwollens, der Wunsch nach dem Wohlergehen aller und eine Richtung für die Zukunft. Jeder muss wissen, dass es jemanden gibt, dessen Leben und Vision auf das Wohlergehen der Gemeinschaft ausgerichtet ist.
Eine der Möglichkeiten, wie geistliche Vaterschaft ein gesundes Gleichgewicht schafft, ist das Gefühl brüderlicher Liebe, das vom Abt ausgeht. Hören wir noch einmal auf die Wüstentradition, um uns eine Perspektive zu geben.
„Einmal war Abba Johannes mit einer Reihe von Brüdern in der Wüste Sketis unterwegs. Und der Mönch, der sie führte, verirrte sich, denn es war Nacht. Einige der Brüder sagten zu Abt Johannes: ,Was sollen wir tun, Abba, denn unser Bruder hat den Weg verfehlt, und wir könnten uns in der Dunkelheit verirren und sogar auf diesen unebenen Pfaden sterben.‘ Und Abba Johannes sagte: ,Wenn wir etwas Negatives zu ihm sagen, wird er sich schlecht und entmutigt fühlen. Aber ich werde so tun, als wäre ich erschöpft und sagen, dass ich nicht weitergehen kann, sondern mich hier bis zum Morgen hinlegen muss.‘ Und das tat er auch. Und der andere Bruder sagte: ,Wir werden auch nicht weitergehen, sondern uns neben dich setzen.‘ Und sie setzten sich bis zum Morgen hin, um ihren Bruder nicht zu entmutigen oder zu verletzen.“
Dieses Beispiel des Abtes sprach seine Söhne an, und sie folgten seinem Vorbild. Sie sahen die Liebe ihres geistlichen Vaters und wollten seinem Beispiel folgen.
Die Liebe zu den Brüdern ist so wichtig. Jeder Mönch muss zwei Dinge wissen: Erstens, dass er geliebt und umsorgt wird, und zweitens, dass er in der Person des Abtes der Gemeinschaft einen geistlichen Vater hat. Der Unterschied, den dies im Leben der Gemeinschaft ausmacht, ist so greifbar und deutlich, dass man weiß, dass diese Gemeinschaft mit einer brüderlichen Liebe lebt, die aus der Beziehung zum geistlichen Vater entsteht. Das Wort Liebe hat für Männer nicht immer einen angenehmen Klang. Manche verwenden andere Begriffe und sagen statt Liebe eher Unterstützung, Ermutigung, Fürsorge, Mitgefühl, Freundlichkeit, Verständnis oder Anteilnahme. All dies trifft zu und kann hilfreich sein, aber wir dürfen den wahren Sinn des Wortes Liebe nicht aus den Augen verlieren, denn die Heilige Schrift erinnert uns daran, dass „Gott die Liebe ist und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott“ (1 Joh 4,16b). Und der heilige Paulus sagt uns in seinem Brief an die Römer: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (5:5). Aus der Heiligen Schrift wissen wir auch, dass die Liebe, die Jesus von seinen Jüngern forderte, nicht immer eine leichte Begegnung war. Manchmal muss man eine Person disziplinieren und eine Veränderung in ihrem Leben bewirken, die keine leichte Anpassung darstellt, um einen seiner Brüder oder eine seiner Schwestern wirklich zu lieben. Wenn dies jedoch in Liebe geschieht, hat es ein erhebliches Gewicht. Wenn ein Mönch weiß, dass sein Abt ihn liebt und sich um ihn sorgt, dass er bereit ist, für ihn Opfer zu bringen, auch wenn er zum Wohle eines anderen Änderungen einführen muss, dann gibt es aufgrund der brüderlichen Liebe auch eine geistige Gemeinschaft, die von der Liebe Gottes zeugt, die dort gelebt wird.
Etwas sehr Praktisches, das für mich wichtig war, ist das Gebet für die Brüder. Damit meine ich nicht, dass man eine Notlage sieht und sie in seinen Absichten berücksichtigt, was natürlich auch wichtig ist. Aber noch wichtiger ist, dass ich zuerst als Abt der Abtei Conception und jetzt als Abt von Sant’Anselmo jeden Tag für jeden Mönch in meiner Gemeinschaft namentlich gebetet habe. Und ich kann sagen, dass ich für meine Heimatgemeinschaft und die Mönche der Abtei Conception immer noch jeden Tag bete. Ich glaube, dass ich deshalb so glücklich bin, nach acht Jahren in Rom nach Hause zurückzukehren. Ja, ich habe Rom geliebt; ich habe hier wunderbare Freunde gefunden, es gab viele bereichernde Erfahrungen. Ich habe es sehr geschätzt, die Gemeinschaften der Benediktiner und Benediktinerinnen zu besuchen, und doch kenne ich den Ort und die Menschen, die ich von Herzen liebe und von denen ich geliebt werde, und ich weiß, wo mein Zuhause ist, und ich freue mich darauf, dorthin zurückzukehren, um das nächste Kapitel meines Klosterlebens aufzuschlagen.
In vielerlei Hinsicht sind diese vier Ideen – in der Selbsterkenntnis wachsen, die Tugend der Geduld zeigen, in den Psalmen ein Zuhause finden und Liebe in den Dienst als Abt oder Äbtissin einbringen – einfach und doch unverwechselbar, nicht nur für den heiligen Benedikt, sondern auch für Jesus, wie es in den Evangelien zum Ausdruck kommt. Uns sind menschliche Seelen anvertraut – Männer und Frauen mit hohen Idealen und auch mit zerbrechlichen Persönlichkeiten und Fähigkeiten. Wenn unsere Beziehung zu jedem einzelnen Mitglied unserer Gemeinschaft zu einer Erfahrung von Gemeinschaft wird, strahlt eine klösterliche Gemeinschaft eine Lebendigkeit aus, die nur durch die Gnade Gottes, die in ihr wirkt, entstehen kann. Wenn wir bereit sind, den steinigen Weg mit einem anderen zu gehen, selbst wenn wir uns über den nächsten Schritt nicht sicher sind, führen wir unsere Arbeit im Geist der Regel und des Evangeliums aus. Es scheint so einfach zu sein, aber es ist auch so tiefgreifend, wenn es darum geht, das Reich Gottes in unseren Klostergemeinschaften aufzubauen.
Bevor ich diesen Vortrag beende, möchte ich einige Personen öffentlich für ihre Unterstützung und Ermutigung in den letzten acht Jahren danken. Der Prior von Sant’Anselmo, Pater Mauritius Wilde von Münsterschwarzach, war in den letzten acht Jahren bei mir. Ich danke ihm für den großzügigen Einsatz seiner Fähigkeiten und Talente bei der Organisation des Lebens im Collegio. Wenn ich nicht in Sant’Anselmo war, konnte ich zuversichtlich sein, dass die Mönche, die hier leben und studieren, in guten Händen sind. Ich danke auch dem Subprior, Pater Fernando Rivas von der Abtei Lujan in Argentinien, für seinen großherzigen Einsatz sowohl im Collegio als auch im Ateneo. Er hat die Programme zur klösterlichen Ausbildung in verschiedenen Sprachen für Benediktiner und Zisterzienser auf der ganzen Welt vervielfacht. Ich danke dem Rektor des Ateneo, Pater Bernhard Eckerstorfer von der Abtei Kremsmünster in Österreich, für seinen kreativen Geist, mit dem er unsere Universität vorangebracht und eine starke Gemeinschaft unter den Lehrkräften und Studierenden geschaffen hat. Ich danke Pater Geraldo Lima y Gonzalez für seine Arbeit als Cellerar und seine Arbeit als Prokurator mehrerer unserer Kongregationen. Pater Geraldo ist ein besonders großzügiger Mensch, der seine Talente überall dort einsetzt, wo sie gebraucht werden. Ich danke Pater Rafael Arcanjo, der ebenfalls in der Verwaltung arbeitet und unsere Freiwilligen beaufsichtigt, die dazu beitragen, dass hier alles am Laufen bleibt. Ich danke Fabio Corcione als Leiter unserer Verwaltung. Unsere Gäste werden von Pater Benoît Allogia von der Erzabtei St. Vincent und Bruder Victor Ugbeide von Ewu Ishu in Nigeria bestens betreut.
Die Pflege des Hauses als curator domus wird von Pater Josep Maria Sanroma von Montserrat fachkundig überwacht, der auch Sekretär des Priors ist. Pater Laurentius Eschelböck, der als unser Kirchenrechtler und Professor tätig ist, hat großzügig seine Zeit und Energie zur Verfügung gestellt, um bei den kirchenrechtlichen Problemen zu helfen, die auf dem Schreibtisch des Primas landen. Mein persönlicher Sekretär in der Kurie, Walter Del Gaiso, war in all seinen Bemühungen einfach großartig. Er arbeitet Tag für Tag mit Sorgfalt, Großzügigkeit und Schnelligkeit, um ein dicht gedrängtes Pensum zu bewältigen. Wie Sie wissen, geht Liebe auch durch den Magen und wird durch gute Küche verstärkt, daher danke ich aufrichtig Antonio Giovinazzo und seinem Küchenteam, die uns in diesen Tagen verwöhnen. Es ist wichtig, Schwester Lynn McKenzie, der Moderatorin der CIB, ein Wort des Dankes auszusprechen; unsere Kommunikation und Zusammenarbeit sind ein Zeichen für die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Benediktinerinnen und Benediktinern. Und das letzte Wort geht an die Äbte, die es ihren Mönchen ermöglicht haben, hier in Sant’Anselmo als Professoren und Beamte zu arbeiten. Es handelt sich um talentierte Männer, die in ihren Heimatgemeinschaften sicherlich vermisst werden, weil sie ihre Gaben und Talente großzügig mit der Gemeinschaft von Sant’Anselmo teilen. Ihnen, liebe Mitbrüder im Abtsamt, gilt mein aufrichtiger Dank und meine tiefe Dankbarkeit. Sant’Anselmo lebt und atmet neues Leben dank Ihrer Großzügigkeit und Selbstaufopferung.
„Christus sollen sie überhaupt nichts vorziehen. Er führe uns gemeinsam zum ewigen Leben. Amen“ (RB 72,11).
Jeremias Schröder – neuer Abtprimas
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Perspektiven
Vatican News
14. September 2024
Jeremias Schröder –
neuer Abtprimas
der Benediktinerkonföderation
Abt Jeremias Schröder (59) wurde am 14. September zum Abtprimas der Benediktinischen Konföderation gewählt.
Der neue Abtprimas war bislang Abtpräses der Kongregation der Missions-Benediktiner von Sankt Ottilien in Bayern. Die Wahl fand während des Äbtekongresses in Sant’Anselmo statt, der vom 9. bis 19. September 2024 abgehalten wurde.
Abt Jeremias ist seit 40 Jahren Benediktinermönch und studierte Philosophie, Theologie, Geschichte und Archivwesen am Päpstlichen Athenäum Sant’Anselmo und an der St. Benet's Hall in Oxford. Er ist der AIM gut bekannt, da er lange Zeit im Rat dieser Organisation saß, die er mit seinen zahlreichen Talenten bereichert hat.
Gleich nach seiner Wahl ging Abt Jeremias auf die Situation der Länder ein, die Opfer von Konflikten sind:
„Die Welt steht im Moment in Flammen. Wir haben hier, beim Kongress der Klosteroberen in Sant’Anselmo, das Zeugnis von Äbten, die aus Ländern kommen, in denen Krieg herrscht, aus der Ukraine, aus dem Heiligen Land“.
„Während dieses Kongresses werden wir versuchen, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir das Motto unseres Ordens, das ,Pax‘, Frieden, lautet, verwirklichen können. Wir werden darüber nachdenken, wie wir durch die Arbeit unserer Gemeinschaften, durch unser Zeugnis und durch den Bau von Brücken zwischen den Kulturen wirklich zum Frieden beitragen können“.
„Osten und der Westen driften auseinander. Die Benediktiner haben seit jeher die Aufgabe, mit den Ostkirchen in Verbindung zu stehen. Hier gibt es etwas, zu dem wir wirklich beitragen können, und wir werden daran arbeiten.“
Der Beitrag der Benediktiner
Am 19. April 2018 brachte Papst Franziskus bei einem Treffen mit den Mönchen der Benediktinerkonföderation seine „Hochachtung und Dankbarkeit für den bedeutenden Beitrag zum Ausdruck, den die Benediktiner seit fast 1.500 Jahren in allen Teilen der Welt zum Leben der Kirche geleistet haben“, indem sie das Motto: Ora et labora et lege (Gebet, Arbeit, Studium) lebten:
„In einer Zeit, in der die Menschen so beschäftigt sind, dass sie keine Zeit mehr haben, auf die Stimme Gottes zu hören, werden Ihre Klöster und Konvente zu Oasen, in denen Männer und Frauen jeden Alters, jeder Herkunft, Kultur und Religion die Schönheit der Stille entdecken und sich selbst in Harmonie mit der Schöpfung wiederentdecken können, indem sie Gott erlauben, eine gerechte Ordnung in ihrem Leben wiederherzustellen. Das benediktinische Charisma der Gastfreundschaft ist für die Neuevangelisierung sehr wertvoll, denn es ermöglicht, Christus in jeder ankommenden Person zu empfangen, indem es denjenigen, die Gott suchen, hilft, die spirituellen Gaben zu empfangen, die er für jeden von uns bereithält.“
Autorität und Freiheit
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Reflexion
Abt Mauro Giuseppe Lepori OCist
GEneralabt der Zisterzienser
Autorität und Freiheit
Oberenkurs für den Zisterzienserorden
Rom, 21.-26. September 2023
Einen Bekehrungsweg vorschlagen
Um zu verstehen, was es bedeutet, Verantwortung in der Kirche und im monastischen Umfeld auszuüben, ohne Macht und Gewissen zu missbrauchen, ist es hilfreicher, die Thematik auf positive als auf negative Weise zu vertiefen und auch zu verstehen, dass, wenn es Fehlentwicklungen, Missbrauch unter unseren Oberen und in unseren Gemeinschaften gibt, die Lösung eher in der Bekehrung als in der Korrektur liegt. Oft versuchen wir, falsches Verhalten zu korrigieren, ohne zu unterscheiden, welche Bekehrung notwendig ist, damit eine Person, eine Gemeinschaft oder eine Situation korrigiert wird. Im Gegensatz dazu ist Christus gekommen, um die Menschheit aufzurichten, indem er einen Weg der Umkehr vorschlägt, einen Weg der Bekehrung in seiner Nachfolge.
Es ist wichtig, dies zu verstehen. Ich denke, wir alle machen die Erfahrung, praktisch auf jeder Ebene des uns anvertrauten pastoralen Engagements, dass alle Versuche, etwas zu korrigieren, ohne einen Weg der Umkehr anzubieten, steril und fruchtlos bleiben und nichts verändern, sondern im Gegenteil die Situation verschlechtern. Die Versuchung, korrigieren zu wollen, ohne einen Weg der Umkehr anzubieten, widerspricht einem Prinzip, das Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium zum Ausdruck gebracht hat, einem Prinzip, das ich für grundlegend halte: Es ist wichtiger, Lebensprozesse zu freizusetzen, als Machträume zu erobern. Lassen Sie uns diesen Absatz in Evangelii Gaudium noch einmal lesen:
„Eine der Sünden, die wir gelegentlich in der sozialpolitischen Tätigkeit beobachten, besteht darin, dem Raum gegenüber der Zeit und den Abläufen Vorrang zu geben. Dem Raum Vorrang geben bedeutet sich vormachen, alles in der Gegenwart gelöst zu haben und alle Räume der Macht und der Selbstbestätigung in Besitz nehmen zu wollen. Damit werden die Prozesse eingefroren. Man beansprucht, sie aufzuhalten. Der Zeit Vorrang zu geben bedeutet sich damit zu befassen, Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen. Die Zeit bestimmt die Räume, macht sie hell und verwandelt sie in Glieder einer sich stetig ausdehnenden Kette, ohne Rückschritt. Es geht darum, Handlungen zu fördern, die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und Menschen sowie Gruppen einbeziehen, welche diese vorantreiben, auf dass sie bei wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringt. Dies geschehe ohne Ängstlichkeit, sondern mit klaren Überzeugungen und mit Entschlossenheit.“ (EG 223)
Bei der Analyse von Situationen des Macht- und Gewissensmissbrauchs, die einen extremen Krisenpunkt erreichen, wie eine Eiterbeule, die aufplatzt, fällt es mir nicht schwer, auf der Ebene einer bestimmten Person oder Gemeinschaft das zu erkennen, was der Papst hier für die Gesellschaft als Ganzes beschreibt. Es kommt oft vor, dass selbst in Klöstern aufgrund des Versuchs „alle Räume der Macht und der Selbstbestätigung in Besitz zu nehmen“, einige Personen sich weigern, Prozesse zu fördern, die langfristig das Leben der Gemeinschaft voranbringen würden, auch im wirtschaftlichen Bereich, also notwendige Prozesse des Gemeinschaftslebens, des gegenseitigen Dienstes, der demütigen Bejahung des anderen statt des eigenen Ichs.
Eine Gefahr, die bereits im Evangelium erahnt wurde
Auf jeden Fall spricht davon, lange vor dem Papst, die gesamte monastische Tradition, die Regel Benedikts, und vor allem durch all dies hindurch Jesus selbst im Evangelium. Es ist interessant, dass Jesus, wenn er von Autorität und Macht in der christlichen Gemeinschaft spricht, sofort vor der Gefahr warnt, diese zu missbrauchen:
„Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. Wer ist denn der treue und kluge Knecht, den der Herr über sein Gesinde einsetzte, damit er ihnen zur rechten Zeit die Nahrung gebe? Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt! Amen, ich sage euch: Er wird ihn über sein ganzes Vermögen einsetzen. Wenn aber der Knecht böse ist und in seinem Herzen sagt: Mein Herr verspätet sich! und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen, und mit Zechern isst und trinkt, dann wird der Herr jenes Knechtes an einem Tag kommen, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Heuchlern zuweisen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Mt 24,44-51)
Nähren und führen
Der erste Aspekt, der jede Verantwortung in der Kirche auf allen Ebenen dramatisch macht, ist der eschatologische Rahmen, in dem sie anvertraut und gefordert wird. Jesus fordert uns auf, sie innerhalb der Wachsamkeit zu übernehmen, die auf das Kommen des Menschensohns wartet. Wer in der Kirche eine Vollmacht erhält, wird nicht aufgefordert, zuerst an den Raum zu denken, in dem diese Vollmacht ausgeübt werden muss, sondern an die Zeit, die durch die unvorhersehbare Unmittelbarkeit des Kommens Christi definiert ist. Autorität wird in dem „Macht euch bereit“ gelebt, um den Menschensohn zu empfangen, der kommt, um das Universum und die Geschichte zu vollenden. Dieses „Seid bereit“ ist eine sehr dichte Aufmerksamkeit, die sich nicht damit begnügt, in Erwartung Christi in die Wolken zu schauen, wie es die Apostel nach der Himmelfahrt taten (Apg 1,11).
In dem Gleichnis, das wir gerade gelesen haben, sagt Jesus ausdrücklich, worauf man statt auf die Wolken achten soll: „Wer ist denn der treue und kluge Knecht, den der Herr über sein Gesinde einsetzte, damit er ihnen zur rechten Zeit die Nahrung gebe? Selig der Knecht, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt!“ (Mt 24,45-46). Der Diener wird über seine Mitknechte gestellt, „um ihnen zur rechten Zeit Speise zu geben“.
