Dr. Isabelle Jonveaux
Soziologin, Universität Graz
Verhinderung von Missbrauch
in Frauengemeinschaften
Strukturen der Gemeinschaften hinterfragen
Das thema Missbrauch, insbesondere von Priestern an Kindern, ist derzeit in den kirchlichen Nachrichten allgegenwärtig. Das Thema des Missbrauchs von Nonnen und Ordensschwestern hat dagegen länger gebraucht, um in den Medien sichtbar zu werden. In Europa ist das Thema vor allem durch eine Dokumentation des Fernsehsenders ARTE im Jahr 2019 in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit getreten. Der Kampf der Ordensschwestern gegen diesen Missbrauch und dafür, ihn in den Blickpunkt der Kirche zu rücken, begann jedoch schon viel früher und war mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Als Soziologin des Klosterlebens bin ich während meiner Untersuchungen, die ich seit 2004 in Europa und seit 2013 in Afrika durchgeführt habe, mit mehreren Missbrauchssituationen konfrontiert worden. Aber Missbrauch beginnt in der Regel nicht mit sexuellen Übergriffen, sondern Autoritätsmissbrauch und spiritueller Missbrauch bereiten in gewisser Weise den Boden vor.
Da ich keine Psychologin bin, arbeite ich nicht mit den Opfern oder den direkten Fällen von Missbrauch, sondern frage nach den Strukturen, die den Missbrauch ermöglichen. Ich versuche, die strukturellen Elemente zu beleuchten, die die Tür für diese manchmal unsichtbaren Missbräuche öffnen. Es geht hier natürlich nicht darum, dass alle Frauengemeinschaften unterschiedslos die gleichen Risiken bergen, sondern vielmehr darum, Funktionsweisen zu identifizieren, die Autoritätsmissbrauch, spirituellen oder sexuellen Missbrauch begünstigen können.
1. Die Strukturen der Frauengemeinschaften hinterfragen
Ich identifiziere hier fünf Ebenen von Strukturen, deren Kombination Formen des Missbrauchs ermöglichen und eventuell das Schweigen der Opfer begünstigen.
Interne Struktur der Autorität in Frauengemeinschaften
Bei meinen Untersuchungen wurde mir klar, dass die Autoritätsstrukturen in Frauengemeinschaften im Vergleich zu Männergemeinschaften im Durchschnitt strenger sind. Die Autorität ist viel stärker auf die Figur der Oberin konzentriert. Wenn ich in Nonnengemeinschaften eine Schwester um etwas bat, z.B. um ein Gespräch, erhielt ich oft die Antwort: „Da müssen Sie die Mutter Äbtissin fragen“, während die Männer eher in der Lage waren, mir ihre eigene Antwort zu geben. Diese Autoritätsstruktur führt zu dem, was die Zisterzienserin Michaela Pfeifer als „Anstaltsmentalität“1 bezeichnet, bei der die Schwestern nicht mehr für sich selbst sorgen, sondern ihren gesamten Erwachsenenwillen an die Oberin abtreten. Warum wird Gehorsam in Gemeinschaften unterschiedlich gelebt, die doch, wenn man z.B. die Gemeinschaften der Benediktinerregel nimmt, die gleiche Regel leben? Die amerikanische Benediktinerin Shawn Carruth hebt hervor, dass Gehorsam in der Kirche als eine spezifisch weibliche Tugend entwickelt wurde, die in einer patriarchalischen Struktur mit Demut verbunden wurde: „In der patriarchalischen Struktur wird Gehorsam begründet, indem man ihn denjenigen schenkt, die Macht als Kontrolle verstehen. Die Frauen ziehen sich ins Schweigen zurück, anstatt ihre eigene Realität und ihr eigenes Verständnis der Welt zum Ausdruck zu bringen. [...] Die den Frauen auferlegte Demut lehrt sie, eine untergeordnete Position und den Stempel der Unbeholfenheit zu akzeptieren, der ihnen von den patriarchalen Voraussetzungen aufgedrückt wird.“2 Die strengeren Autoritätsstrukturen in den Frauengemeinschaften sind also in diesem Sinne ein Überbleibsel der früheren männlichen Autorität über die Frauenklöster.
Institutionelle hierarchische Strukturen und Betreuungssysteme
Aufgrund der bestehenden institutionellen hierarchischen Strukturen steht die Mehrheit der Frauengemeinschaften unter der Autorität männlicher Oberer. Viele von ihnen sind direkt der Jurisdiktion des Bischofs unterstellt. In einigen gemischten Orden werden die weiblichen Gemeinschaften systematisch von männlichen Gemeinschaften begleitet, während die männlichen Gemeinschaften immer von männlichen Gemeinschaften begleitet werden. Die Autoritätsstrukturen beziehen sich auch auf die Entscheidungsfindung und die Verwaltung von Eigentum. Darüber hinaus wird in einigen Diözesen die Beschäftigung von Nonnen durch spezielle Verträge geregelt, in denen den Schwestern weniger bezahlt wird als Laien oder Ordensmännern, welche die gleiche Arbeit verrichten.