Dieses Bild mag uns ein wenig bieder erscheinen, und doch vertraut der Auferstandene selbst dem ersten der Apostel, Petrus, also der höchsten Autorität in der Kirche, auf dem Höhepunkt seiner Berufung nichts anderes an:
„Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer! Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe! Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Liebst du mich? Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!“. (Joh 21,15-17)
Jesus hat gerade seine Jünger genährt: „Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus ...“. Ein Fischmahl, das Jesus selbst zubereitet und mit den von den Jüngern mitgebrachten Fischen ergänzt hat, die diese dank des Wunders, das durch die Gegenwart und Bitte des Auferstandenen möglich wurde, gefangen haben (vgl. Joh 21,1-14). In diesem eucharistischen Rahmen bittet Jesus Petrus um seine Liebe, damit sie der seinen entspricht, die am Kreuz für Petrus und für alle ihr Leben gelassen hat. In diesem eucharistischen Rahmen gibt Jesus Petrus und der Kirche den Auftrag, die Herde zu weiden. „Weiden“ bedeutet vor allem, die Schafe zu ernähren, ihnen zu essen zu geben, sich darum zu kümmern, dass sie eine Weide finden, einen Ort, an dem sie grünes Gras fressen und frisches Wasser trinken können. Dies wird in Psalm 22 ausgedrückt:
„Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher.“
Um die dreifache Bitte, die Schafe zu weiden, die der Auferstandene an Petrus richtet, auszudrücken, verwendet der griechische Text zwei verschiedene Verben: boskō (Joh 21,15.17) und poimainō (Joh 21,16). Das erste Verb bezieht sich auf das „Beschaffen von Nahrung“ für die Herde, das zweite scheint sich auf die komplexere Aufgabe zu beziehen, die Herde zu „weiden“, d. h. sie zu treiben, über sie zu wachen, sie zu schützen, aber immer auch Wasser und frische Nahrung zu beschaffen. Warum weidet man eine Herde, warum führt man sie, wenn nicht, um sie zu grasbewachsenen Orten und ruhigen Gewässern zu führen, wie der Psalm besingt?
Jede pastorale Rolle in der Kirche, jede von Christus übertragene Autorität über die Schafe und die Herde enthält immer die grundlegende Pflicht, die Lämmer, die Schafe, die Herde zu ernähren, damit sie leben und wachsen, damit sie fruchtbar werden und ihrerseits fähig werden, andere Schafe zu weiden, andere Herden zu ernähren und zu führen. Die wichtigste Aufgabe des Hirten (Mann oder Frau) ist es, die Schafe zu ernähren, damit sie das Leben haben. Jesus sagt es und wiederholt es in Kapitel 10 des Johannesevangeliums: „Ich bin der gute Hirte, der wahre Hirte, der sein Leben lässt für seine Schafe“ (Joh 10,11). Wie gibt er es hin? Indem er sich selbst zum Brot des Lebens macht, indem er seinen Leib gibt und sein Blut vergießt als Speise und Trank für das ewige Leben (vgl. Joh 6).
Das Brot ist das Wort Gottes
Diese sakramentale Gabe Christi ist nicht einfach Brot, nicht einfach Wein. Es ist das Wort Gottes, das Fleisch geworden ist (Joh 1,14). In der Tat, wie Jesus selbst den Dämon der Versuchung erinnert: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus den Mund Gottes kommt“ (Mt 4,4). In dem Text, der die Quelle dieses Zitats ist, im Buch Deuteronomium, erklärt Moses, dass die Gabe des Mannas, der physischen Nahrung, die Gott für das Volk beschafft hat, auch dazu führen soll, dass wir uns vom Wort Gottes ernähren:
„Durch Hunger hat er dich gefügig gemacht und hat dich dann mit dem Manna gespeist, das du nicht kanntest und das auch deine Väter nicht kannten. Er wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht“ (Dtn 8,3).
Das Brot des Wortes Gottes nährt und führt das Volk, und nur wenn er sich in den Dienst des Hörens des Wortes Gottes, des Wortes Gottes, das Christus ist, und des Evangeliums stellt, kann der Hirte die Schafe wirklich weiden, sie nähren, führen und frei machen.
Aus diesem Grund erkannten die Apostel, als es in der christlichen Gemeinde Unzufriedenheit mit der Verteilung der materiellen Nahrung gab, sofort, dass es für sie am wichtigsten war, das Brot des Wortes zu reichen: „Es ist nicht gut, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und an den Tischen dienen“ (Apg 6,1).
Es ist interessant, dass später auch für die Diakone, die für diesen Dienst an den Tischen eingesetzt wurden, der Dienst, auf den in erster Linie Wert gelegt wird, nicht dieser praktische Dienst ist, sondern nach wie vor der Dienst des Wortes Gottes, der Verkündigung, der Katechese, des öffentlichen Zeugnisses. Das Beispiel des heiligen Stephanus zeigt deutlich, dass auch Diakone ihr Leben für die Schafe vor allem durch die Verkündigung des Wortes hingeben.
Ich kann diese Thematik nicht so vertiefen, wie sie es verdient hätte. Aber ich möchte betonen, dass es wichtig ist, sich auf diesen Aspekt zu konzentrieren, wenn wir unsere Berufung verstehen wollen, in unseren Gemeinschaften und im Orden auf allen Ebenen pastorale Verantwortung auszuüben, und wenn wir verstehen wollen, wie wir Machtmissbrauch vermeiden oder wiedergutmachen können. Wenn die Autorität in der Kirche dazu berufen ist, die Schafe, die Herde, zu weiden, wenn sie dazu berufen ist, die Brüder und Schwestern zu nähren und zu führen, dann dürfen wir nicht vergessen, dass dieses Amt für Christus im Wesentlichen ein Dienst am Wort Gottes ist, am Wort, das allein die Herzen der Menschen wirklich nährt und sie auf den richtigen Weg führt.
Ich habe bei mehreren Gelegenheiten die letzten Worte wiederholt, die Abt Godefroy d’Acey zu mir sagte, bevor er die Hochebene von Hauterive zu einer Rad- und Bergwanderung verließ, bei der er am Nachmittag des 3. August ums Leben kam. Er war am Vortag zu mir und einem meiner Mitbrüder gestoßen und hätte eigentlich eine Woche mit uns verbringen sollen. Zum Zeitpunkt seiner Abfahrt war ich gerade dabei, ein Aquarell zu malen, das einen Hirten auf dem Weg mit einem Dutzend Schafen zeigte. Er beugte sich über mein Werk, um es zu betrachten, und ich sagte ihm, dass es mich nicht zufriedenstelle, weil etwas mit den Proportionen zwischen dem Hirten und den Schafen nicht stimme. Er antwortete mir – und das waren praktisch die letzten Worte seines Lebens: „Nein, es ist in Ordnung. Aber wir sollten den Schafen Ohren geben!“
Seitdem denke ich immer wieder über diesen Ratschlag nach und verstehe, dass er sich auf die wesentliche Aufgabe bezieht, die der heilige Benedikt dem Abt eines Klosters zuweist. Zuletzt habe ich dies in meiner Predigt anlässlich der Weihe der Äbtissin von Seligenthal erwähnt:
„Benedikt war sich vollkommen bewusst, dass der erste Dienst der Autorität der Dienst des Wortes Gottes ist, das den Brüdern und Schwestern immer wieder als Licht der Schritte auf dem Weg zum ewigen Leben angeboten werden muss. Es scheint sogar, dass die gesamte Verantwortung des Oberen, nach der er bei der Ankunft Christi beurteilt werden wird, gerade darin besteht, die Brüder und Schwestern zu lehren, auf den Ruf des Wortes zu hören, den Ruf des Bräutigams zur Vereinigung mit ihm.
Benedikt schreibt in Kapitel 2 der Regel: ,Der Abt darf nur lehren oder bestimmen und befehlen, was der Weisung des Herrn entspricht. Sein Befehl und eine Lehre sollen wie Sauerteig göttlicher Heilsgerechtigkeit die Herzen seiner Jünger durchdringen. Der Abt denke immer daran, dass in gleicher Weise über seine Lehre und über den Gehorsam seiner Jünger beim erschreckenden Gericht Gottes entschieden wird.‘“ (RB 2,4-6)
Der Gehorsam seiner Jünger ist, bevor er zum ,Tun‘ wird, ein ,Hören‘, wie es übrigens die bekannte Etymologie des Wortes Gehorsam nahelegt: ob-audire. Gehorsam ist ein intensives Zuhören, das die ganze Freiheit und die ganze Entscheidungsfähigkeit und das Herz einbezieht. Ohne dieses Zuhören ist es schwierig, Christus mit ganzem Herzen zu folgen, d. h. nicht nur äußerlich, scheinbar, sondern wirklich, mit seinem ganzen Wesen. Deshalb muss das Zuhören der Jünger das erste Anliegen derjenigen sein, die sie führen“ (Äbtissinenweihe von Mutter Christiane Hansen, Seligenthal, 19. August 2023)
Das Ziel der Autorität ist die Freiheit
Sich bewusst zu sein, dass Benedikt den Oberen oder die Oberin des Klosters vor Gottes letztem Gericht „für seine Lehre und den Gehorsam [d.h. das Hören] seiner Jünger“ (RB 2,6) verantwortlich macht, bedeutet, sich bewusst zu sein, dass der Bereich der Autorität in der Kirche, bevor es um Disziplin, gutes Funktionieren und die Ordnung von Personen und Gemeinschaften geht, wesentlich ihre Freiheit ist, die von Gott zur Freundschaft mit ihm hingezogen wird.
Unsere Verantwortung ist nicht in erster Linie disziplinarisch, d. h. wir sind nicht zuallererst dafür verantwortlich, was die Brüder oder Schwestern tun oder nicht tun. Die erste Sorge Benedikts war vielmehr, dass die Schafe der Herde „Ohren haben“, um auf die Stimme des Herrn zu hören. Und das ist die Verantwortung, die jeder Hirte einer Gemeinschaft übernehmen muss, eine Verantwortung, die vor allem durch seinen eigenen Gehorsam ausgeübt wird, durch sein eigenes Hören auf das Wort Gottes, auf die Stimme des Bräutigams.
Das bedeutet, dass man Machtmissbrauch nicht in erster Linie mit Verhaltensprotokollen bekämpft, die Fehler und falsche Einstellungen verhindern sollen. Zwar sind auch Protokolle notwendig, aber sie sind wie Deiche, die nur dann Sinn machen und etwas nützen, wenn der Fluss fließt. Wenn der Fluss ausgetrocknet ist, sind auch die Deiche nutzlos.
Benedikt warnt den Abt auch vor möglichen Fehlentwicklungen bei der Ausübung seiner Autorität: zum Beispiel die Bevorzugung von Personen (RB 2,1ff.) oder „mehr Sorgfalt auf vergängliche, irdische und hinfällige Dinge“ zu verwenden als auf die Seelen (RB 2,33), oder die Tendenz zum Perfektionismus, die dazu verleitet, den Rost abzukratzen, bis das Gefäß zerbricht (RB 64,12), oder die eigenen Mitarbeiter zu beneiden (RB 65,22). Den Rat der Gemeinschaft oder der Ältesten zu vernachlässigen ist auch ein Missbrauch, in den der Abt verfallen kann (RB 3,13); lasterhafte Brüder aus Feigheit nicht zu korrigieren, kann ebenfalls ein schwerer Missbrauch sein, ein Missbrauch durch Unterlassung bei der Ausübung der uns anvertrauten Autorität (RB 2,26). Die Regel enthält viele Beispiele dafür, wie ein Oberer oder eine Person, die für einen Bereich des Gemeinschaftslebens verantwortlich ist, seine Verantwortung missbrauchen kann.
Aber die große und beständige Sorge Benedikts ist vor allem, dass der Abt das Zuhören der Brüder durch eine Lehre der Weisheit fördert, die vom Wort Gottes und der Kirche durchdrungen ist. Die Lehre, die wirklich das Wort Gottes vermittelt, die wirklich Christus, das Wort des Lebens, vermittelt, befreit das Herz und die Seele der Menschen, weil sie nicht zu dem zieht, der lehrt, der regiert, sondern zum Herrn, der jeden ruft, ihm zu folgen, der jeden in die Freundschaft mit ihm zieht.
Wenn diese Pflicht vernachlässigt wird – und sie wird leider oft vernachlässigt, soweit ich sehen kann –, dann kann alles, was der Vorgesetzte fordert, was er verlangt, rät, entscheidet, erlaubt oder verbietet, alles missbräuchlich werden, weil es so ist, als würde man sich nicht an die Freiheit der Menschen wenden. Es geht nicht so sehr um die Freiheit, selbst entscheiden zu können, sondern um die Freiheit, die Gott mit Liebe und als Liebe an sich zieht. Wenn man sich nicht an diese Freiheit wendet, wenn man sich nicht an das für Gott gemachte Herz wendet, wendet man sich letztendlich nur an den Willen, die Einfügung in ein Schema zu akzeptieren oder abzulehnen. Mit anderen Worten: Wenn man nicht die Stimme des Bräutigams weitergibt, die die Herzen zur Vereinigung mit ihm und in ihm ruft und anzieht, schlägt man unweigerlich eine Moral, Verhaltensregeln und nicht ein Leben vor, jenes Leben, für das wir vom Vater erschaffen und vom Sohn in der Gabe des Geistes berufen wurden.
Eine demütige und arme Autorität
Die Autorität auf diese Weise zu leben, erfordert Armut, erfordert Demut mehr als Fähigkeiten. Vor allem Armut vor Gott, die demütige Armut, die ersten zu sein, die zuhören, die ersten, die nach dem Wort Gottes hungern und dürsten, mehr als nach etwas anderem. Die ersten, die aus Armut darauf verzichten, sich durch etwas anderes zu befriedigen, durch andere Befriedigungen, die nicht Christus sind, der Bräutigam, der kommt.
Der ungetreue Diener in dem Gleichnis, das ich eingangs zitiert habe, wird verurteilt, weil er nicht nur seine Mitmenschen schlecht behandelt, sondern auch anfängt zu essen und sich von dem zu betrinken, was er seinen Brüdern geben sollte, und nicht mehr will, dass sein Herr zurückkommt.
„Wenn aber der Knecht böse ist und in seinem Herzen sagt: Mein Herr verspätet sich! und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen, und mit Zechern isst und trinkt, dann wird der Herr jenes Knechtes an einem Tag kommen, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Heuchlern zuweisen. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Mt 24,48-51)
Jesus bezeichnet ihn als „Heuchler“. In seinem Fall besteht die Heuchelei darin, dass er eine Aufgabe, die ihm der Meister zum Wohle anderer übertragen hat, zu seinem eigenen Vorteil nutzt. Er missbraucht seine Macht, indem er seinen eigenen Vorteil sucht, anstatt sie für die Interessen seiner Mitmenschen und des Meisters selbst auszuüben. Er isst selbst die Nahrung, die er verteilen sollte. Er nimmt für sich selbst, was er geben müsste, wenn er gehorsam und treu wäre (vgl. Mt 24,45).
Gott vertraut uns eine Autorität, eine Macht, an, um unseren Brüdern und Schwestern die Nahrung zur rechten Zeit zu geben, um anderen die Nahrung zu vermitteln, die sie je nach Zeitpunkt und Lebensumständen benötigen. Diese Pflicht aus persönlichem Interesse zu missachten, ist ein heuchlerischer Missbrauch der erhaltenen Verantwortung. Autorität, Verantwortung ist eher ein Charisma als eine Funktion. Gott hat uns die Talente und Gaben gegeben, die für das Wohl und das Wachstum der Brüder und Schwestern notwendig sind. Es ist ein Geschenk der Liebe Christi, ein Geschenk des Guten Hirten, und wenn uns diese Gabe fehlt, müssen wir sie mit der Gewissheit erbitten, sie zu erhalten, denn Gott verweigert uns nie, was für das Wohl der anderen notwendig ist. Der Geist verweigert den Hirten nie die Gaben, die für das Wachstum und den Weg der Schafe notwendig sind.
Wenn ich die Oberen an ihre Pflicht erinnere, zu lehren, damit die Brüder und Schwestern „Ohren haben“, um auf den Herrn zu hören und ihm in Liebe zu folgen und so unsere Berufung in Liebe und Freude zu leben, sagen sie mir oft, dass sie dazu nicht in der Lage sind, dass sie sich leer, trocken und ideenlos fühlen. Das ist eine Antwort, die einen falschen Ansatz und eine falsche Interpretation von Autorität widerspiegelt. Wir sind nicht dazu berufen, das weiterzugeben, was von uns kommt, unsere Ideen, unsere Worte. Wir sind dazu berufen, das Wort Gottes weiterzugeben. Und das ist nicht möglich, ohne zuerst das zu empfangen, was wir weitergeben sollen. Es ist nicht möglich zu geben, ohne nach dieser Gabe zu fragen, die weitergegeben werden soll. Und dann stelle ich oft fest, dass auf dieser Ebene das eigentliche Problem von uns Oberen, Männern und Frauen, liegt: Wir bitten Gott nicht um sein Wort. Mit anderen Worten: Wir hören nicht zu, oder, noch anders ausgedrückt: Wir können nicht schweigen.
Den Hirten Ohren geben
Ich erzählte einem Generaloberen, was Abt Godefroy mir über die Ohren der Schafe gesagt hatte. Er antwortete mir: „Sehr wahr! Allerdings brauchen nicht nur die Schafe Ohren, sondern auch die Hirten!“ Gewiss! Ohren, die auf Gott, auf Christus, aber auch auf ihre Brüder und Schwestern gerichtet sind; Ohren, die auf die Armen achten.
So viele Missbräuche entstehen gerade dadurch, dass einige Vorgesetzte niemandem zuhören, sondern nur sich selbst. Sie hören nicht auf Gott im Gebet, sie hören nicht demütig auf die Vorgesetzten über ihnen, sie hören nicht auf die Gemeinschaft, sie hören nicht auf ihre geistlichen Begleiter usw.
Ebenfalls in dem Gleichnis, über das wir nachgedacht haben, gibt es einen Satz, der uns hilft zu verstehen, wo der Missbrauch von Macht bei jemand beginnt, dem Autorität übertragen wurde. Dort sagt Jesus: „Wenn aber dieser böse Knecht bei sich selbst [wörtlich: in seinem Herzen] sagt: Mein Herr verzieht ...“. (Mt 24,48). Genau hier beginnt der Missbrauch: Indem wir uns einreden, was uns passt, was uns mehr Macht und Sicherheit zu bieten scheint, indem wir in unserem Herzen eine falsche Wahrheit über Christus und folglich über alles und jeden pflegen, eine Lüge, die nicht mit der Realität des Reiches Gottes übereinstimmt. Denn tatsächlich kommt der Herr bald, er wird die Heuchelei seines untreuen Dieners aufdecken und ihn für alles zur Rechenschaft ziehen. Dieser Satz hilft uns zu verstehen, dass das Wichtigste, um unsere Verantwortung wahrheitsgemäß auszuüben, darin besteht, die Wahrheit in unseren Herzen, in unseren Gedanken zu bewahren und daher immer zur Bekehrung des Herzens bereit zu sein.
Auch darin sollen sich die Oberen in brüderlicher Freundschaft gegenseitig helfen. Wer Autorität hat, muss nicht nur über die Herde wachen: Er muss zuerst über sein eigenes Herz wachen, über das, was sein Herz zu sich selbst sagt. Wir halten Reden zu unserem Herzen, die nicht auf die Stimme Gottes hören, sondern vielmehr auf die Stimme des Versuchers, des Teufels, der uns umgarnt, indem er uns seine weltliche Macht als etwas Größeres und Authentischeres vorgaukelt als die demütige Macht des gekreuzigten Christus, des Christus, der den Jüngern die Füße wäscht, des Christus, der inmitten der anderen steht als derjenige, der dient, der liebt, der sich aufopfert, der Frucht bringt, indem er in die Erde fällt und sein Leben für uns hingibt.