Beziehungen zwischen männlichen und weiblichen Gemeinschaften
Die Geschlechterbeziehungen zwischen männlichen und weiblichen Gemeinschaften sind in den Ereignissen des täglichen Lebens zu beobachten, insbesondere in der unterschiedlichen Stellung, die männlichen Vorgesetzten eingeräumt wird. So saßen z.B. bei einer Feier in einem Benediktinerkloster in Österreich, zu der Vertreter der benachbarten Klöster eingeladen waren, die Äbte mit den Mönchen im Chor, während die Priorin des benachbarten Benediktinerinnenklosters samt einigen Schwestern im Kirchenschiff platziert wurde. Wie ein österreichischer Benediktiner in einem Interview bedauerte, ist es immer noch selten, dass Schwestern bei Exerzitien für Mönche predigen, während die Exerzitien für Nonnen überwiegend von Männern übernommen werden. Darüber hinaus ist es auch in Europa üblich, dass apostolisch ausgerichtete Schwestern im Dienst von Priestern oder männlichen Gemeinschaften stehen, z.B. im Haushalt und in der Küche, was klar eine ungleiche Beziehung ausdrückt. Einige Frauengemeinschaften wurden sogar zu diesem Zweck gegründet.
Beziehungen zwischen Schwesterngemeinschaften und Priestern
In einigen Frauengemeinschaften, insbesondere in den neuen Gemeinschaften, bleibt die Figur des Priesters eine unbestreitbare Autorität. Dies bedeutet, dass ein Priester, der sich einer Schwester gegenüber unangemessen verhalten hat, nicht in Frage gestellt wird. So erzählte mir eine österreichische Schwester einer neuen Gemeinschaft, die inzwischen ausgetreten ist, dass die Schwestern alles unterbrechen mussten, was sie gerade taten, wenn ein Priester die Gemeinschaft besuchte, nur um ihm zu dienen.
Räumliche Strukturen und Organisation des Raumes
Räumliche Strukturen können manchmal den Missbrauch oder das darauf folgende Schweigen begünstigen, insbesondere in Bezug auf die Orte, an denen die Schwestern die Priester treffen, aber auch in Bezug auf die Art und Weise, wie die Autorität des Priesters in der Kirche inszeniert wird. Ich habe zum Beispiel in einer neuen Gemeinschaft beobachtet, dass das Presbyterium etwa zwei Meter über dem Chor des Schwesterngestühls liegt, während andere Frauengemeinschaften ihre Kapelle umgestalten, um eine größere Gleichheit zwischen dem Priester und den Schwestern sowie zwischen der Liturgie des Wortes und der Eucharistie am Altar während der Messe herzustellen.
2. Schwestern in Ordensstrukturen
Die zweite Ebene der Fragestellung betrifft die Stellung der einzelnen Schwester in diesen Strukturen. Die Strukturen der Autorität und des Gehorsams wirken sich auf drei Ebenen aus: intellektuell, spirituell und körperlich.
a. Intellektuelle Ebene
Der Missbrauch von Autorität ist leichter, wenn die Verteilung von Wissen ungleich ist. Bei meinen Untersuchungen stellte ich fest, dass der Zugang von Mönchen und Nonnen zum Studium sehr ungleich verteilt ist. Der größere Zugang der Mönche zum Studium hängt in erster Linie mit der Funktion des Priesters zusammen, die mindestens fünf Jahre Philosophie und Theologie voraussetzt. So haben 95% der Benediktinermönche in Österreich mindestens einen Masterabschluss. Nonnen haben größere Schwierigkeiten beim Zugang zu Studien und Ausbildung, entweder weil einige Orden traditionell eine demütige Ablehnung des Studiums gepflegt haben (wie die Klarissen), oder weil die strengere Klausur der Frauengemeinschaften den Zugang zu Studien außerhalb des Klosters erschwert. Ein Mangel an intellektueller Ausbildung und Wissen kann zu verschiedenen Formen des Missbrauchs führen. Eine Trappistin in Afrika, die am Unterricht eines Psychologen teilgenommen hatte, sagte mir in einem Interview:
„Manchmal gibt es bei uns Dinge, die nicht in Ordnung sind, weil man sein Recht nicht kennt. So habe ich erlebt, wie die Äbtissin Vorschriften erlässt, die nicht richtig sind. Manchmal ist es die Schwester, die Recht hat. [...] Aber weil die Äbtissin nicht recht weiß, was die Grenzen ihrer Rechte sind, oder weil die Schwestern nicht weiß, wie sie sich wehren kann, wird sie die Angelegenheit stillschweigend erdulden. Aber nach den Ausführungen des Psychologen versteht man besser, dass es manchmal bestimmte Dinge gibt, die man zwar auf sich nimmt, die man aber nicht erdulden sollte.“
Mangelndes Wissen über die Rechte von Professschwestern, Novizinnen oder Oberinnen kann zu Missbrauchssituationen führen, die vom Opfer nicht als solche erkannt werden. Studien oder andere Schulungen können dazu beitragen, solche Auswüchse zu reduzieren.