Diese Arbeit an der Bekehrung des Herzens ist keine private und individuelle Askese: Es ist der „basso continuo“ eines synodalen Weges, der uns entdecken lässt, dass das Gehen mit anderen, das gegenseitige Zuhören und Teilen, das ist, was uns in der Tiefe wachsen lässt, was uns voranbringt und uns innerlich reinigt, indem es uns zu Werkzeugen der Gemeinschaft macht. Denn Gott hat uns ein Herz gegeben, das nach Gemeinschaft dürstet, ein Herz nach dem Vorbild des dreifaltigen Herzens Gottes, in dem keine Person „ich“ sagen kann, ohne an das „wir“ zu denken.
Aber das ist etwas, das ich nur andeuten kann, auch wenn es grundlegend ist. Gott sei Dank sind wir dabei, es zu vertiefen, indem wir mit der ganzen Kirche auf dem synodalen Weg dieser Jahre gehen, die wir alle so dringend brauchen.
Indiens aktuelle Situation auf der internationalen Bühne
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Öffnung zur welt
Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM 2013-2024
Indiens aktuelle Situation
auf der internationalen Bühne:
ein unumgänglicher Akteur
Indien, eine aufstrebende Nation, nimmt heute einen zentralen Platz in der internationalen Landschaft ein. Mit einer Bevölkerung von mehr als 1,4 Milliarden Menschen ist es nun das bevölkerungsreichste Land der Welt und hat im Jahr 2023 China überholt. Diese Bevölkerungsdynamik, verbunden mit einem schnellen Wirtschaftswachstum, verleiht Indien eine wachsende strategische Bedeutung sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene.
Wachsende Wirtschaft
Die indische Wirtschaft ist eine der dynamischsten der Welt und verzeichnet beeindruckende jährliche Wachstumsraten, die in den letzten Jahren häufig über 6-7 % lagen. Das Land ist heute die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, gemessen am nominalen BIP, und könnte bald Giganten wie Deutschland und Japan überholen und auf den dritten Platz vorrücken. Die wirtschaftliche Expansion wird von einer wachsenden Mittelschicht, einem florierenden Technologiesektor und einer großen Zahl junger Arbeitskräfte angetrieben.
Ein geopolitischer Schlüsselakteur in Asien
Geopolitisch gesehen ist Indien ein wichtiger Akteur in Südasien und darüber hinaus. Es übt einen erheblichen Einfluss auf seine unmittelbaren Nachbarn aus, darunter Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka. Indien ist außerdem ein wichtiges Mitglied der BRICS, einer Allianz von Schwellenländern, die die globale Wirtschaftsordnung neu gestalten wollen.*
Angesichts der wachsenden Macht Chinas hat Indien seine strategischen Allianzen ausgebaut, insbesondere mit den USA, Japan und Australien im Rahmen der Quad, einer Koalition zur Aufrechterhaltung des Machtgleichgewichts im indopazifischen Raum. Die Rivalität mit China, die durch Grenzkonflikte im Himalaya verschärft wird, veranlasst Indien, seine Streitkräfte rasch zu modernisieren und seine außenpolitischen Kontakte zu stärken.
Eine auf Multilateralismus ausgerichtete Diplomatie
Indien verfolgt eine proaktive multilaterale Diplomatie und spielt eine entscheidende Rolle in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, wo es einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat anstrebt. Das Land hat auch Initiativen im Bereich des Klimawandels ergriffen, mit ehrgeizigen Verpflichtungen zur Senkung der Kohlenstoffemissionen und zur Förderung erneuerbarer Energien, insbesondere durch die Internationale Solarallianz.
Als Vorsitzender der G20 in den Jahren 2023-2024 nutzte Indien diese Plattform, um die Anliegen der Entwicklungsländer in den Vordergrund zu stellen, und unterstrich seine Führungsrolle bei der Förderung einer gerechteren Weltordnung.
Interne und internationale Herausforderungen
Trotz seiner Erfolge steht Indien vor bedeutenden Herausforderungen: Im Inland bestehen nach wie vor wirtschaftliche Ungleichheiten, die Armut bleibt ein großes Problem und Spannungen in der Gesellschaft bedrohen den sozialen Zusammenhalt. Auf der internationalen Bühne muss sich Indien in einem Umfeld komplexer geopolitischer Rivalitäten, insbesondere mit China und Pakistan, bewegen und sich gleichzeitig um ausgewogene Beziehungen zu den großen Weltmächten bemühen.
Religion in Indien: Komplexität und Einfluss in der heutigen Gesellschaft
Indien, das für seine kulturelle und religiöse Vielfalt bekannt ist, ist ein Land, in dem die Religion eine zentrale Rolle im täglichen Leben seiner Bewohner spielt. Mit einer reichen Geschichte voller religiöser Traditionen beherbergt Indien einige der größten Weltreligionen wie den Hinduismus, den Islam, das Christentum, den Sikhismus, den Buddhismus und den Jainismus. Diese religiöse Pluralität, die sowohl eine Stärke als auch eine Herausforderung darstellt, prägt die heutige indische Gesellschaft tiefgreifend.
Hinduismus: die Mehrheitsreligion
Der Hinduismus ist die bei weitem am häufigsten praktizierte Religion in Indien. Etwa 80 % der Bevölkerung bekennen sich zu diesem Glauben, der eine breite Palette von Glaubensrichtungen, rituellen Praktiken, Philosophien und Traditionen umfasst. Hindutempel, religiöse Festivals wie Diwali, Holi und Navratri sowie Pilgerfahrten wie die Kumbh Mela sind wesentliche Bestandteile der indischen Kultur.
Das Kastensystem wurde zwar offiziell abgeschafft, ist aber immer noch ein tief verwurzelter Aspekt einiger sozialer Praktiken der Hindus. Es beeinflusst weiterhin die sozialen Beziehungen, den Zugang zu Ressourcen und die wirtschaftlichen Möglichkeiten, trotz der Bemühungen der Regierung, die Gleichberechtigung zu fördern.
Der Islam: Eine starke Präsenz
Mit rund 14 % der Bevölkerung ist der Islam die zweitgrößte Religion in Indien. Die indischen Muslime, die eine der größten muslimischen Gemeinschaften der Welt bilden, haben einen erheblichen Einfluss auf die Kultur, Politik und Wirtschaft des Landes. Moscheen, islamische Schulen (Madrassas) und religiöse Feiertage wie Eid al-Fitr und Eid al-Adha sind Bestandteile des indischen Lebens.
Die Beziehungen zwischen den hinduistischen und muslimischen Gemeinschaften waren jedoch manchmal angespannt und von Episoden gegenseitiger Gewalt geprägt. Religiöse Spannungen werden häufig durch polarisierende politische Diskurse verschärft, was eine Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt im Land darstellt.
Das Christentum und andere Religionen
Das Christentum wird von etwa 2,3 % der Bevölkerung praktiziert, hauptsächlich in den Bundesstaaten Kerala, Goa und im Nordosten Indiens. Die meisten Christen in Indien sind Katholiken, aber es gibt auch protestantische und orthodoxe Gemeinden. Die Kirche in Indien ist im Bildungs- und Gesundheitsbereich aktiv, wobei viele christliche Schulen und Krankenhäuser eine lebenswichtige Rolle im Land spielen.
Der Sikhismus, der im 15. Jahrhundert in Punjab gegründet wurde, wird von etwa 2 % der Bevölkerung praktiziert. Die Sikhs haben eine starke Präsenz im Nordwesten Indiens, wo sie im Bundesstaat Punjab die Mehrheit stellen. Ihre Beiträge zur Landwirtschaft, zu den Streitkräften und zur Industrie sind weithin anerkannt.
Die beiden in Indien beheimateten Religionen Buddhismus und Jainismus werden zwar nur von Minderheiten praktiziert, doch ihr philosophischer und kultureller Einfluss ist immens. Der Buddhismus hat eine besondere historische Bedeutung, da er von Prinz Siddhartha Gautama, der als Buddha bekannt ist, in Nordindien begründet wurde.
Aktuelle religiöse Herausforderungen und Fragen
Indiens religiöse Vielfalt ist zwar eine Quelle des kulturellen Reichtums, bringt aber auch soziale und politische Herausforderungen mit sich. In den letzten Jahren wurde das Land Zeuge eines zunehmenden Hindu-Nationalismus, verkörpert durch die regierende Bharatiya Janata Party (BJP), der vorgeworfen wurde, religiöse Minderheiten an den Rand zu drängen und eine Vision von Indien als Hindu-Nation zu fördern. Diese Politik hat zu Spannungen zwischen den Gemeinschaften geführt, mit religiös motivierter Gewalt, Lynchmorden im Zusammenhang mit dem Schutz der heiligen Kühe und Debatten über religiöse Konversion.
Die Regierung wurde auch für ihre Behandlung von Muslimen wie auch von Christen in Fällen wie dem Staatsbürgerschaftsgesetz (CAA) von 2019 kritisiert, das von vielen als diskriminierend empfunden wird. Dieses Klima religiöser Spannungen hat zu Bedenken hinsichtlich des säkularen Charakters Indiens geführt, der in der Verfassung des Landes verankert ist.
Schlussfolgerung
Die Religion in Indien ist eine komplexe und allgegenwärtige Kraft, die alle Aspekte des sozialen, kulturellen und politischen Lebens beeinflusst. Während die religiöse Vielfalt des Landes einer seiner größten Reichtümer ist, stellt sie auch einen fruchtbaren Boden für Spannungen und Konflikte dar. Das moderne Indien muss ständig nach einem Gleichgewicht zwischen der Achtung seiner religiösen Traditionen und der Förderung von Säkularismus und sozialer Harmonie suchen, um seine Einheit und Stabilität zu bewahren.
Ein vertieftes Glaubensverständnis dank der Mystik des Orients und Okzidents (Jules Monchanin, Henri Le Saux, Bede Griffiths)
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Zeugnis
Dorathick Rajan OSB Cam
Prior von Shantivanam (Indien)
Ein vertieftes Glaubensverständnis dank
der Mystik des Orients und Okzidents
(Jules Monchanin, Henri Le Saux, Bede Griffiths)
I. Jules Monchanins mystische Erforschung der Dreifaltigkeit
Jules Monachin nim war ein visionärer französischer Priester, Philosoph und Mystiker, der sein Leben dem Studium und der Interpretation der Spiritualität widmete, insbesondere des faszinierenden und das Christentum begründenden Konzepts, das als Trinität bekannt ist. Die Dreifaltigkeit bezieht sich in der christlichen Theologie auf den Glauben an den „Gott in drei Personen“ – den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Monchanin hat dieses Konzept vertieft und bietet einzigartige Ideen und Perspektiven, die bei Suchenden nach mystischer Weisheit Anklang finden.
Die Dreifaltigkeit aus mystischer Sicht verstehen – Die dreifaltige Natur der Wirklichkeit erkennen
Monchanin sieht, dass das Konzept der Dreifaltigkeit nicht auf das Christentum beschränkt ist, sondern über die religiösen Grenzen hinausgeht. Er glaubte, dass die Dreifaltigkeit eine inhärente Qualität in der Struktur der Realität selbst ist. So wie es drei verschiedene, aber voneinander abhängige Personen der Dreifaltigkeit gibt, vertrittMonchanin die Ansicht, dass alles Leben aus drei voneinander abhängigen Elementen besteht: dem physischen Bewusstsein, dem spirituellen Bewusstsein und dem transzendentalen Bewusstsein als vereinendem Prinzip. Laut Monchanin liegt das Wesen der Dreifaltigkeit im Prinzip des Bewusstseins, das alle Aspekte der Existenz durchdringt. Er beschreibt das Bewusstsein als eine vereinigende Kraft, durch die sich die physischen, spirituellen und transzendentalen Aspekte ausdrücken. In diesem Verständnis fungiert das Bewusstsein als Brücke zwischen dem Materiellen und dem Göttlichen.
Die Dreifaltigkeit und die spirituelle Reise
Bei seiner Erforschung der Dreieinigkeit betonte Monchanin die Bedeutung der spirituellen Reise und der Suche nach Selbsterkenntnis. Er schlug vor, dass, so wie die Dreifaltigkeit drei Realitäten repräsentiert, Individuen eine innere Dreifaltigkeit haben – Geist, Herz und Seele – und dass man, wenn man diese drei Aspekte harmonisiert, eine transformierende Reise zum spirituellen Erwachen und zur Vereinigung mit Gott unternehmen kann.
Die Relevanz von Monchanins Trinität heute
Eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität schlagen
Monchanins Verständnis der Dreieinigkeit schlägt eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität und schafft eine umfassende Vision, die beide Bereiche integriert. Während die Wissenschaft weiterhin die Interdependenz des Universums erforscht, schaffen Monchanins Ideen einen metaphysischen Rahmen, um die Einheit aller Existenz zu erkennen.
Vielfalt und Einheit umarmen
In einer Welt, die von Spaltung und Konflikt geprägt ist, erinnert uns Monchanins Trinität an die wesentliche Einheit in der Vielfalt. Indem wir das Physische, das Spirituelle und das Transzendente anerkennen, können wir die Schönheit von Glaubenssystemen schätzen und eine gemeinsame Basis finden, um Harmonie und Verständnis zu fördern.
Die innere Dreifaltigkeit erwecken
Monchanins Konzept der Dreifaltigkeit in uns – Geist, Herz und Seele – bietet einen tiefen Weg zu persönlichem Wachstum und Selbstfindung, indem wir alle drei Aspekte unseres Wesens nähren. Wir können uns auf eine Reise der Transformation begeben, die der Fülle, dem Gleichgewicht und dem Zweck unseres Lebens folgt. Monchanins Forschungen zur Dreifaltigkeit gehen über die traditionellen religiösen Erklärungen hinaus und bieten ein mystisches Verständnis, das mit denjenigen mitschwingt, die jenseits der Traditionen nach spiritueller Weisheit suchen. Indem wir die Dreifaltigkeit der Existenz anerkennen und die Einheit der Vielfalt bejahen, können wir eine transformierende Reise zur Selbstverwirklichung und zu einer tieferen Beziehung zu Gott antreten. Monchanins Dreifaltigkeit dient als Leitlicht, das wissenschaftliche und spirituelle Aspekte miteinander verbindet und uns an die tiefe Interdependenz von physischen, spirituellen und transzendentalen Aspekten erinnert. Lassen Sie uns diese Einheit annehmen und uns auf eine Reise zu größerem Bewusstsein und spirituellem Erwachen begeben.
II. Die Lehren von Swami Abhishiktananda (Henri Le Saux)
Auf Entdeckungsreise durch Advaita Vedanta
Swami Abhishiktananda, auch bekannt als Henri Le Saux, war ein französischer Benediktinermönch, der sein Leben dem Studium und der Praxis des Advaita Vedanta widmete. Er verbrachte viele Jahre seines Lebens in Indien, tauchte dabei in die Hindu-Tradition ein und bemühte sich, die Kluft zwischen Christentum und Hinduismus zu überbrücken.
Advaita Vedanta verstehen
Advaita Vedanta ist eine Schule der Hindu-Philosophie, die die Einheit des Lebens und die letztendliche Realität, die auch als Brahman bekannt ist, betont. Das Wort „Advaita“ lässt sich mit „nicht-dual“ übersetzen. Gemäß dem Advaita Vedanta gibt es keinen Unterschied zwischen der individuellen Seele (Atman) und der universellen Seele (Brahma), da sie von Natur aus eins sind.
Die Reise von Swami Abhishiktananda
Swami Abhishiktananda verbrachte viele Jahre seines Lebens in indischen Ashrams und in tiefen spirituellen Gesprächen mit weisen Hindus. Mit dem aufrichtigen Wunsch, seinen christlichen Glauben mit den tieferen Erkenntnissen aus dem Advaita Vedanta in Einklang zu bringen, begab sich Swami Abhishiktananda auf eine bemerkenswerte Reise der Selbsterkenntnis.
Die Einheit der Spiritualität
Swami Abhishiktananda glaubte fest an die Einheit, die allen spirituellen Wegen zugrunde liegt. Er sah den Advaita Vedanta als einen Weg für den Einzelnen, religiöse Grenzen zu überschreiten und die universelle Wahrheit zu erreichen, die allen Glaubensrichtungen zugrunde liegt. Laut Swami Abhishiktananda beschränkt sich das Wesen der Spiritualität nicht auf Rituale oder bestimmte Lehren, sondern auf die direkte Erfahrung des inneren Göttlichen.
Advaita Vedanta und das Christentum
Swami Abhishiktanandas Forschungen zum Advaita Vedanta haben sein Verständnis des Christentums stark beeinflusst. Er fand Ähnlichkeiten zwischen dem Konzept von Brahman im Hinduismus und dem christlichen Verständnis von Gott. Für Swami Abhishiktananda war die Verwirklichung der nicht-dualen Realität mit dem christlichen Ideal der Vereinigung mit Gott verwandt. Wie Paulus es mit dem Vergleich des Leibes Christi ausdrückt: Wir sind, jeder für sich, viele Teile des einen Leibes, und wir gehören alle zueinander.
Die Illusion der Trennung
Eine der wichtigsten Lehren des Advaita Vedanta ist das Konzept der Maya oder der Illusion. Swami Abhishiktananda erkannte, dass unsere Wahrnehmung der göttlichen Trennung letztlich eine Illusion ist, die durch das Ego verursacht wird. Spirituelle Befreiung kann erreicht werden, indem man die Begrenzungen des Egos transzendiert und die Illusion der Trennung aufgibt.
Der Weg zur Selbstbeobachtung
Im Zentrum von Swami Abhishiktanandas Lehren stand die Praxis der Selbstbeobachtung, die im Advaita Vedanta als Atma Vichara bekannt ist. Dieser Prozess beinhaltet, die wahre Natur des Menschen zu hinterfragen und das zugrunde liegende Göttliche zu entdecken. Indem man sich mit sich selbst beschäftigt, kann man die Bewegungen des menschlichen Geistes transzendieren und die Einheit der Existenz direkt erfahren.
Im gegenwärtigen Moment leben
Swami Abhishiktananda betonte die Bedeutung des Lebens im gegenwärtigen Moment als Mittel zur Transzendierung der Zeit und des illusionären Egoismus. Man kann vollständig in die Gegenwart eintauchen und ein tiefes Bewusstsein erlangen, um sich mit dem ewigen Göttlichen zu verbinden.
Universelle Liebe und Mitgefühl
Swami Abhishiktananda glaubte, dass die sichtbare Einheit mit dem Göttlichen auf natürliche Weise zu einem Erguss von kosmischer Liebe und Mitgefühl führt. Wenn wir erkennen, dass unser eigenes Selbst göttlich ist, wird es für andere unmöglich, uns zu diskriminieren oder Vorurteile zu haben. Die Lehren des Advaita Vedanta ermutigen den Einzelnen, das Göttliche in allen Wesen zu sehen und sie mit Liebe und Respekt zu behandeln.
Swami Abhishiktanandas Reise durch das Advaita Vedanta war eine Erkundung der tiefen Beziehung zwischen Christentum und Hinduismus. Seine Lehren betonen die Einheit aller spirituellen Wege und die Universalität der göttlichen Wahrheit. Wenn man sich die Lehren des Advaita Vedanta zu eigen macht und sich auf die transformative Reise der Selbstverwirklichung begibt, kann man die ewige Einheit erfahren, die in jedem von uns wohnt.
III. Die einzigartige Verbindung: Erforschung der Vermählung zwischen Orient und Okzident – Bede Griffiths
In einer Welt der zunehmenden Globalisierung ist der Austausch von Ideen und Kulturen weiter verbreitet als je zuvor. Ein Bereich, in dem dieser Austausch besonders viele Fragen aufwirft, ist der Bereich der Spiritualität und der religiösen Praktiken. Bede Griffiths ist eine der Personen, die ihr Leben der Überbrückung der Kluft zwischen östlichen und westlichen spirituellen Traditionen gewidmet hat.
Jugend und spiritueller Weg
Griffiths wurde durch seine erste Verwurzelung in der westlichen christlichen Tradition tiefgreifend beeinflusst. Seine spirituelle Reise nahm jedoch eine entscheidende Wendung, als er den mystischen Lehren des Ostens begegnete. Durch das Studium des Hinduismus und des Buddhismus begann Griffiths die Gemeinsamkeiten zu erkennen, die diese östlichen Traditionen mit seinen westlichen Überzeugungen verbanden.
Die Hinwendung zu östlichen Traditionen
Bede Griffiths’ tiefes Interesse an östlicher Spiritualität führte ihn in den 1950er Jahren zu einer Reise nach Indien, wo er sich schließlich entschied, in einem Benediktinerkloster zu leben. Dies war der Beginn einer lebenslangen Reise, die den Westen und den Osten miteinander verband. Indem er die Lehren des Hinduismus und des Buddhismus erkundete, versuchte Griffiths, diese Traditionen mit seinen christlichen Wurzeln in Einklang zu bringen.
Interreligiöser Dialog und Zusammenarbeit
Einer der wichtigsten Beiträge von Bede Griffiths war sein unerschütterliches Engagement für den interreligiösen Dialog und die interreligiöse Zusammenarbeit. Er glaubte fest daran, dass durch eine offene und respektvolle Kommunikation Menschen verschiedener Religionen eine gemeinsame Basis finden und das gegenseitige Verständnis fördern können. So ermutigte er unter anderem Ärzte aus östlichen und westlichen Traditionen, sich zu treffen und ihre Ideen auszutauschen.
Universelle Spiritualität
Die größere Vision von Bede Griffiths war die Schaffung einer universellen Spiritualität über religiöse Grenzen hinweg. Er glaubte fest daran, dass im Herzen jeder spirituellen Tradition, unabhängig von ihrem kulturellen oder historischen Hintergrund, eine gemeinsame Wahrheit zu finden ist. Diese universelle Wahrheit bejahend, machte er sich daran, einen spirituellen Rahmen zu schaffen, der von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen genutzt werden konnte.
Die Rolle kontemplativer Praktiken
Kontemplative Praktiken spielten eine wichtige Rolle in Bede Griffiths' Erforschung der Ost-West-Ehe. Diese auf Meditation, Gebet usw. basierenden Praktiken ermöglichten es dem Einzelnen, sich enger mit dem Göttlichen zu verbinden und die Grenzen seines Egos zu überwinden. Bede Griffiths empfahl Meditationspraktiken aus östlichen und westlichen Inklusionstraditionen und erkannte deren transformative Kraft zur Förderung des spirituellen Wachstums.
Vermächtnis und Auswirkungen
Die bahnbrechende Arbeit von Bede Griffiths inspiriert und berührt Menschen auf der ganzen Welt. Sein unerschütterliches Engagement für den interreligiösen Dialog und seine Vision von universeller Spiritualität hat einen nachhaltigen Einfluss darauf, wie wir Spiritualität heute verstehen und praktizieren. Seine Schriften, Lehren und sein Werk hier vor Ort sind ein Leuchtfeuer der Hoffnung und ein bleibender Auftrag. Die Kraft der Verbindung und Solidarität zwischen Ost und West, die Vermählung von Ost und West, wie sie Bede Griffiths vorschwebte, stellt eine harmonische Vereinigung der spirituellen Traditionen dar. Seine umfassende Forschungen über östliche Philosophien und sein Engagement für den interreligiösen Dialog haben kulturelle und religiöse Unterschiede überwunden und eine universelle Spiritualität hervorgebracht. Mit ihrer einzigartigen Perspektive hat Griffiths einen unauslöschlichen Eindruck in der spirituellen Landschaft hinterlassen und uns an die Macht der Einheit und des Verständnisses in einer zunehmend vernetzten Welt erinnert. Auf dieser Reise des Bewusstseins wird deutlich, dass die Vereinigung von Ost und West nicht nur möglich, sondern auch vorteilhaft ist. Indem wir die Lehren und Praktiken beider Traditionen übernehmen, öffnen wir uns für eine Welt des spirituellen Wachstums und der Transformation. Das Vermächtnis von Bede Griffiths zeugt von der unendlichen Kraft dieser Verbindung und gibt uns einen Masterplan für eine inklusive und integrierte spirituelle Zukunft.
Schlussfolgerung
Es gibt vier „sehr“ wesentliche Säulen für unser heutiges Klosterleben, die eine universelle Dimension haben:
Säule 1: Stille und Einsamkeit.
Säule 2: Gebet und Meditation.
Säule 3: Einfachheit und Armut.
Säule 4: Gemeinschaft und Arbeit.
Die Zukunft des klösterlichen Lebens ist mit den Herausforderungen und Chancen verbunden, die eine sich schnell verändernde Welt bietet. Durch die Integration von Technologie, die Einführung eines nachhaltigen Lebensstils, die Neugestaltung von Bildung, die Öffnung ihrer Türen für Besucher und ein sensibles Gleichgewicht zwischen Tradition und Wandel können Klostergemeinschaften relevant bleiben und weiterhin ihre zeitlose Aufgabe erfüllen, für Menschen da zu sein, die in einer zunehmend chaotischen Welt Halt und Richtung suchen. So bieten sie einen Zufluchtsort des Friedens, der Weisheit und der spirituellen Erleuchtung.
„Wir brauchen eine ernsthafte und belebende liturgische Bildung“
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Liturgie
Patrick Prétot OSB
Institut Supérieur de Liturgie Institut Catholique de Paris Abtei La Pierre qui Vire (Frankreich)
„Wir brauchen eine ernsthafte
und belebende liturgische Bildung“
Das Schreiben Desiderio desideravi von Papst Franziskus, das am 29. Juni 2022 in Rom veröffentlicht wurde, stellt einen wichtigen Akt dieses Pontifikats auf dem Gebiet der Liturgie dar.[1]. Zwar scheint es sich um ein spezifisches Thema zu handeln, nämlich „die liturgische Ausbildung des Volkes Gottes“, doch in Wirklichkeit berührt es die liturgische Frage von heute, wie sie sich etwas mehr als 50 Jahre nach der umfassenden Reform stellt, die in der Konstitution Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikanischen Konzils (4. Dezember 1963) gefordert wurde. Ohne einen detaillierten Kommentar zum Text abgeben zu wollen, soll hier eine Einführung in die Lektüre gegeben werden, indem einige der Herausforderungen dieses lehramtlichen Dokuments aufgezeigt werden. Vor dem Hintergrund eines beschleunigten Wandels verschiebt Desiderio desideravi die fruchtlosen Debatten, in denen die Kirche seit der vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten Reform gefangen zu sein scheint.[2] Der Papst verortet die Überlegungen zum einen über die Ausbildung und zum anderen über eine doppelte Frage, der der Papst große Bedeutung beimisst, neu.
Einerseits stellt er sich die Frage nach der Fähigkeit des modernen Menschen, sich auf einen symbolischen Prozess und damit auf das Beziehungsuniversum einzulassen, das der christlichen Liturgie zugrunde liegt. Die Veröffentlichung eines Schreibens „über die Rolle der Literatur in der Bildung“ am 17. Juli 2024 ist in dieser Hinsicht ein Dokument, in dem die Sorge von Papst Franziskus um die „symbolische Fähigkeit“ des modernen Menschen mit besonderer Kraft zum Ausdruck kommt.[3] In der Liturgie stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie das liturgische Leben heute einen Weg zur Begegnung mit Gott bieten kann.
Auf der anderen Seite prangert der Papst unermüdlich zwei tiefgreifende Tendenzen an, die er als „Gift der spirituellen Weltlichkeit“ bezeichnet: den „Neopelagianismus“, der dazu neigt, das Werk des Menschen zu betonen, mit dem Risiko, die Liturgie in eine rituelle Leistung zu verwandeln, und den „Neognostizismus“, der dazu neigt, die Liturgie auf ein Wissen zu reduzieren, das für eine Elite bestimmt ist. In diesem Punkt bringt der Papst die Reflexe der lateinamerikanischen Welt in die Kirche ein, die die Ressourcen der Volksfrömmigkeit sehr ernst nimmt. Denn die liturgische Ausbildung, die Franziskus fördern will, zielt in erster Linie nicht darauf ab, „Wissende“ oder gar Liturgiegelehrte zu machen, sondern wirklich darauf zu achten, was die Liturgie zu erleben gibt. Man könnte sagen, dass es darum geht, das innere Wesen durch und in der Feier zu formen.
Die Liturgie: ein ständiges Anliegen des Lehramts der Kirche
Ab dem 17. Jahrhundert, vor allem aber im 19. und frühen 20. Jahrhundert, eroberte die Geschichtswissenschaft das Feld der Liturgie. Dieser historische Ansatz hat weitgehend gezeigt, dass die empfangenen Bräuche eine Geschichte haben und dass sich die Institutionen im Laufe der Zeit sehr stark und manchmal sogar radikal verändert haben. Auf dieser Grundlage kann man aus historischer Sicht nicht mehr von einer formalen Kontinuität zwischen dem Abendmahl Jesu und der Messe, sei es die des heiligen Paul VI. oder die des heiligen Pius V., sprechen. Dieses Bewusstsein, das heute oft fehlt, hat dazu aufgefordert, die Relevanz der empfangenen Erbschaften neu zu überdenken. Und auf dieser Linie hatte Papst Pius XII. zwischen 1951 und 1956 eine große Reform der Karwoche beschlossen, ein entscheidender Schritt, um über eine liturgische Erneuerung nachzudenken. Die Dynamik des Aggiornamento des Zweiten Vatikanischen Konzils sollte ein großes Reformvorhaben nach sich ziehen, das in den Jahren nach dem Konzil verwirklicht wurde. Mit einer sehr breiten Kenntnis der liturgischen Quellen folgte dieses Werk einem doppelten Prinzip: einer „Wiederbelebung der Tradition“ durch eine Rückkehr zu alten, vergessenen Praktiken (z. B. Gebet der Gläubigen) und einer Öffnung für Neuerungen entsprechend den Bedürfnissen unserer Zeit (z. B. Gebrauch der Volkssprachen). Unter diesem Gesichtspunkt wurden viele der „Neuerungen“ des Missale von 1970 von alten, oftmals aus dem christlichen Altertum stammenden Gebräuchen inspiriert und gerechtfertigt. Dieses Projekt sollte von der ständigen und wachsamen Aufmerksamkeit, aber auch der Unterstützung und sogar dem direkten Engagement von Paul VI. profitieren. In einer Katechese vom 19. November 1969, kurz vor der Einführung des neuen Römischen Messbuchs, konnte er in der Tat behaupten, dass die Reform „ein Akt des Gehorsams“ (gegenüber dem Konzil) und „ein Schritt nach vorne seiner authentischen Tradition“ sei.[4]
Trotz dieser Beteuerungen ist eine Ablehnung der Liturgiereform zu beobachten, die größtenteils unter der Leitung dieses Papstes durchgeführt wurde. Die Debatte wird immer wieder neu entfacht, ohne dass ein möglicher Ausweg erkennbar scheint. Es ist hier nicht der Ort, die komplexe Geschichte der Ablehnung des liturgischen Aggiornamento vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis zum Motu proprio Traditionis custodes (16. Juli 2021), mit dem die von Benedikt XVI. eingeführte Regelung (Motu proprio Summorum pontificum, 7. Juli 2007) beendet wurde, zu wiederholen. Dieser hatte versucht, den Widerstand gegen die Reform durch die Einführung einer doppelten Regelung für die Liturgie zu lösen: die „ordentliche Form“ nach den revidierten liturgischen Büchern und die „außerordentliche Form“ nach den liturgischen Büchern vor der Reform.
Sprachliche Ungenauigkeiten in diesem komplexen Bereich waren und sind immer noch sehr häufig, was das Risiko birgt, fruchtlose Debatten zu vervielfachen. Die Rede vom „tridentinischen Ritus“ oder vom „traditionellen Ritus“ steht im Widerspruch zu den Gedanken Benedikts XVI. Während er den Gebrauch der liturgischen Bücher aus der Zeit vor der Reform weitgehend erlaubte, stellte Benedikt XVI. klar, dass es nicht „angemessen“ ist, von „zwei Riten“ zu sprechen. Mehr noch, er bekräftigte, dass „das von Paul VI. herausgegebene Messbuch (...) selbstverständlich die normale Form – die forma ordinaria – der eucharistischen Liturgie ist und bleibt“, und forderte, dass man „aus Prinzip die Feier nach den neuen Büchern nicht ausschließen“ könne.
Nach Rücksprache mit den Bischöfen beendete Franziskus diese Regelung, indem er erklärte: „Die liturgischen Bücher, die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. gemäß den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurden, sind der einzige Ausdruck der lex orandi des Römischen Ritus“ (Traditionis custodes, Art. 1). Während die Debatte bis hin zur Gefahr der Spaltung lebhaft bleibt, erklärte er als Hüter der Einheit der Kirche erneut seine Position in Desiderio desideravi, indem er forderte, dass ein „oberflächliches“ und „reduziertes“ Verständnis des Wertes der Liturgie oder auch „ihre Instrumentalisierung im Dienste einer ideologischen Vision“ die Feier der Liturgie, die das „Zeichen der Einheit“ und das „Band der Liebe“ ist, nicht entstellen darf (Nr. 16). Seine Aufforderung an alle fasst er in einem Satz zusammen: „Die Nichtakzeptanz der Reform sowie ein oberflächliches Verständnis derselben lenken uns von der Aufgabe ab, Antworten auf die Frage zu finden, die ich wiederhole: Wie können wir in der Fähigkeit wachsen, die liturgische Handlung voll zu leben“ (Nr. 31)[5] . Und um diese Blockaden zu beheben, schlägt er zwei Wege vor, von denen man hoffen kann, dass sie ihren Weg finden, um die Wunde der Kirche in Bezug auf ihr liturgisches Leben zu überwinden.
Der Liturgie Aufmerksamkeit schenken
Es geht darum, zu versuchen, „uns von dem überraschen zu lassen, was in der Feier vor unseren Augen geschieht“ (Nr. 31). In einer Welt, die unaufhörlich die Sinne auf vielfältige Weise einfängt, ist die Aufmerksamkeit für die liturgische Handlung brüchig geworden. Die zahlreichen Debatten und sogar Konflikte über Lieder oder Gesten sind ein Symptom für diese Schwierigkeit, tief in die Liturgie als Ort der Begegnung mit dem Geheimnis eines Gottes, der zu den Menschen kommt, um sie zu retten, einzusteigen.
Diese Bitte um Aufmerksamkeit hat ihre Grundlage in der ständigen Neuheit dieser Begegnung. In der Liturgie steht die Wiederholung von Worten oder Gesten im Dienst dieser Neuheit. Wer bereit ist, sich auf diese scheinbare Wiederholung einzulassen, z. B. im Psalmengebet, erfährt die Neuheit in der Bereitschaft, den großen Dialog zwischen Gott und der Menschheit aufzunehmen. Denn es ist der Geist Gottes, der alles neu macht.
Über die Schönheit des Ostergeheimnisses staunen
Papst Franziskus entwickelt diese Spur der Aufmerksamkeit weiter, indem er zum Staunen als „wesentlicher Teil des liturgischen Aktes“ und als „Erfahrung der Kraft des Symbols“ (Nr. 26) einlädt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen ästhetischen Ansatz: Schönheit verträgt sich nicht unbedingt mit Reichtum oder einer Fülle von Mitteln – eine häufige Versuchung, die Gefahr läuft, die Feiern an die Moden einer Gesellschaft des Spektakels anzupassen. In diesem Sinne prangert der Papst zwei Exzesse an, die die Schönheit in der Liturgie daran hindern, zur Wahrheit zu gelangen. Auf der einen Seite steht die Freude daran, „nur die äußere Formalität eines Ritus zu pflegen“ oder sich „mit einer gewissenhaften Einhaltung der Rubriken“ zufrieden zu geben. Auf der anderen Seite „die entgegengesetzte Haltung, die die Einfachheit mit einer schäbigen Banalität, die Wesentlichkeit mit einer ignoranten Oberflächlichkeit oder die Konkretheit der rituellen Handlung mit einem ärgerlichen praktischen Funktionalismus verwechselt“ (Nr. 22).
Es geht in Wirklichkeit darum, über die Schönheit der Menschwerdung und des Ostergeheimnisses, das die ganze Menschheit rettet, zu staunen, also über das Geschenk Gottes, denn „die sicherlich lobenswerten Bemühungen, die Qualität der Feier zu verbessern, reichen nicht aus, ebenso wenig wie der Aufruf zu größerer Innerlichkeit“. Die Begegnung mit Gott ist nicht die Frucht einer individuellen inneren Suche, sondern ein gegebenes Ereignis“ (Nr. 24).
Eine „ernsthafte“ Ausbildung
Die zweite Spur ist die der Ausbildung: „Wir brauchen eine ernsthafte und belebende liturgische Ausbildung“ (Nr. 31). Und in diesem Satz müssen die Adjektive hervorgehoben werden, die dieses Ausbildungsprojekt qualifizieren.
Als Gegenpol zu Slogans und unbegründeten Überzeugungen steht „ernsthaft“ im Gegensatz zum Dilettantismus, der in einer Zapping-Gesellschaft so häufig anzutreffen ist. Liturgische Bildung erfordert nachhaltige Anstrengungen, die auf qualitativ hochwertigen Arbeiten basieren. In diesem Zusammenhang kann man nur die Bedeutung zahlreicher liturgischer und pastoraler Veröffentlichungen und Zeitschriften hervorheben, wobei man sich bewusst sein muss, dass die Optionen in diesem Bereich unterschiedlich und manchmal gegensätzlich sind. Angesichts eines wahren Dickichts an Meinungen erfordert eine Ausbildung in Liturgie also auch, sich einige Kompasse anzueignen, um nicht in der Verwirrung zu verharren und in der Gemeinschaft zuzuhören, denn man kann nicht allein unterscheiden.
Eine „belebende“ Ausbildung
Mit dem Adjektiv „belebend“ setzt Franziskus ein spezifisches Kennzeichen, das er im Apostolischen Schreiben Gaudete et exsultate (19. März 2018) weiterentwickelt hat, das eine wahre Abhandlung über das geistliche Leben für unsere Zeit vorschlägt. So fordert er dazu auf, sich nicht im Streben nach ritueller Leistung zu verfangen und dabei die Mission und das Leben der Nächstenliebe zu vergessen. Man kann die Säulen des christlichen Lebens nicht trennen: die martyria (die Verkündigung des Evangeliums und das Zeugnis), die diakonia (der Dienst und insbesondere der Dienst an den Armen und Kleinen) und die leiturgeia (die Verehrung Gottes). Gegen die Versuchung, die Liturgie in ein Fluchtmittel zu verwandeln, erinnert er daran, dass die Liturgie einen Weg anbietet, den Weg des Lebens des Geistes, ohne den das Zeugnis in Propaganda und die Liebe in Aktivismus verloren geht.
Wenn man von „belebender Bildung“ spricht, zielt man also auf eine spirituelle Erfahrung ab. Zu sagen, dass wir „durch die Liturgie“ gebildet werden, bedeutet, dass die Liturgie keine Leistung ist, die man mit subjektiven Kriterien (Atmosphäre, „Schönheit“ der Gesänge usw.) bewertet, sondern ein Weg der Bekehrung. Er unterscheidet zwischen der Ausbildung „für“ die Liturgie (um sie zu kennen) und der Ausbildung „durch“ die Liturgie (sich von ihr ausbilden zu lassen), stellt jedoch klar, dass die Ausbildung „für“ zwar „funktional“ ist, die zweite jedoch in seinen Augen „wesentlich“ ist (Nr. 34). Die Priorität, die einer Suche nach Atmosphäre und dem Bestreben, „etwas zu tun“, eingeräumt wird, führt dazu, diesen doch „wesentlichen“ Aspekt zu vergessen: Wir werden durch die Liturgie selbst „zu Christen gemacht“.