b. Spirituelle Ebene
Im weiblichen Ordensleben wird die geistliche Autorität sowohl von der Oberin als auch von dem Spiritual getragen, der für die geistliche Begleitung der Schwestern verantwortlich ist. Spiritueller Missbrauch kommt vor allem dann ins Spiel, wenn sektiererische Entgleisungen oder Missbrauch von Autorität religiös gerechtfertigt werden. Im Rahmen von Schwesterngemeinschaften tritt diese Form des Missbrauchs insbesondere dann auf, wenn der Priester, der die Gemeinschaft oder einzelne Schwestern begleitet, eine unbestreitbare Autorität ist und der geistliche Begleiter oder Beichtvater von der Oberin vorgeschrieben wird. Wenn die geistliche Macht in einem Nonnenkloster auf einen einzigen Priester konzentriert wird, besteht ein erhöhtes Risiko des geistlichen Missbrauchs.
c. Körperliche Ebene und Intimität
Die körperliche Ebene der Intimität in den Autoritätsstrukturen des weiblichen religiösen Lebens ist diejenige, die am kritischsten für die Möglichkeit der Verwirklichung verschiedener Formen des Missbrauchs erscheint. Der Verzicht auf Besitz führt in vielen Klöstern normalerweise zum Fehlen eines persönlichen Bankkontos. Je nach Konfiguration erhalten die Mönche und Nonnen ein Taschengeld, um das zu kaufen, was sie brauchen, können sich in einem Depositorium oder Lager bedienen oder bitten um das, was sie brauchen. Umfragen haben gezeigt, dass die Konstellation, in der absolut alles erbeten werden muss, in Nonnenklöstern häufiger vorkommt. Es ist auch häufiger der Fall, dass die Nonnen die Ökonomin und manchmal sogar die Oberin schriftlich bitten müssen, was sie benötigen. Dieses System wird problematisch, wenn es die Intimsphäre der einzelnen Schwestern berührt. So sagte die bereits erwähnte österreichische Schwester, dass sie sich zehn Jahre lang ohne Seife gewaschen habe, da nur eine Art Seife verfügbar war und sie keine andere haben konnte. Die Frage wird noch intimer, wenn es um die Menstruationshygiene geht. Diese Schwester berichtete auch, dass nur eine Art von Monatshygiene angeboten wurde und es nicht möglich war, eine andere zu verlangen. Auch ein Benediktiner in Kenia, der eine Schwesterngemeinschaft, die ich untersuchte, spirituell begleitet, erzählte mir, dass die Schwestern schriftlich um alles bitten müssen, was sie benötigen. Diejenigen, die sich nicht trauen, nach Menstruationshygieneprodukten zu fragen, müssen sich mit dem behelfen, was sie finden können, trotz der Risiken für ihre Gesundheit. Die Kontrolle des Körpers in seiner Intimsphäre wird nun zu einer Form der Askese, die nicht nur nicht mehr plausibel ist, sondern auch einem Missbrauch von Autorität gleichkommt. Der Körper und die Intimität sind daher besonders zentrale Orte, um die Risiken des Missbrauchs von Autorität in Frauenklöstern zu beobachten, die für die Nonnen zu einer Enteignung ihres Körpers führen und zu anderen Arten von Missbrauch führen kann.
Schlussfolgerung
Dies ist ein kurzer Überblick über die verschiedenen Ebenen von Strukturen in Frauengemeinschaften, die zu Autoritätsmissbrauch, spirituellem oder sexuellem Missbrauch führen können. Das bedeutet zwar nicht, dass dadurch Missbrauch „systematisch“ verankert ist, da dieser ja konkret von bestimmten Personen begangen wird. Die Verhinderung von Missbrauch verschiedener Art, der intern in den Gemeinschaften oder durch Priester oder Ordensleute an Schwestern begangen wird, muss allerdings auch die Strukturen hinterfragen. Die meisten der genannten Strukturen sind ein Erbe jahrhundertelanger männlicher Dominanz in der Kirche und einer Spiritualität des Gehorsams und der Demut, die in Frauenklöstern besonders ausgeprägt ist und die dazu neigt, den freien Willen zu unterdrücken. Diese Strukturen zu hinterfragen bedeutet daher einerseits, die Faktoren zu beleuchten, die Fehlentwicklungen begünstigen können und zum Teil zweifellos Auswirkungen auf die Nachwuchssituation haben. Andererseits sollten aber auch die Bemühungen einiger Gemeinschaften gewürdigt werden, die ihre Strukturen an heutige Bedingungen anpassen und so die Risiken von Missbrauch verringern.
1 Michaela Pfeifer, « Le renoncement conduit-il à la liberté ? Réflexion systématique sur l’ascèse dans la RB », in: Revue de spiritualité monastique 68 (1), 2006, S. 11.
2 Shawn Carruth, “The monastic virtues of obedience, silence and humility: a feminist perspective”, in: The American Benedictine Review 51 (2), 2000, S. 126.