Diese Realität zeigt sich vor allem in den Sakramenten der christlichen Initiation. Aber es ist auch, wenn die Gläubigen gemeinsam das „Unser Vater“ beten, dass sie sich dem Sohn Gottes einverleiben, der zum Vater im Himmel betet. Wenn die Gläubigen gemeinsam „Ich glaube“ sagen, werden sie zu Bekennern des Glaubens vor und für die Welt. Wenn die Gläubigen bei der Anamnese „das Geheimnis des Glaubens“ bejubeln, bekennen sie die Herrlichkeit des Auferstandenen. Wenn sie bei der Kommunion mit „Amen“ antworten, bestätigen sie ihre Berufung als Glieder des Leibes Christi.
Schlussfolgerung
Letztendlich zeigt die Aufforderung, Bildung „für“ und Bildung „durch“ die Liturgie untrennbar miteinander zu verbinden, wie sehr Aufmerksamkeit (und nicht Urteil) die erste Haltung in der Liturgie sein sollte. Es geht darum, auf ein unsichtbares Geheimnis aufmerksam zu werden, das sich durch sichtbare Zeichen wahrnehmen lässt. In einer Welt der Hyperkommunikation (in der jedoch eine echte Beziehung sehr zerbrechlich und schwierig ist) lädt dies also dazu ein, sich von dem Wunsch fernzuhalten, die Liturgie in die Hand zu nehmen, um eine Botschaft zu übermitteln, Zustimmung zu wecken oder Überzeugungen zu pflegen. Denn es geht in erster Linie darum, an diesem göttlichen Leben teilzuhaben, das uns durch die Feier der Geheimnisse vermittelt wird.
[1] Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Desiderio Desideravi, 29. Juni 2022.
[2] Vgl. Pius X., Motu proprio Abhinc duos annos, 23. Oktober 1913, der diese Notwendigkeit zum Ausdruck brachte, indem er nicht zögerte, von der Notwendigkeit zu sprechen, „den Schmutz“ zu „reinigen“, der sich auf dem aus der Vergangenheit ererbten liturgischen Gebäude abgelagert hatte.
[3] Papst Franziskus, Brief über die Rolle der Literatur in der Bildung, 17. Juli 2024.
[4] Siehe in diesem Sinne: Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Vicesimus quintus annus zum 25e Jahrestag der Konzilskonstitution über die Liturgie, 4. Dezember 1988, Nr. 4, in dem die Frucht einer „umfangreichen und selbstlosen Arbeit einer großen Zahl von Experten und Hirten aus allen Teilen der Welt“ und vor allem ein „streng traditioneller“ Vorgang gelobt wird.
[5] Desiderio desideravi richtet sich an alle Gläubigen. Selbst unter denen, die sich auf die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils berufen, herrscht nach wie vor ein eklatanter Mangel an liturgischer Bildung. Die hier verfassten Grundsätze ermöglichen es, die große liturgische Frage, die ein Faktor der Einheit und nicht der Spaltung ist, von Grund auf anzugehen (NDLR).
Notker Wolf (1940-2024)
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Zeugen für das monastische leben
Cyrill Schäfer OSB
Erzabtei Sankt Ottilien
Notker Wolf OSB –
Missionsbenedikiner von Sankt Ottilien
(21. Juni 1940 - 2. April 2024)
Unerwartet verstarb Abt Notker Wolf am späten Abend des 2. Aprils im Flughafenhotel von Frankfurt am Main. Er hatte seit Ostermontag eine Pilgerreise auf den Spuren des heiligen Benedikt in Italien begleitet. Als er sich zunehmend unwohl fühlte, trat er vorzeitig den Heimflug nach St. Ottilien an. Bei der in Frankfurt notwendigen Übernachtung verstarb er in seinem Zimmer an einem Herzinfarkt. Nur wenige Wochen zuvor war ihm sein Kursgenosse und langjähriger Prior P. Claudius Bals in die Ewigkeit vorausgegangen.
Seinen Lebensweg haben er selbst und auch andere in verschiedenen Veröffentlichungen beschrieben, vor allem in einer 2010 erschienenen Biografie. Danach stammt die Familie aus dem Moselraum und geriet in den Kriegsjahren ins Allgäu, nach Grönenbach (Landkreis Unterallgäu, Diözese Augsburg), wo Werner am 21. Juni 1940 als erster Sohn des Schneiders und Fabrikarbeiters Josef Wolf und seiner Frau Katharina, geb. Haas, zur Welt kam. Die Kindheit war von Entbehrungen und mangelnder Ernährung geprägt, so dass der Junge im Wachstum zurückblieb und lebenslang Magenbeschwerden zurückbehalten sollte. Den Vater lernte er erst nach dessen Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft 1947 kennen. Eine Tochter kam 1952 zur Welt. Der Volksschule in Grönenbach folgte 1951 die Oberrealschule in Memmingen. Dem kränklichen, aber hochbegabten Jungen fiel das Lernen ausgesprochen leicht, vor allem in Musik und Sprachen tat er sich hervor. Eine Lebenswende ergab sich für ihn nach der Lektüre der Ottilianer Klosterzeitschrift „Missionsblätter“, an die er zufällig geriet. Die Beschreibungen hochherziger Missionarsleben in exotischen Ländern begeisterten ihn, und er konnte die Eltern überzeugen, ihn 1955 im Missionsseminar St. Ottilien anzumelden.
Die Gemeinschaft des Missionsseminars mit ihrer selbstverständlichen Kameradschaft, einer weitherzigen humanistischen Ausbildung, mit Theaterspiel und Musik sollte den Jungen sehr prägen. Nach einem Einserabitur im Sommer 1961 unternahm er mit einem Mitseminaristen noch eine Wallfahrt nach La Salette und Ars, bevor er ins Noviziat der Erzabtei einzog. Dabei erhielt er den Namen des St. Galler Klostergelehrten und Dichters Notker der Stammler, dessen musikalische Tätigkeit den Klosterkandidaten anzog. Weitere klösterliche Stationen waren die zeitliche Profess (17. September 1962) und die feierlichen Gelübde (10. Oktober 1965). Ab dem Wintersemester 1962 besuchte er das Philosophiestudium in Sant’Anselmo. Seine römische Studienzeit fiel mit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammen, das ihn nach seiner Aussage im Bereich von Liturgie, Kirchen- und Missionsverständnis tief prägte. Ab dem Wintersemester 1965 wechselte er zum Theologiestudium nach München, bei dem der Student schon im Hinblick auf seine Promotion zahlreiche Kurse in Philosophie und in verschiedenen naturwissenschaftlichen Fächern belegte. Die Priesterweihe fand – damals durchaus üblich – noch während des Theologiestudiums am 1. September 1968 statt. Nach dem Abschluss an der Münchener Universität im Jahr 1970 begann Pater Notker eine Promotion im Bereich Naturphilosophie in Sant’Anselmo (Betreuung durch Prof. Dr. Zeno Bucher OSB, für dessen Nachfolge er wohl gedacht war) und gleichzeitig auch schon eine Unterrichtstätigkeit in diesem Fachbereich sowie in Wissenschaftstheorie und Grenzfragen. In diesen Jahren tauchte er auch tief in die Stadtwelt Roms ein, so dass er das ihm sehr vertraute Italienisch mit dem weichen römischen Akzent sprechen sollte. Die Promotion über das „zyklische Weltbild der Stoa“ erfolgte 1974. In Sant’Anselmo leitete er auch die Schola. Die von ihr herausgegebene Einspielung „Jubilate Deo“ sollte er später mit seinem Abtsmotto aufgreifen.
Eine Lebenswende ergab sich im Spätsommer 1977: In einer Kettenfolge von Ereignissen wurde beim Äbtekongress überraschend Abtprimas Rembert Weakland zum Erzbischof von Milwaukee ernannt, worauf der Ottilianer Erzabt Viktor Josef Dammertz zum Nachfolger gewählt wurde. Der Konvent der Erzabtei wählte daraufhin am 10. Oktober 1977 den römischen Professor Notker Wolf zum neuen Erzabt. Glücklicherweise begleitete der neue Abtprimas Viktor seinen Nachfolger noch beim Generalkapitel 1977, dessen Berichte und Einblicke dem neuen Klosterleiter sehr halfen, um in das noch ganz unbekannte Gebiet der Kongregationsleitung eingeführt zu werden. Ein weiterer Glücksfall war, dass der neue Obere von der Hausleitung dank des sehr kompetenen Priors Paulus Hörger (1910-1996) weitgehend entlastet war. Zur Erzabtei zählten damals juristisch etwa 380 Mönche (von ungefähr 1100 Missionsbenediktinern insgesamt), davon etwa die Hälfte in der Auslandsmission. Der Amtsstil des neuen Klosterleiters wurde als „rapidissimo“ (sehr schnell) beschrieben, was allerdings aufgrund der hohen Intelligenz, einer großzügigen und vertrauensvollen Bereitschaft zur Delegation, einem ausgeprägt mitbrüderlichen Stil und einen menschenfreundlichen Humor nicht als belastend empfunden wurde.
Dank einer weitgehenden Freistellung von innerklösterlichen Aufgaben konnte der Erzabt alljährlich mehrere Auslandsreisen zu den Häusern der Kongregation unternehmen. Auch dank des dynamischen Amtsstils des neuen Erzabtes ergaben sich dabei eine Vielzahl von Akzentverschiebungen, die der Kongregation notwendige Weiterentwicklungen ermöglichten. Dazu zählten der Wechsel von klassischer europäischer Mission zu einheimischen Ortskirchen, die damit verbundene Umstellung der Missionsklöster auf die Übernahme diözesaner Sonderaufgaben, der Übergang vorrangig europäischer in lokale Gemeinschaften, die Begleitung oder Integration einheimischer Gemeinschaften wie in Indien oder im Togo, Neugründungen wie in den Philippinen mit einem vorrangig monastischen Ansatz oder auch die Öffnung für den interreligiösen Dialog. Gerade dieser lag Erzabt Notker am Herzen, so dass er den bis heute währenden Austausch zwischen christlichen und buddhistischen Klöstern ermutigte und dafür viele Male buddhistische Klöster in Japan besuchte.
Zu einem besonderen Anliegen wurde Erzabt Notker der Austausch mit der chinesischen Kirche. Nach der Ausweisung der europäischen Missionare seitens der chinesischen Regierung im Jahr 1952 war der Kontakt mit den dort aufgebauten Pfarreien abgebrochen. Nach einer ersten verhaltenen Öffnung Chinas unternahm Erzabt Notker 1985 eine Reise in die ehemalige Diözese Yenki/Yenji im chinesischen Nordosten. Auf abenteuerlichen Wegen konnten die verbliebenen Christen erreicht werden, die vielfach schwere Schicksale hinter sich hatten. Die Erzabtei begann daraufhin eine Reihe von Hilfsprojekten für die ehemaligen Missionsgebiete (heute Diözese Jilin), wozu unter anderem der Neubau des Priesterseminars, der Bau eines Krankenhauses, Bauten von Kirchen, Schulen und Kindergärten, Sozialprojekte, Weiterbildung der örtlichen Priester und Ordensleute und vieles mehr erwuchsen. Vor allem aber wurden die menschlichen Kontakte verstärkt durch zahlreiche Einladungen nach Deutschland und Gegenbesuche in China. Besonders vertrauensbildend waren dabei mehrere größere chinesische Bischofsdelegationen in Deutschland. Auch in den ehemaligen Missionsgebieten Nordkoreas gelang ein sozialer Einsatz durch den Bau eines Krankenhauses in der Nähe des ehemaligen Bistumssitzes Wonsan.
In St. Ottilien begleitete Erzabt Notker eine Reihe von Erneuerungsprozessen wie die Schließung nicht mehr haltbarer Außenstationen und Betriebe, verstärkte Einbindung von Laienkräften, liturgische Erneuerungen oder die große Kirchenerneuerung, wobei jeweils die Gemeinschaft umfassend einbezogen wurde, so dass es wenig Konflikte gab. Vor allem aber führte er Stiländerungen herbei, die einen eher hierarchischen Stil in horizontale Umgangsformen überführten. Dabei zeigte er sich nicht berührungsscheu und trat auch als „rockender Erzabt“ mit E-Gitarre bei Auftritten der früheren Schülerband „Feedback“ auf. Ebenso beherrschte er aber das klassische Repertoire, das er über Jahrzehnte hinweg am Benediktusfest bei der Weiherserenade auf der Querflöte präsentierte.
Schon beim römischen Äbtekongress 1996 war Erzabt Notker als Abtprimas im Gespräch, was von ihm zurückgewiesen wurde, indem er vor allem auf die laufenden und sehr komplexen Projekte in China verwies. Als sich aber im Jahr 2000 wieder die Frage nach einem neuen Abtprimas stellte, konnte Erzabt Notker eine Annahme nicht mehr zurückweisen und stellte sich am 7. September zur Verfügung. Als Abtprimas setzte er seine gewohnte und von ihm auch gerne durchgeführte Reisetätigkeit weiter fort. Bei seinen Klosterbesuchen kam ihm neben seinen Sprachkenntnissen (er sprach neben Deutsch fließend Englisch, Italienisch, Französisch und konnte sich in mehreren anderen Sprachen ausdrücken) vor allem die Fähigkeit zugute, dass er sich auf jede Situation und jeden Menschen einlassen konnte und dabei eine starke Präsenz und echtes Engagement zeigte. In Sant’Anselmo stand unter anderem ein großes Renovierungs- und Modernisierungsprogramm an, wozu unter anderem Raumsanierungen, neue Fenster, ein leistungsfähiges Internetsystem, Umbauten der Hochschule und vieles mehr gehörten, wofür eine Vielzahl von Abstimmungen und Gremienarbeit in der Hochschule und mit dem Orden, dem Vatikan und den römischen Behörden nötig war. Am 13. Oktober 2012 wurde er beim Äbtekongress für eine weitere Amtsperiode von vier Jahren bestätigt. Beim folgenden Generalkapitel konnte er dann am 9. September 2016 sein Amt in die Hände seines Nachfolgers Gregory Polan weitergeben.
Vor seiner Rückkehr ins Kloster schenkte ihm die benediktinische Konföderation noch eine Weltreise, damit der weitgereiste Abt die Orte, die er meist nur im Schnelltempo berührt hatte, mit etwas mehr Muße besuchen konnte. Anschließend kehrte er nach St. Ottilien zurück, das er mit großer Überzeugung immer „meine Heimat“ nannte. Auch wenn er nun von allen Verpflichtungen freigestellt war, engagierte er sich noch im Kloster im Bereich der Zukunftsplanung, Spendenakquise, öffentlichen Auftritten und fand immer wieder ein treffendes Wort bei Konventsdiskussionen. Vor allem aber nahm er ein beeindruckendes und manchmal geradezu unfassbares Pensum von Vorträgen, Radiosendungen, Fernsehauftritten, Einkehrtagen, Exerzitien, Festgottesdiensten und Veranstaltungen aller Art auf sich, die ihn kreuz und quer durch Deutschland und die gesamte Welt führten. Dank einer eisernen Disziplin und einem hohen Selbstanspruch von Verfügbarkeit für die Mitmenschen bewältigte er dieses Programm, auch wenn er damit manchmal Raubbau an seiner Gesundheit trieb. Andererseits inspirierten und erfreuten ihn die Begegnungen mit anderen Menschen, so dass sein Mammutprogramm auch für ihn immer ein Lebenselexier war. Den hohen Anspruch an sich selbst formulierte er in seinen sozialkritischen und geistlichen Schriften, worin dem Einzelnen viel Freiheit, aber auch viel Verantwortung zugetraut oder zugemutet wird. Ein Ruhepunkt blieb für ihn auch immer das Stundengebet, das er gerne und treu besuchte, und das Gemeinschaftsleben, das ihm offensichtlich Freude bereitete.
Eine besondere Erwähnung verdient die literarische Tätigkeit. Diese beschränkte sich über Jahrzehnte auf gelegentliche wissenschaftliche Abhandlungen und geistliche Impulse. Dies sollte sich nach der Wahl zum Abtprimas mit seinem etwas weniger dichten Pflichtprogramm ändern. Der Hamburger Rowohlt-Verlag lud ihn im Jahr 2005 zu einer Buchproduktion ein, woraus das im folgenden Jahr erschienene Werk „Worauf warten wir?“ entstand, das provokante Thesen zur gesellschaftlichen Situation in Deutschland aufstellte und Abtprimas Notker zum Bestsellerautor avancieren ließ. Seitdem veröffentlichte Abt Notker jährlich mehrere Titel oder verfasste Impulstexte für Zeitschriften, die teilweise hohe Auflagen erreichten und ihm viel Sympathiewerte in der Öffentlichkeit einbrachten, da er seine reiche Lebens- und Glaubenserfahrungen gut verständlich und in Klartext vermittelte.
Unter den gut 30 Ehrungen und Preisen, die Abt Notker erhielt, seien nur der Bayerische Verdienstorden (1986), das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (2007) und die Bayerische Staatsmedaille für Soziale Verdienste (2021) sowie zwei Ehrendoktorate und mehrere Ehrenbürgerschaften (u.a. Norcia und Grönenbach) erwähnt.
Abschied von Notker Wolf
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Zeugen für das monastische leben
Jeremias Schröder OSB
Abtprimas, Sant’Anselmo/Rom
Abschied von Notker Wolf
Predigt beim Requiem am 6. April 2024
„Konservativ, aber mit weitem Herzen.“ Das steht in einem alten Tagebuch über meine erste Begegnung mit Erzabt Notker, als ich 1982 als Gymnasiast eine Woche in St. Ottilien war.
Heute, 42 Jahre später, stehe ich und steht unsere ganze Gemeinschaft am Sarg. Viele Tausende auf der ganzen Welt sind in Gebet und Trauer mit uns verbunden. Hunderte Trauernachrichten haben uns erreicht. Sehr oft sind das keine vorgestanzten Kondolenzworte, sondern sehr persönliche Zeugnisse. Viele berichten, wie Notker ihnen wichtig war, wie er ihnen persönlich geholfen hat, mit Ermutigung und Förderung, mit gutem Wort und Beispiel, mit seinem Humor oder mit seinem Einfühlungsvermögen.
Man kann dem allen kaum gerecht werden, aber versuchen muss man es doch.
Mit 37 wurde Notker der Abt unserer Gemeinschaft. Sehr jung, frisch, zurück aus Rom wo er als Philosoph und Cantor tätig gewesen war. Ein Überraschungskandidat, der einen Außenblick mitbrachte. 23 Jahre lang leitete und formte er unsere Gemeinschaft. Er tat das nicht allein - viele andere halfen ihm dabei, wie das bei Benediktinern üblich ist. Aber seine Art war doch prägend. Nach vielen Jahren des vorsichtigen Tastens, wie denn wohl unser Missionsbenediktinertum in dieser neuen nachkonziliaren Zeit zu leben sei, kam Notker mit jugendlichem Elan und einer gewissen Unbekümmertheit. Die römischen Jahre hatten ihn Offenheit gelehrt, urbane Umgangsformen, pragmatische Flexibilität. Er brachte ein Grundvertrauen mit, dass die Welt so schlecht nicht ist, dass Gott es mit uns gut meint, und dass unser Kloster und auch er – der Notker – einen Platz und eine Aufgabe in dieser Welt haben.
In einer der Biographien wurde aus dramaturgischen Momenten ein sehr schwarz-weißes Bild gezeichnet. Vor Notker und seit Notker. Das was übertrieben, denn dieses Kloster war immer größer und weiter als es ein Einzelner sein konnte. Aber Notker brachte doch einen heiteren Optimismus ein in diese Klostergemeinschaft, die sich langsam ihren Weg durch das Auf und Ab des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts bahnte.
Vor acht Jahren kam er als ehemaliger Abtprimas sehr selbstverständlich zu uns zurück, ohne Umwege oder Sperenzchen. Er war nicht der emeritierte Prälat, sondern ein Mitbruder, dessen Präsenz unseren Alltag bereicherte. In diesen Tagen spüren wir schmerzhaft, wie sehr er uns in diesem Alltag fehlt.
Als Erzabt war er für die Leitung der ganzen Kongregation zuständig. Es war eine Zeit der Umbrüche. Die alten Missionsgebiete wurden zu Diözesen. Mission wurde kritisch hinterfragt, wurde von vielen auch abgelehnt. Notker, der aus Missionsbegeisterung den Weg hierher gefunden hatte, vermochte unserer alten Sendung eine neue Form zu geben: Klöster gründen, wo es noch kein Mönchtum gibt; Klöster als lebendige Zentren für Ortskirchen und Gesellschaften; Missionare mussten nicht unbedingt aus Bayern kommen. Korea und Tanzania konnte gerade so gut Missionsbenediktiner aussenden. Gerne förderte er Aufbrüche und Gründungen, auch da, wo es schwierig bis absurd klingt: Kloster im kommunistischen China. Das probieren wir. Ein Krankenhaus in Nordkorea. „Why not?“ Philippinen und Zaire, Uganda und Togo. Nicht alles gelang, aber vieles eben doch. Es war die Dynamik des heutigen Evangeliums, die ihn nicht losließ: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“
2000 kam etwas Neues, damals sehr unerwartet: Abtprimas in Rom. Gesehnt hat er sich danach nicht. Ich war dabei, als ihn beim Einpacken in seinem hiesigen Büro einmal die Rührung des Abschieds überkam. Für Sant’Anselmo hatte er große optimistische Pläne, und musste dann ganz schnell akzeptieren, dass etwas viel Banaleres von ihm gefragt war: das stolze Benediktinerkloster auf dem römischen Aventin war im Laufe von 100 Jahren zu einer schönen Bruchbude geworden. Anstelle von aparten Neugründungen ging es jetzt ums Renovieren und Sanieren. Er gewann Helfer, im Orden und außerhalb, mit denen er sich an die Arbeit machte. Über 16 Jahre lang machte er Sant’Anselmo wieder fit für die Aufgabe, unserer großen weltweiten Ordensfamilie den Ort zu bieten, wo wir lernen, über die engen Mauern unserer Klöster hinauszublicken, Kirche zu verstehen, und Verschiedenheit Wert zu schätzen. Einen Ort, an dem uralte monastische Weisheit der ganzen Welt dargeboten wird.
Dabei gab er sich kaum mit dem vatikanischen Apparat und mühsamer Gremienarbeit ab. Das wurde manchmal kritisiert, aber es hat uns kaum geschadet. Mit seiner globalen Präsenz – die vielen Flugkilometer, von denen immer wieder die Rede ist - stärkte er das Bewusstsein, dass zehntausende von Ordensleuten, hunderttausende von Schülern und viele mehr eine echte Familie sind.
Dann sind da noch so viele andere, denen er viel bedeutet hat. Da ist seine Familie, vor allem seine Schwestern Rita, die heute hier mit uns trauert. Freunde aus allen Phasen seines Lebens. Menschen, die irgendwann seine Pfade gekreuzt haben und denen er über Jahre und Jahrzehnte verbunden blieb. Notker hatte Leidenschaft für Menschen. Oft wurden seine Email-Antworten gerühmt, die meistens schon nach wenigen Stunden ankamen und zu allen Zeiten der Nacht und des Tages entstanden. Keine Terminanfrage war ihm zu abstrus. Wenn im Kalender noch ein wenig Platz war, dann sagte er zu, kam und las, oder musizierte, hielt eine Messe oder einen Vortrag, taufte, verheiratete, er begleitete eine Pilgerfahrt, wie noch zu Anfang dieser Woche. Er verschenkte sich, großzügig und spielerisch.
Ein ganzes Bündel von Eigenschaften halfen ihm, der Notker zu werden, als den wir ihn heute erinnern. Ein paar will ich nennen:
Da war die Treue: wenn Notker mal zu einem hielt, dann wurde das kaum je erschüttert, selbst wenn die kluge Vorsicht anderes nahelegte. In diesen Tagen haben mir etliche Mönche geschrieben, denen er in Rom und anderswo zu einer zweiten oder auch dritten Chance verholfen hatte. Klöstern, deren Untergang schon ausgemacht schien, hat er versucht, doch noch einen Weg in die Zukunft offen zu halten, nicht selten mit Erfolg. Als vor einiger Zeit die Katholische Bibelföderation ins Trudeln kam, ließ er sich auf eine jahrelange Plackerei als Vorsitzender ein. „Den glimmenden Docht löscht er nicht aus“, heißt es bei Jesaja. Notker lebte das.
Fast wie ein Widerspruch dazu, aber eigentlich eher wie eine Ergänzung, war er aber auch bereit, sich ins Unvermeidliche zu fügen, und dann auch wieder mit vollem Einsatz. Die Wahlen von 1977 zum Erzabt und von 2000 zum Primas, die sein Leben wahrlich umgekrempelt haben, waren nicht geplant. Manches geschah in seinen 39 Jahren im Leitungsamt, das er sich anders gewünscht hätte. Hier stoßen wir auf ein Geheimnis des menschlichen Lebens, das man heute gerne Unverfügbarkeit nennt, und das mit Gott zu tun hat. Notker war kein Planungsfetischist. Er wusste, dass wir nicht alles vorhersagen und planen können. Er ließ sich nicht frustrieren und konnte das Unerwartete als Geschenk und Gnade annehmen, oder wenigstens als Aufgabe. Seine Liebe zur Musik hat etwas damit zu tun: es war ja immer lebendige Musik, keine Konserve. Musik, die im Moment neu entsteht und die unverfügbar ist, bis sie erklingt. – Jubilate Deo!
Schließlich habe ich an Notker eine ganz tiefe Christusliebe wahrgenommen. Er konnte über vieles lachen und über manches spotten, gerne auch über klösterliche Marotten und kirchliche Absurditäten. Aber bei den wesentlichen Dingen war er richtig fromm! Es war ihm ein Ärgernis, wenn – gerade in unseren Kreisen – Gott nicht ernst genommen wurde. Verkündigung und Nachfolge hielten ihn in Bewegung, waren der tiefere Grund seiner scheinbaren Rastlosigkeit.
Nach der Christusliebe kann ja eigentlich nichts mehr kommen, oder?
Eines will ich doch noch nennen, und ich stelle es an den Schluss, weil es unser Schlüssel zum Leben von Notker ist. Der frühere Erzabt von Pannonhalma in Ungarn, Asztrik Várszegi, durfte einmal eine Laudatio auf Notker halten und sagte am Ende: „Vor allem aber, er war ein Mensch!“
Alle, die heute hier sind werden da zustimmen. Humanität kam aus jeder Pore von Notker. Strukturen, Systeme, Pläne – als gescheiter Mann und Philosoph der er war, konnte er damit gut umgehen. Aber am meisten lag ihm an den Menschen. Darin war er Dem ähnlich, Dem er sein Leben lang nachgefolgt ist. Notker hat die Menschen geliebt. Das war oft erfrischend irdisch, aber es war auch durchzogen von dieser Gottesliebe für die Welt, von der im Johannesevangelium die Rede ist. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für uns dahingab.“
Wir sind traurig, dass Notker nicht mehr bei uns ist. Aber wir sind vor allem dankbar, dass er so wie er war und so lange bei uns war. Amen - Alleluja.
Lazare (Hélène) de Rodorel de Seilhac OSB
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Zeugen für das monastische leben
Marie-Madeleine Caseau OSB & Fabienne Hyon OSB
Kongregation Sainte-Bathilde
Lazare (Hélène) de Rodorel de Seilhac OSB
(10. August 1928 - 27. November 2023)
Es ist uns eine Freude, das zu teilen, was wir von Mutter Lazarus empfangen haben, sowohl in der Gemeinschaft, in der Kongregation der heiligen Bathilde, als auch auf der Ebene der Nonnen in Frankreich, Afrika und anderswo. In den Tagen nach ihrem Tod erhielten wir viele Zeugnisse von denen, die sie geprägt hat, und von denen, denen sie begegnet ist. Jeder, jede kann ein Wort bezeugen, das sie begleitet und sie in dem einen oder anderen Moment erleuchtet hat.
Wenn sie uns die Regel des heiligen Benedikt kommentierte, sagte sie: „Nicht weil es in der Regel steht, tut man dieses oder jenes, sondern weil es gut ist, steht es in der Regel“. Oder: „Die Regula ist ein Unterscheidungshandbuch. Man passt die RB nicht an, die RB bildet Menschen aus, die sich anpassen“. Wir werden versuchen, einige ihrer Einsichten, die uns geprägt haben, zu teilen, und hoffen, dass sich auch andere von diesem Zeugnis bewegen lassen und diese Worte des Lebens weitergeben.
Die Verstorbene wurde am 10. August 1928 in Paris geboren und bewahrte eine große Liebe zu ihren familiären Wurzeln in der Corrèze (Nouvelle-Aquitaine), vor allem zu ihrem Elternhaus im kleinen Örtchen Le Mons. Mit ihren beiden älteren Brüdern verband sie viele gute Erinnerungen. Während ihres Studiums der klassischen Literatur besuchte sie den Kreis Saint-Jean-Baptiste mit Pater und später Kardinal Jean Daniélou (1905-1974), der sie in die Bibel einführte. Zu dieser Zeit entdeckte sie das Benediktinerinnenkloster in Vanves und besuchte es regelmäßig. Als sie ihren Eltern von ihrem Wunsch, ins Kloster einzutreten, erzählte, beschloss ihr Vater, sie davon abzubringen, und versuchte mit verschiedenen Erfahrungen, ihren Entschluss zu ändern. So arbeitete sie eine Zeit lang in einer Fabrik, wovon sie bis in ihr Alter hinein erzählte, so sehr hatte sie diese Entdeckung des Atheismus, der sie als Erscheinung faszinierte, geprägt! Ihr Vater schenkte ihr eine Reise nach Griechenland, die sie sehr begeisterte. Als er schließlich einsah, dass er sie nicht von ihrer Berufung abbringen konnte, erlaubte er ihr, im Februar 1953 in Vanves einzutreten. Dort legte sie im Februar 1956 ihre Profess ab und am 24. Juni 1961 ihre ewige Profess. Sie unterrichtete Latein und zeigte als Novizin einen vorbildlichen Eifer. 1976 promovierte sie in lateinischer Philologie über die Einflüsse der Augustinusregel in der Regel des hl. Cäsarius von Arles.
Ab den 1970er Jahren leitete sie zahlreiche Sitzungen über Patrologie und die Benediktusregel für Klöster in Frankreich und im französischsprachigen Afrika. Viele Jahre lang organisierte sie in Jouarre Patristik-Sitzungen zur Ausbildung von Novizenmeisterinnen in Frauenklöstern. Dabei bestand sie darauf, dass die Schwestern zu den Quellen gingen und Originaltexte lasen, um sie zu verinnerlichen und „Honig“ daraus zu saugen. Sie beteiligte sich auch an der Übersetzung monastischer und patristischer Texte ins Französische in Zusammenarbeit mit Schwester Lydie Rivière. Für die Frauenklöster in Frankreich leitet sie ebenfalls zahlreiche Tagungen über die Arbeit und das Gleichgewicht des klösterlichen Lebens.
1968 wurde sie zur Klaustralpriorin des Stadtklosters Vanves bestimmt, während ein Teil der Gemeinschaft, Priorin und Noviziat, in das ländliche Kloster Saint-Thierry übersiedelte, wobei es ein gemeinsames Kapitel für beide Gemeinschaften gab. 1974, als die Vermietung der in Vanves freigewordenen Räumlichkeiten geregelt war, siedelte auch Sr. Lazare nach Saint-Thierry um. Neben der Liturgie und der Sakristei, neben dem Unterricht für die Schwestern in Ausbildung, übernahm sie die Leitung der Druckereiwerkstatt. Sie beherrschte die Kunst, für alle Praktikantinnen, die im Kloster vorbeikamen, irgendeine Arbeit zu finden. Sie konnte auch ihre Forschungen fortsetzen, beteiligte sich am Rat der AIM, an der Gründung von STIM und hielt 25 Jahre lang Patrologiekurse am Priesterseminar in Reims.
Viele Jahre lang arbeitet sie mit Schwestern zusammen, um das Schreiben unserer Konstitutionen zu begleiten. Diese wurden 1982 genehmigt, und sie stellte in mehreren Sitzungen den Schwestern die Neufassung vor.
Im Jahr 2003 wurde sie im Alter von 75 Jahren noch zur Priorin von Vanves gewählt und setzte ihren Dienst bis 2010 fort. Sie sorgte für Kontinuität, während die Kongregation nach Wegen suchte, wie sie die Präsenz in Vanves fortsetzen konnte. Nach dem Generalkapitel 2010 kamen dort mehrere Schwestern an, so dass sie nach Saint-Thierry zurückkehren kann, während Mutter Marie-Madeleine sie als Priorin ersetzt.
Diese letzte Zeit in Saint-Thierry war geprägt von einem schwierigen, aber beharrlichen Schreiben an einer Geschichte unserer Kongregation mit der Hilfe und Unterstützung von Schwester Marie-Samuel, einer Geschichte, deren Früchte sie uns im Laufe des Jubiläumsjahres (2021) mitteilt. Sie hat diese Arbeit nicht vollenden können, sondern war bis zum Schluss ihres Lebens noch damit beschäftigt.
Vielleicht können wir vier Merkmale ihrer wissenschaftlichen Arbeit festhalten:
– Ein konsequentes und professionelles Quellenstudium und eine ständige Rückkehr zu den Quellen
– Diese Texte zugänglich machen (Kontext und literarischer Stil, Sprache).
– Ein weiblicher, aber nicht feministischer Ansatz.
– Auch schwierige Themen haben ihren Sinn, wobei sie in einem bewährten Glaubensgehorsam bearbeitet werden müssen.
Über all ihr Engagement und ihre Forschungen hinaus bleibt uns das Zeugnis einer Schwester, die sich nie vor einem Dienst in der Gemeinschaft „gedrückt“ hat, die immer rücksichtsvoll gegenüber Schwestern in Schwierigkeiten war, einer Schwester, die an das monastische Leben glaubte und durch ihre Art zu sein bezeugte, was sie lehrte, einer Ältesten, die es verstand, den Jüngeren zu vertrauen, und die aus Überzeugung die Öffnung des Herzens praktizierte, auch wenn es ihr gelegentlich schwer fiel. Am Schluss noch einige Gedanken von Sr. Lazare als Beispiel, wie sie uns und viele Freunde der Gemeinschaft in geschwisterlicher Weise aufgebaut hat.
Gedanken von Mutter Lazare
„Als ich als junge Postulantin eine Treppe hinunterging, trat ich versehentlich in einen schönen Krug, der gerade dort stand, und zerbrach ihn. Mit reumütigem Herzen suchte ich die Oberin auf und gestand ihr den Fehler. Sie antwortete mir: ,Nur wer nichts tut, macht auch keine Fehler.‘ Ich war erstaunt und erleichtert über diese tröstliche Reaktion und setzte mein Klosterleben fort. In der nächsten Woche zerbrach ich beim Abwaschen versehentlich eine alte, kleine Untertasse, die bereits einen Sprung hatte. Vielleicht vom Dämon der Acedia beseelt, auf jeden Fall aber froh über die Gelegenheit zum Gespräch, machte ich mich auf den Weg, um meiner Oberin den neuen Fehler zu beichten. Daraufhin erhielt ich eine denkwürdige Abreibung: Wenn Sie ein junger Haushalt ohne Geld wären, würden Sie dann so wenig Wert auf den Respekt vor den materiellen Gütern der Küche legen? Usw. Ich ging weg rot vor Verlegenheit und gestärkt durch diese hilfreiche Lektion des klösterlichen Lebens, die mich mein Leben lang begleitet hat.“
„Im Kloster findet man alle Laster der Kirche und der Welt, aber da es kein Entkommen gibt, sind sie sichtbarer als anderswo. Und im Kloster weiß jede, dass auch die anderen gekommen sind, um gegen die Dämonen zu kämpfen.“
„Ihnen wird regelmäßig erklärt, dass Mönche deshalb so oft sehr alt werden, weil sie ein leichteres Leben haben als in der Welt. Das glaube ich nicht. Mönche werden alt, weil sie bei diesem besonderen Kampf, der ihre eigentliche Berufung ist, also dem Kampf gegen die inneren Dämonen als Teil des Kampfes, um das Böse in der Welt zurückzudrängen, viel Zeit und unendliche Geduld brauchen. Und Gott gibt seinen Arbeitern alle Zeit, die sie brauchen.“
„Unter einer Regel zu leben bedeutet, dass man in einer Tradition steht. Die Regel des heiligen Benedikt ist eine Summe von Erfahrungen, die in den Klöstern auf der Suche nach Gott gemacht wurden. Sie lehrt die Brüder, wie sie Ihn durch eine Praxis, die verinnerlicht werden muss, entdecken können. Von einer Regel geleitet zu werden, ist ein Zeichen dafür, dass wir uns von denen unterweisen lassen, die uns vorausgegangen sind.“
„Wir sind immer versucht, das, was uns gefällt, als gut und das, was uns nicht gefällt, als schlecht zu bezeichnen. Die Regel hindert uns daran, dieser Versuchung nachzugeben (Kap. 1): Sie sagt, was Gott gefällt.“
„Die Mönche leben in einem Kloster, einem Gebäude: Es ist also ein sichtbares Haus, ein Ort, an dem man sich bemüht, das Wort Gottes aufzunehmen, ein Ort, der für ein gemeinsames, dauerhaftes, stabiles und solides Leben geeignet ist, dessen Unterhalt schwer ist, in den man sich zwangsläufig und geistig einbringt, es ist ein Ort, der auf die Klostermauern beschränkt ist, wenn man sie verlässt, muss man in denselben Lebensanforderungen bleiben“ (zu RB 50).
„Das Leben in der Klausur eines Klosters erinnert daran, dass man nicht vor dem ,Schlachtfeld‘ des spirituellen Kampfes fliehen sollte und Gott in der Realität des Lebens auf der Erde sucht.“
„Wir müssen uns daran erinnern, dass eine ständige Gefahr darin liegt, bewusst beten zu wollen. Das erzeugt eine innere Spannung oder ein Schuldgefühl, das uns daran hindert, uns auf das eigentliche Beten einzulassen. Oft ist es dieser Wunsch, sich des Betens bewusst zu sein, der uns das Gefühl gibt, hin- und hergerissen zu sein, der uns denken lässt, dass es bessere konkrete Bedingungen zum Beten gäbe oder dass es wichtig sei, sich anzustrengen; wir vergessen, dass es Gott ist, der sein Werk in uns tut, dass das Gebet nicht von uns kommt.“
Reise nach Indien (Februar 2024)
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Nachrichten
Jean-Pierre Longeat OSB
Reise nach Indien
4. bis 11. Februar 2024
Sonntag, 4. Februar
Heute morgen geht es von Paris nach Bangalore, um am jährlichen Treffen der indischen Klosteroberen (ISBF) teilzunehmen. Dieses soll in Shanthivanam stattfinden, dem von Pater Henri Le Saux und Pater Jules Monchanin gegründeten Ashram.
Montag, 5. Februar
Gut angekommen in Bangalore, Südindien, in der Nacht von Sonntag auf Montag, um Mitternacht. Dort musste ich zu einem anderen Terminal gehen, um einen zweiten Flug in die etwas weiter südlich gelegene Stadt Tiruchirapalli zu bekommen. Der Flug ging erst um 6.30 Uhr morgens, so dass ich einen bequemen Platz suchte, um die Zeit abzusitzen. Bei der Ankunft in Tiruchirapalli warteten drei Mönche auf mich, darunter der Obere von Shanthivanam, um zu diesem Kloster zu gelangen, in dem das Treffen aller Klosteroberen der Benediktinerfamilie in Indien (ca. 70 Gemeinschaften) stattfindet. Im Rahmen dieser Sitzungen soll ich einen Vortrag zur Arbeit von AIM halten.
Dienstag, 6. Februar
Das Kloster ist völlig inkulturiert, was das Gebet betrifft, aber auch die Mahlzeiten und den Lebensstil, es ähnelt einem Hindu-Ashram. Das Leben ist einfach. Das Essen ist das der lokalen Bevölkerung und besteht aus Reis, Gemüse und Obst: Die Ernährung ist vollständig vegetarisch.
Die Gebete ähneln denen, die im Hinduismus praktiziert werden. Alle Gottesdienste beginnen mit der bekannten Anrufung „Ôm“. Die Liturgie wird mit einer Mischung aus Psalmen und Gebeten aus verschiedenen Traditionen fortgesetzt: syrisch, hinduistisch, lateinisch. Alle Teilnehmer sitzen die ganze Zeit über einschließlich der Eucharistie. Es gibt verschiedene Riten, die mit dem Symbol des Lichts und des Feuers verbunden sind, wie auch Zeichen, die auf die Stirn gezeichnet werden und zwar mit Flüssigkeiten, die mit Pulver vermischt sind. So verlässt man die Kirche mit einem roten, weißen oder gelben Zeichen auf der Stirn.
Die Architektur besteht aus kleinen Einsiedeleien. Die heutige Gemeinschaft gehört zum Kamaldulenserorden und passt gut in deren spezielle Spiritualität.
Gestern wurden im ersten Vortrag die drei Gründer der Gemeinschaft vorgestellt: Pater Henri Le Saux, Pater Jules Monchanin und später Pater Bede Griffiths. Pater Martin aus Shanthivanam hielt den Vortrag. Dieser Mönch war vor kurzem auf einer Tournee durch Europa und speziell Frankreich gekommen, wo seine Vorträge viel Resonanz fanden. Der zweite Vortrag wurde von Pater Dorathick, dem Prior des hiesigen Klosters, gehalten. Er sprach über die Glaubenserfahrung als Grundlage für die menschliche, christliche und klösterliche Entwicklung, die aber auch allen Menschen angeboten wird. Dieser Aspekt scheint mir wichtig zu sein, nicht nur in Bezug auf Indien, sondern auf eine universelle Realität, die tief in der menschlichen Person wohnt und auf die die Botschaft des Neuen Testaments immer wieder hinweist.
Am Nachmittag dieses ersten Tages gab ich einen Einblick in die Überlegungen der AIM zur Gegenwart und Zukunft des monastischen Lebens, indem ich über die Antworten sprach, die wir auf den Fragebogen erhalten hatten, den wir an eine Reihe von monastischen Leitern in der ganzen Welt geschickt hatten und der im AIM-Bulletin 126 veröffentlicht worden war. Schwester Christine Conrath stellte ihrerseits die Arbeit von AIM ausführlicher mit Beispielen für die gewährten Hilfen vor.
An diesem zweiten Tag hörten wir am Vormittag einen Theologen, der die Hauptpunkte der Begegnung zwischen Hinduismus und Christentum in Bezug auf das Thema Führung in Gemeinschaften hervorhob. Seine Ausführungen wurden am Nachmittag durch die eines Swami bestätigt. Dieser ist der Leiter eines benachbarten Ashrams, zu dem ausgezeichnete Beziehungen bestehen. Um 18.30 Uhr fand ein interreligiöses Gebet statt. Es gibt mehrere Beiträge: Ich selbst gebe ein Zeugnis zum Thema „Frieden und Harmonie“, ein Hindu spricht und eine junge Muslima mit zwei ihrer Kinder, die alle festlich gekleidet sind. Die Atmosphäre ist angenehm und besinnlich.
Mittwoch, 7. Februar
Der Tag ist etwas freier, da die Mitglieder der Gruppe der Oberen aus Indien (ISBF), sich untereinander für den internen und administrativen Teil ihres Treffens in geschlossenen Sitzungen austauschen.
Ich habe eine lange Diskussion mit Pater Dorothick. Ich habe ihm eine Veröffentlichung vorgeschlagen, entweder ganz von ihm oder mit mehreren Mitarbeitern, um den Vorschlag weiterzuentwickeln, den er uns über die Beziehung zwischen der Erneuerung der Glaubensweitergabe und der Vitalität religiöser und kultureller Formen, einschließlich des monastischen Lebens, dargelegt hat. Er ist damit voll und ganz einverstanden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn dies gelingen könnte, denn mir scheint, dass eine Erneuerung auf diese Weise möglich ist. Ich sehe die Dinge jedenfalls schon seit vielen Jahren so, und es ist schön, jemanden zu treffen, der von einem ganz anderen Ausgangspunkt aus ähnlich denkt.
Morgen soll eine gemeinsame Exkursion zu einem Marienort stattfinden. Ich muss zugeben, dass ich nicht sehr geneigt bin, mitzugehen, denn es ist die Rede von zehn Stunden Busfahrt hin und zurück! Vielleicht könnte ich an diesem so tragenden Ort bleiben, an dem ich eine ergreifende Erfahrung der Innerlichkeit mache. Das würde mir auch einen besseren Kontakt mit der Gemeinschaft des Ortes und der Kamaldulenserinnen, die gleich nebenan wohnen, ermöglichen.
Ich muss gestehen, dass ich während dieses Aufenthalts ein großes Privileg genieße, da ich in der Einsiedelei von Pater Le Saux untergebracht bin. Ich mache eine greifbare Erfahrung seiner Gegenwart und fühle mich verpflichtet, in dieser Zeit mein spirituelles Leben intensiv zu gestalten. Es ist schwierig, mehr zu sagen, weil es so besonders ist, aber es ist eine Erfahrung, die alle anderen wert ist. Ich danke für eine solche Gelegenheit.
Donnerstag, 8. Februar
Nachdem ich mich entschuldigt hatte, konnte ich im Kloster bleiben. Ich genieße also einen freien Tag, innerlich vollkommen verfügbar für das, was Gott will, hier an diesem gesegneten Ort. Mein Glück ist vollkommen, ich bin im Herzen meiner Berufung. Meine Wahl war wirklich die richtige.
Am Ende des Tages versuche ich, den Abt von Kappadu telefonisch zu erreichen, um den weiteren Verlauf der Reise nach dem Treffen von Shantivanam zu organisieren. Er kommt zu mir, sobald die Gruppe zurück ist, und teilt mir mit, dass wir am nächsten Tag um 6 Uhr abfahren werden.
Freitag, 9. Februar
Um 6 Uhr kann das Auto starten. Man hatte mir gesagt, dass die Fahrt sechs Stunden dauern würde, aber es sollten fast zwölf werden. Die Fahrt war sehr anstrengend, denn es gab viele Zwischenstopps.
Der erste Stopp besteht aus einem ausgiebigen Frühstück in einem Restaurant am Straßenrand. Ein traditionelles Frühstück mit den passenden Gewürzen, an denen ich seit meiner Ankunft in Indien mehr und mehr Geschmack finde.
Anschließend halten wir an einer Schule, die von Karmelitern geführt wird. Einer von ihnen hatte zuvor in einer Mission in der Nähe von Kappadu gedient. Die Brüder hatten noch keine Gelegenheit gehabt, ihn zu besuchen. Der Schulkomplex ist riesig. Wir kommen an, als die Karmelitergemeinschaft gerade ihr Frühstück beendet, von dem sie einige gute Reste mit uns teilen. Anschließend besichtigen wir einige Aspekte der Schule. Es gibt viele Karmeliter in Indien und sie besitzen einige Einrichtungen, die sehr gut funktionieren. Alles ist perfekt gepflegt und alles scheint nahtlos organisiert zu sein. Der Jugend, der man hier begegnet, wirkt immer fröhlich. Eine Nation auf dem Weg in ihre Zukunft!
Eine Stunde später halten wir wieder an, um zu Mittag zu essen. Unser Anlaufpunkt ist ein Restaurant mit einer atemberaubenden Aussicht in der Stadt Kumily. Meine Augen sind gesättigt, während mein Mund von den Gewürzen in Flammen steht.
Anschließend beschließen wir, dem Trappistenkloster Kurisumala einen Besuch abzustatten. Es befindet sich in dieser Region Keralas inmitten der wunderschönen Landschaft der Teeberge.
Der unmittelbare Anlass für die Gründung des Ashrams in Kurisumala war die Berufung von Francis Acharya, der stark von Mahatma Gandi geprägt wurde. Nachdem er im Trappistenkloster Scourmont in Belgien seine Profess abgelegt hatte, folgte er 1955 einem beharrlichen inneren Ruf nach Indien. Nach einem längeren Aufenthalt in großen indischen Ashrams besuchte er die Gründer des Saccidananda-Ashrams (Shantivanam) in Tiruchirappalli. Schließlich nahm er die Einladung von Zacharias Mar Athanasios, dem damaligen Bischof der Syro-Malankar-Diözese Tiruvalla, an und gründete am 21. März 1958 zusammen mit Pater Bede Griffiths, einem englischen Benediktinermönch, und einigen Aspiranten offiziell den Ashram Kurisumala in der Nähe von Vagamon. Das Unternehmen gedieh mit dem Wunsch, vollständig in die indische Geisteslandschaft inkulturiert zu werden. Nach rund 70 Jahren Existenz kann man sagen, dass dieses Ziel wirklich erreicht wurde.
Wir werden vom derzeitigen Oberen dieser Gemeinschaft von etwa 15 Mönchen empfangen. Das Kloster besteht aus sehr einfachen Gebäuden, die wie ein Dorf organisiert sind. Die Liturgie basiert auf dem syro-malankarischen Ritus, der einen großen Reichtum an Hymnen besitzt. Wir besuchen den Bauernhof mit seiner berühmten Kuhherde, die die beste Milch der Region produziert und auf der auch Menschen aus der Umgebung arbeiten, in einem kooperativen Modell, das nach einer neuen, in der Schweiz begründeten Methode entwickelt wurde.
Wir haben Zeit für einige Gespräche. Der Blick der Brüder berührt mich sehr, man spürt einen großen Frieden, ein großes Licht. Diese Mönche arbeiten nicht umsonst: „Wenn der Herr nicht das Haus baut, mühen sich die Bauleute vergebens“ (Ps 126).
Wir fahren zurück, nachdem wir uns am Grab von Pater Francis Acharya gesammelt haben, über dem eine kleine Kapelle errichtet wurde. In diesem Moment der Andacht erinnere ich mich an seinen Besuch in Ligugé, als ich noch Novize war. Ich habe eine bleibende Erinnerung daran behalten.
Wir setzen unseren Weg nach Kappadu fort, das nun nicht mehr weit entfernt ist. Im Vorbeifahren setzen wir einen Mönch ab, der seine Familie in der Stadt Vazhathope besuchen will. In der Kathedrale findet gerade eine lautstarke Liturgie statt, die eine beeindruckende Anzahl von Gläubigen angezogen hat. Die Kirche ist dem heiligen Georg geweiht.
In Kappadu angekommen, machen wir einen Zwischenhalt unterhalb des Klosters, wo sich Internatsgebäude für etwa 300 Schüler befinden, die in nahegelegenen Schulen unterrichtet werden. Ich hatte das erste Gebäude bei meiner letzten Reise gesehen, aber die Entwicklung dieser Aufnahmeeinrichtung beeindruckt mich. Einige Brüder leben vor Ort, um die Anlage zu betreuen; unter ihnen ist auch Pater Anselm, der einer der drei Gründer von Kappadu ist.
Schließlich erreichen wir das Kloster. Mir wird ein Zimmer zugewiesen, wo ich froh bin, vor der Vesper, die im syro-malankarischen Ritus gesungen wird, und nach der der Abt und die Mönche, mit denen wir die Reise geteilt haben, die Messe feiern, allein zu sein. Danach folgt das Essen, bei dem alles getan wird, um sich meiner westlichen Esskultur anzuschließen. Diese Rücksichtnahme berührt mich.
Ich kann nicht sehr lange in Kappadu bleiben, aber im Laufe des nächsten Tages besuche ich mit dem Abt die großen Renovierungsarbeiten, die derzeit durchgeführt werden. Ich treffe auch Pater John Kurchianil, der weiterhin Bibelarbeiten und Kommentare zur Regel verfasst. Auf der Fahrt nach Kochin, von wo aus ich nach Bangalore und Paris zurückfliege, halten wir an einem abhängigen Haus, in dem sich junge Menschen in der Ausbildung befinden. Der Kontakt ist wirklich sympathisch und anregend. Man spürt die Zukunft, die in dieser Gemeinschaft steckt.
Erfüllt von all diesen intensiven Erfahrungen danke ich für eine Reise, die mich innerlich sehr bereichert hat.
Reise in den Togo (Februar 2024)
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Nachrichten
Jean-Pierre Longeat OSB
Reise in den Togo
17. bis 24. Februar 2024
Samstag, 17. Februar
Am Morgen erhalte ich eine SMS von Air France: „Ihr Flug hat zwei Stunden Verspätung und wird erst um 18.25 Uhr abfliegen.“ Das bedeutet, dass ich erst gegen 23.30 Uhr in Lomé ankommen werde (24.30 Uhr in Frankreich, da es eine Stunde Zeitverschiebung gibt). Ich passe meinen Tagesablauf an und versuche, die Brüder in Dzogbégan zu erreichen, damit sie ihr Programm ändern und mich zu dieser späten Stunde abholen können.
Das Flugzeug startet tatsächlich zur angegebenen Zeit und kommt unter guten Bedingungen an. Am Flughafen Lomé stehe ich leider in einer Warteschlange, bei der die Sicherheitsbeamten völlig passiv wirken. Mir wird immer heißer und ich bin ungeduldig. Nach einer Weile halte ich es nicht mehr aus und schiebe mich an der Schlange vorbei in die Gruppe derer, die bereits kontrolliert worden waren, weil ich denke, dass mich niemand fragen würde, weil es so voll und chaotisch ist. Aber am Ausgang verlangteein Sicherheitsbeamter meinen Pass und sagt mir, ich solle mich wieder hinten anstellen, da er noch nicht abgestempelt sei. Ich hatte Glück, er hätte mich auch zur Polizeistation bringen können, aber so war die Zeit wenigstens etwas weniger sinnlos verstrichen. Nach einer Stunde bin ich an der Reihe und überquere das Hindernis. Ich habe das Gefühl, in die Freiheit zu gelangen.
Am Ausgang des Flughafens warten drei Brüder auf mich: Pater Paul-Marie, der aus Guinea (Séguéya) kommt – sein Flugzeug war etwas vor meinem, Bruder François und Bruder Justin aus Dzogbégan, die voller Aufmerksamkeit und Wohlwollen sind. Wir gehen auf das Auto zu. Es ist etwa ein Uhr morgens. Als wir den Motor starten wollen, passiert nichts, offensichtlich ist die Batterie leer, aber niemand gerät in Panik. Glücklicherweise sieht ein Mann in der Nähe unsere Verlegenheit und bietet uns seine Hilfe an. Er fährt sein Auto heran, schließt seine Batterie an unsere an und schließlich springt der Motor an. Wir sind gerettet. Willkommen auf dem Kontinent der Solidarität und Brüderlichkeit.
Das Haus der Brüder in Lomé ist nicht sehr weit vom Flughafen entfernt. Als wir ankommen, fragen uns die Brüder, ob wir vor dem Schlafengehen etwas essen möchten. So gehen wir in den Speisesaal. Es gibt ein paar Rohkostreste und Bruder Justin kocht gekonnt ein Omelett, das Essen endet mit Früchten, die einen für mich selten frischen Geschmack haben. 5-Sterne-Restaurant! Es ist zwei Uhr morgens. Wir begeben uns auf unsere Zimmer. Es ist natürlich heiß, aber auch ohne sich zuzudecken, kann man gut schlafen.
Sonntag, 18. Februar
4 Uhr morgens: Die Nachbarschaft erwacht. Man hört den Gesang des Muezzins, aber auch alle Arten von sich wiederholenden Gebeten, die den religiösen Traditionen des Landes entsprechen. Ich bin von dem ganzen Trubel hellwach, fühle mich aber trotz Schlafmangels nicht allzu schlecht. Ich weiß, dass es eine Weile dauern wird (etwa eine Stunde) und dass danach wieder Ruhe einkehren wird. Während ich diese Zeilen schreibe, ist es in der Gegend wieder völlig ruhig, aber ich habe keine Lust mehr, wieder ins Bett zu gehen. Fast sofort ertönt das Gebet einer evangelikalen Gemeinde, die in einem ganz anderen Stil den Klangraum füllt! Es gibt übrigens mehrere in der Gegend: Pfingstler, Baptisten..., es gibt auch eine katholische Gemeinde, deren Liturgie wir etwas später hören werden.
Wir feiern selbst um 8 Uhr die Messe unter uns und frühstücken. Eine Schwester aus Sadori ist zu uns gestoßen und ein weiterer Bruder aus Dzogbégan, der in Lomé ein Praktikum als Automechaniker absolviert und den ich gut kenne.
Bevor wir nach Dzogbégan aufbrechen, haben wir die Idee, die kleine Gemeinschaft des Klosters Agbang in Lomé zu begrüßen, deren Haus nicht weit von unserem Standort entfernt liegt. Wir gehen also dorthin und es ist eine Freude, Pater Boniface Tiguila wiederzusehen, eine charismatische Persönlichkeit mit einem vielseitigen Hintergrund. Er war beim 50-jährigen Jubiläum der AIM in Ligugé anwesend und hatte damals einen bemerkenswerten Vortrag gehalten. Das Gebäude ist außergewöhnlich in seiner Schönheit und praktischen Bedeutung, es ist wirklich eine großartige Leistung, die zudem einen schönen Konferenzraum für etwa 50 Personen bietet. Die Abtei von Agbang, zu der dieses Haus gehört, wurde vor mehreren Jahrzehnten von Pater Boniface gegründet. Er hatte sie als Zentralhaus mit kleinen Missionsprioraten entworfen. Das wurde auch tatsächlich verwirklicht. Das Ganze ist nun Teil der Kongregation von Sankt Ottilien.
Wir bleiben dort eine gute Stunde lang und sitzen im zentralen Raum. Es sind Laien anwesend, die Atmosphäre ist einfach und glücklich: Wir unterhalten uns fröhlich und angeregt.
Aber wir müssen uns auf den Weg machen. Fast fünf Stunden Fahrt liegen vor uns. Alles verläuft reibungslos. Die Straße ist eine gut ausgebaute Hauptstraße. Eine Stunde vor der Ankunft halten wir an einem kleinen Restaurant, zu dessen Eröffnung Pater François als damaliger Cellerar beigetragen hatte. Wir nehmen eine einheimische Mahlzeit mit einem ausgezeichneten gegrillten Fisch und Pommes frites zu uns. Dann düsen wir zum Nonnenkloster Dzogbégan, wo die Sitzung stattfinden soll.
Wir werden erwartet und mit großer Brüderlichkeit empfangen. Schwester Agathe bringt die Tagungsteilnehmer in den Zimmern eines fast neuen Hotels unter. Ich genieße ein großes Bett und einen gewissen Komfort. Der Aufenthalt verspricht, angenehm zu werden.
Die Vesper lässt nicht lange auf sich warten, dann das Abendessen, nach dem die Schwestern der Gemeinschaft uns ein Lied und einen Tanz zur Begrüßung darbieten. Es lebe Afrika in seiner Vitalität, seiner Jugend und seinem Sinn für Gastfreundschaft.
Der Tag endet mit Komplet und Vigil.
Montag, 19. Februar
Der Tag vergeht mit der Selbstvorstellung der teilnehmenden Gemeinschaften. Es tauchen einige wiederkehrende Fragen auf, wie die nach der Wirtschaft und der Fähigkeit der Klöster, sich selbst zu versorgen.
Die Berufungen scheinen nicht mehr so zahlreich zu sein wie in der Vergangenheit. Es ist auch ein Mangel an Stabilität bei Klostereintritten festzustellen. Die Ausbildung ist ein wichtiges Element. Das Studium in Bouaké spielt nun eine wichtige Rolle. Einige Gemeinschaften sind sehr schwach. Es müssen Mittel gefunden werden, um sie zu unterstützen. Oft fehlen den Kongregationen, denen sie angehören, dafür die Kräfte. Das Zeugnis der burkinischen Redemptoristinnen-Schwestern ist besonders stark. Sie befinden sich in einem Landesteil, in dem die Gewalt extremer Gruppierungen alltäglich ist. Sie sind Zeugen unvorstellbarer Übergriffe, auch gegenüber Kindern. Schwester Odette aus Babete (Kamerun) befindet sich in einer ähnlichen Situation.
Ich muss zugeben, dass mir ihre Wortmeldungen sehr unter die Haut gehen. Wir diskutieren den Rest des Tages viel miteinander und stellen fest, dass wir machtlos sind, wenn es darum geht, den Lauf der Dinge zu ändern. Am Abend ein schönes Treffen mit der Gemeinschaft, bei dem ich Neuigkeiten über AIM erzähle.
Dienstag, 20. Februar
Wir setzen den Austausch über das Leben der verschiedenen vertretenen Gemeinschaften fort. Es gibt eine große Vielfalt an Situationen. Wir diskutieren viel über die wirtschaftliche Situation und die Möglichkeit, wie sich die Klöster in dieser Weltregion verstärkt selbstständig machen könnten. Einige sprechen von einer Strategie des gegenseitigen Beistands. Es ist jedoch wichtig, sich vor Augen zu halten, dass wir einer Lebensform folgen, die auf jeden Fall Hilfe von außen benötigt. Allein die Gebetszeit beträgt jeden Tag drei bis vier Stunden, die verschiedenen Dienste im Haus nehmen viel Zeit und Energie in Anspruch (von der Küche über die Gästebetreuung bis zur Krankenstation, der Empfang an der Klosterpforte, Begleitung von Menschen, die zur Beichte oder zum Gespräch mit einem Mönch kommen, usw.). Keiner dieser Dienste wird bezahlt und muss von der Zeit für Erwerbstätigkeit abgezogen werden.
Darüber hinaus befinden wir uns in einer globalen wirtschaftlichen Entwicklung. Der afrikanische Ansatz ist nicht der der europäischen Länder. Wie kann man über eine gute Verwaltung einer Subsistenzwirtschaft nachdenken? Wie können wir dadurch einen neuen Beitrag zu den Veränderungen des weltweiten wirtschaftlichen Gleichgewichts leisten? Wie können wir auch jedes Mitglied unserer Gemeinschaften dazu motivieren, gemeinsam die Sorge um die Wirtschaft zu tragen? All dies sind herausfordernde Fragen, für die es eine eigene Sitzung oder sogar mehrere Sitzungen bräuchten.
Am Nachmittag stellte uns Abt Olivier-Marie Sarr die „Structure Sainte-Anne“ vor. Es handelt sich um eine Ausbildungsstätte für Mönche und Nonnen aus Westafrika, die nicht unbedingt über das Bildungsniveau verfügen, um eine höhere akademische Ausbildung zu absolvieren, aber dennoch genügend Erfahrung und Talent besitzen, um in ihren Klöstern zu unterrichten. Innerhalb von drei Monaten muss man dabei einen Kurs absolvieren, der die verschiedenen Fächer der Religionswissenschaft berührt und eine Annäherung an die Methodik beinhaltet.
Die folgenden Tage waren den ausführlichen Wortmeldungen der einzelnen Klöster gewidmet. Danach folgten Konferenzen und Workshops mit Professor Koua aus Abidjan zum Thema Missbrauch von Autorität in unseren Gemeinschaften, wie im Bericht von Schwester Thérèse-Benoît im Folgenden beschrieben.
Mein Aufenthalt endete mit einem Besuch beim Erzbischof von Lomé, der leider inzwischen verstorben ist. Es wurde eine schöne Begegnung mit ihm und den Priestern, Seminaristen und Laien, die in der Pfarrei der Kathedrale tätig sind.
Die Rückreise nach Paris erfolgte am Abend desselben Tages. Ich kehrte von dieser Reise mit der wachsenden Überzeugung zurück, dass Afrika ein Kontinent der Zukunft ist, mit einer großen Anpassungsfähigkeit und einer Herangehensweise an soziale Beziehungen, die sich deutlich von denen unterscheidet, die man in der nördlichen Hemisphäre findet. Ja, wirklich, trotz vieler Ungerechtigkeiten und Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, ist Afrika der Kontinent der Brüderlichkeit: und das ist unsere Zukunft.
Bericht vom Treffen der Klosteroberen im französischsprachigen Westafrika
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Nachrichten
Thérèse-Benoît Kaboré OSB (Koubri, Burkina Faso)
Mitglied des Internationalen Rates der AIM
Bericht vom Treffen der Klosteroberen
im französischsprachigen Westafrika
Vom 19. bis 25. Februar fand in der Abtei Mariä Himmelfahrt in Dzogbegan, Togo, das Treffen der Klosteroberen des frankophonen Westafrikas statt. An diesem Treffen nahm die große Mehrheit der Oberen der Klöster der Subregion teil.* Auch P. Jean Pierre Longeat, Präsident der AIM, und Schwester Thérèse-Benoît Kaboré vom internationalen Team der AIM kamen dazu. Es war eine wichtige Begegnung, da die meisten Oberen erst in den letzten Jahren gewählt oder ernannt wurden und sie noch keine Gelegenheit gehabt hatten, sich zu treffen.
Während der ersten beiden Tage ihres Treffens nahmen sich die Oberen Zeit, sich gegenseitig kennenzulernen und ihre jeweiligen Gemeinschaften mit ihren Freuden und Leiden vorzustellen. Sie brachten ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass ihre Gemeinschaften trotz der Schwierigkeiten, an denen es nicht mangelt, im klösterlichen Leben ausharrten. Eine ihrer Schwierigkeiten betraf den wirtschaftlichen Bereich. In der Tat bleibt die große Frage der kaum vorhandenen Rücklagen der Klöster bestehen. Die Ökonomien der Klöster sind nach wie vor Subsistenz- oder Überlebensökonomien, die es den Gemeinschaften nur ermöglichen, von der Hand in den Mund zu leben, ohne Möglichkeit, irgendwelche Investitionen im Kloster zu unterstützen. Die Oberen haben verstanden, dass man sich Zeit nehmen muss, um gründlich über diese Frage nachzudenken. Das ist bereits ein Schritt nach vorn! Es wäre notwendig, eine Schulungssitzung für Obere und Ökonomen vorzusehen und sogar Spezialisten einzuladen, um die Überlegungen zu leiten. Die Oberen brachten ihre Dankbarkeit gegenüber der AIM für ihre Nähe zum Ausdruck, insbesondere für ihre Unterstützung bei der Ausbildung und den verschiedenen finanzierten Projekten.
Anschließend befassten sie sich mit ihren verschiedenen Ausbildungsstrukturen: die Ausbildung für Ausbilder, die für die Novizenmeister und -meisterinnen der französischsprachigen Novizen organisiert wird; die Ausbildungseinheit Sainte-Anne; die Forschungseinrichtung AMORSYCA (Association Monastique de Réflexion sur les Symbolismes dans les Cultures Africaines), die sie neu beleben wollen; das Philosophie- und Theologiestudium in Bouaké; die jungen Klosterprofessen und -professinnen. Sie befassten sich auch mit der Anfrage der „Kommission für den monastischen interreligiösen Dialog“ (DIM/MID), die gerade eine Zweigstelle in Afrika eingerichtet hat und in jedem Kloster ein Mitglied als Ansprechpartner sucht.
In den letzten drei Tagen setzten die Oberen ihr Treffen mit Professor Asseman Médard Koua fort, der sie bei ihren Überlegungen zum Thema „Missbrauch, Führung und Lebensbalance“ begleitete. Als aktuelles Thema ging Professor Koua von der heiklen Frage des Missbrauchs inner- und außerhalb der Kirche aus. Er versuchte, das Konzept des Missbrauchs zu definieren, indem er einige afrikanische Kulturen befragte, bevor er eine Typologie des Missbrauchs aufstellte. Anschließend betrachtete er das Konzept des Gender, das in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung erlangt hat. Heute achtet die Welt vermehrt auf die Geschlechterfrage; bestimmte soziale Schichten gelten als verletzlich oder hyperverletzlich, und das Völkerrecht berücksichtigt und schützt sie. Der Professor kam dann auf den Fall des Missbrauchs zurück. Er analysierte zwei Kategorien, nämlich sexuellen Missbrauch und Machtmissbrauch. In dieser Analyse berücksichtigte er die Frage des Umgangs mit Missbrauch. Er betonte die Folgen des Missbrauchs für die missbrauchte Person, indem er die vier Komponenten der Person untersuchte, in denen der Missbrauch empfunden wird (die kognitive Komponente, die affektive Komponente, die physische oder physiologische Komponente und die Verhaltenskomponente). Diese Komponenten müssen bei der Bewältigung von Missbrauch berücksichtigt werden.
Der zweite Tag seines Treffens war dem Thema Führung gewidmet. Er betonte, wie man mit Macht umgeht. Der Führer, der Macht ausüben soll, muss sie gemäß seiner eigenen Wahrnehmung der Dinge, seiner Geschichte und seinem eigenen Stil ausüben. Letztendlich übt er die Macht aus, je nachdem, wer er ist und wer er durch die Macht, die er ausübt, sein will. Darüber hinaus hat er Zwänge, die er nicht vergessen darf. Zwar bleibt er ein Mensch wie jeder andere, aber die Tatsache, dass er Macht innehat, zwingt ihn dazu, nicht das zu tun, was jeder andere tut. Um dies besser zu veranschaulichen, nahm der Professor das Beispiel der Maskenträger in unseren Dörfern, die an eine bestimmte und genau geregelte Lebensweise gebunden sind.
Der letzte Tag seines Vortrags war der Frage der Lebensbalance vorbehalten, wobei der Redner betonte, dass die Führungskraft auf sich selbst achten und wissen muss, dass sie verletzlich ist. Er muss auf seine persönliche Entwicklung achten, um in der Lage zu sein, sich um andere zu kümmern. Er ist nicht der Retter der Mitglieder, aus denen sich die Gruppe zusammensetzt. Er ist da, um den anderen zu helfen und sie zu begleiten, aber es hängt nicht alles von ihm ab, und um das zu tun, muss er nicht versuchen, alles zu tun. Er hat Grenzen, die er nicht ignorieren darf. Er darf seine Verantwortung auch nicht mit seiner eigenen Person verwechseln.
Es folgte ein Ausflugs- und Erholungstag. Zum Abschluss der Sitzung schlug der Moderator den Oberen vor, zwei Arbeitsgruppen zu bilden, von denen die eine ein Verfahren für den Umgang mit Fällen von psychischer Gesundheit in unseren Gemeinschaften entwickeln soll, während die andere sich mit der Prävention und dem Umgang mit Missbrauchsfällen in Klöstern im französischsprachigen Westafrika befasst.
Die Oberen kehrten sehr zufrieden in ihre Klöster zurück und waren hoffentlich besser ausgerüstet, um ihre Autorität zum Nutzen der ihnen anvertrauten Brüder und Schwestern auszuüben.
* Benin: P. Symon Hounnouvi – Kloster Mont Thabor in Hêkanmé, Mutter Laurence Bada – Kloster Saint Joseph in Toffo; Burkina Faso: P. Jean Christophe Yameogo – Abtei Saint Benoît in Koubri, und Mutter Clémentine Naganda – Kloster Notre-Dame in Koubri; Elfenbeinküste: P. Jean Hugues Djobi Dioti – Kloster Sainte Marie in Bouaké, und Mutter Bernadette We – Kloster der Guten Nachricht in Bouaké; Guinea Conakry: P. Paul Marie Kolié – Kloster Saint Joseph in Segeya, und Mutter Marie David Banquet – Kloster Sainte-Croix in Friguiagbé; Senegal: P. Olivier-Marie Sarr – Abtei Keur Moussa, und Mutter Blandine Marie Kuegah – Abtei Saint Jean-Baptiste in Keur Guilaye; Togo: P. Romain Botta – Kloster der Menschwerdung in Agbang, P. Theodore Coco – Abtei der Himmelfahrt in Dzogbégan, Mutter Bénédicte Assima – Abtei der Himmelfahrt in Dzogbégan und Mutter Christine André Amouh – Emmanuel-Kloster in Sadori. Außerdem nahmen P. Gervais Degbe vom Kloster Sainte-Marie de la Bouenza in Kongo Brazzaville, Mutter Odette Tchewouak vom Kloster Saint Benoît de Babété in Kamerun und die Oberinnen der Klöster der Redemptoristinnen aus Burkina Faso teil: Mutter Marie Fabienne Soubeiga – Kloster Notre-Dame du Perpétuel Secours in Diabo und Mutter Marie Clarisse Zundi – Kloster Très Saint Rédempteur in Kiri.
Chronik des 21. Generalkapitels der Kongregation von Subiaco und Montecassino
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Nachrichten
Josep Enric Parellada OSB
Abtei Montserrat (Spanien)
Chronik des 21. Generalkapitels
der Kongregation von Subiaco und Montecassino
Als Auftakt zum Beginn des 1000-jährigen Jubiläums der Abtei von Montserrat und auf Einladung von Abt Manel Gash fand dort vom 30. August bis 7. September das 21. Generalkapitel der Kongregation von Subiaco und Montecassino statt. Daran nahmen 72 stimmberechtigte Kapitulare sowie etwa 15 Übersetzer (darunter der neu gewählte Abtpräses) und andere für die Logistik zuständige Personen teil.
Alle Generalkapitel sind für eine Kongregation das Zeichen der Einheit in der Liebe, während sie gleichzeitig als höchstes Organ der Autorität innerhalb der Kongregation dienen. Es geht nicht nur um eine rechtliche Vertretung, sondern um die Zusammenkunft der einzelnen Gemeinschaften und Provinzen, um gemeinsam ein gemeinsames Projekt aufzubauen, damit jeder Mönch, jede Gemeinschaft, jede Provinz und die gesamte Kongregation dem Geist der Regel treu bleiben, mit dem Ziel, niemals etwas der Liebe Christi vorzuziehen, „die uns alle zusammen zum ewigen Leben führt“ (RB 71,11-12).
In diesen Tagen gab es eine besondere klösterliche Gemeinschaft zwischen den Mönchen des Klosters Montserrat und den Teilnehmern des Generalkapitels: Wir beteten gemeinsam das Stundengebet, teilten die Mahlzeiten und das Leben der Gemeinschaft, mit dem Ziel, die Brüderlichkeit zum Ausdruck zu bringen, die uns alle vereint, Mönche, die auf fünf Kontinenten leben.
Man könnte also sagen, dass ein Generalkapitel wie eine ruhige, gemeinsam (von der Kapitelsgemeinschaft) durchgeführte Überprüfung des Lebens der Provinzen, der Gemeinschaften und aller Mönche im Licht des Wortes Gottes, der Regel sowie des allgemeinen und eigenen Rechts (Konstitutionen und Erlasse der Generalkapitel) ist.
Zu Beginn der Kapitelsitzungen betonte Abtpräses Guillermo Arboleda „den Geist der Gemeinschaft, der unter der Führung des Heiligen Geistes die Kapitelversammlungen und den Lebensalltag unserer Gemeinschaften beseelen soll“. Er bekräftigte außerdem, dass „die Gesetzesänderungen, die einen großen Teil der Arbeit des Kapitels in Anspruch nehmen werden, in dieser Optik des gemeinschaftlichen Wachstums gelebt werden müssen, sowohl in den Klöstern als auch zwischen den Klöstern, damit wir in der Welt ein sichtbares Zeichen der Gegenwart des Herrn sein können.“
Abt Manel Gasch von Montserrat sprach seinerseits in einem kurzen Grußwort über „das glückliche Zusammentreffen dieses Kapitels mit dem tausendjährigen Bestehen der Abtei von Montserrat: die Tatsache, dass wir durch den Heiligen Geist ,von allen Enden der Erde‘ hier zusammengekommen sind und die Berufung dieser Abtei, unter dem Schutz der Jungfrau von Montserrat, ,La Moreneta‘, Gastgeberin zu sein.“
Dieses 21. Kapitel hatte vier große Themen, über die es nachzudenken, sich auszutauschen und Entscheidungen zu treffen galt.
1. Eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation unserer Kongregation durch die Berichte der Visitatoren aus jeder Provinz und der Oberen oder Vertreter der Klöster außerhalb der Provinz. Diese Beiträge haben uns dazu gebracht, uns des gegenwärtigen Augenblicks bewusst zu werden, in dem Gemeinschaften und Provinzen leben.
2. Der Bericht der Mitglieder der Kurie, also Abtpräses, Generalprokurator, Ökonom, und die kanonische Visitation von Sant’Ambrogio. Dieses Kapitel war das erste nach der Umstrukturierung des Sitzes der Kongregation.
3. Reform unserer Gesetzgebung: Der Text der Konstitutionen und die Ordnung des Generalkapitel waren 1980 überarbeitet und festgelegt worden. Es folgten kleinere Änderungen und Aktualisierungen auf der Grundlage des 1983 promulgierten Kodex des kanonischen Rechts. Nach mehr als vierzig Jahren war eine Überarbeitung unseres Rechtskorpus notwendig. Zu diesem Zweck hatte der Abtpräses eine Kommission eingesetzt, die mit der gründlichen Überarbeitung der Normen beauftragt wurde, damit sie besser der Situation entsprechen, in der unsere Klostergemeinschaften heute leben. Nach langer Vorarbeit legte die Rechtskommission dem Visitatorenrat einen Text vor, der anschließend an alle Gemeinschaften geschickt wurde, damit sie ihre eigenen Vorschläge oder Anregungen mitteilen konnten. Der endgültige Text wurde dem Generalkapitel vorgelegt. Der Arbeit in den Kapiteln ging ein Vortrag von Pater Aitor Jiménez, Untersekretär des Dikasteriums IVCSVA, über die Bedeutung des Rechts im Leben der Kongregationen voraus. Mit Hilfe der elektronischen Medien wurden 92 Abstimmungen durchgeführt.
4. Der vierte Punkt war die Wahl eines neuen Abtpräses, wobei sich die Stimmen auf P. Ignasi M. Fossas, eines Mönches aus Montserrat, vereinten. Er erhielt am 7. September die Abtsweihe aus den Händen von Abt Manel Gasch von Montserrat.
5. Zum Abschluss des Kapitels nahmen schließlich alle an der Eröffnung des Jubiläumsjahres zur Jahrtausendfeier und am Hochfest der Titularmadonna des Heiligtums von Montserrat teil.