Andrea Savage OSB

Äbtissin von Kloster Stanbrook (England)

 

Benediktsregel und Synodalität

Vortrag auf der Delegiertenkonferenz der

Communio Internationalis Benedictinarum (CIB),

23. Mai 2022

 

 

MSavageSynodalität ist in der heutigen Zeit sehr aktuell. In der katholischen Kirche sind wir in den Prozess eingebunden, der uns zur Bischofssynode im Herbst 2023 führen wird. Wir sind alle gemeinsam auf dem Weg. Papst Franziskus hat jeden Getauften dazu eingeladen, an einer Zeit des Hörens auf den Heiligen Geist und auf unsere Brüder und Schwestern in der Menschheit teilzunehmen.

Der gemeinsame Nenner zwischen der Regel Benedikts und der Synodalität ist das Wort „Hören“ wie auch das Wort „Gemeinschaft“. Die Regel beginnt mit dem Wort „Hören“ und dieses Hören steht im Mittelpunkt von allem, was Benedikt schreibt. Im Zentrum steht unser Hören auf den Willen Gottes, der uns während unseres gesamten monastischen Lebens leitet, im Gebet, in der lectio divina, durch unsere Schwestern und Brüder und in der Arbeit, die wir in der Gemeinschaft zu verrichten haben.

Wir alle lernen nach und nach, was es bedeutet, eine synodale Kirche zu sein. Papst Franziskus beschreibt es kurz und knapp in seiner Ansprache zum 50. Jahrestag der Einrichtung der Bischofssynode im Oktober 2015:

„Eine synodale Kirche ist eine Kirche des Hörens, in dem Bewusstsein, dass solches Hören mehr ist als akustisches Wahrnehmen. Es ist ein gegenseitiges Zuhören, bei dem jeder zu lernen hat. Das gläubige Volk, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom: Jeder hört auf den anderen, und alle hören auf den Heiligen Geist, den ,Geist der Wahrheit‘ ( Joh 14,17), um zu wissen, was er den Kirchen sagt (Offb 2,7).“

Ich möchte hinzufügen, dass eine synodale Kirche sehr benediktinisch sein würde. In der Regel gibt es viel, was die Kirche übernehmen und anwenden kann in der Kunst, einander und Gott zuzuhören. Und in der Tat zitiert das vom Vatikan produzierte Vorbereitungsdokument für die Synode 2023 RB 3,3 über die Berufung der Gemeinschaft zu gemeinsamer Beratung:

„Dass alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist“ (RB 3).

Dies ist ein Prinzip, das wir in der gesamten Kirche im synodalen Prozess und in unserem Zuhören anwenden sollten. Grundsätzlich sind wir dazu aufgerufen, einander zuzuhören, um zu erkennen, welcher Weg der richtige ist. Wir sind gemeinsam auf dem Weg, um zu hören, was der Heilige Geist zum Volk Gottes, zu allen Getauften, sagt. Das bedeutet, allen eine Stimme zu geben. Wenn die Menschen keine Stimme haben, werden sie frustriert und fangen an zu murren, und wir alle wissen, was Benedikt über das Murren zu sagen hat. Es ist das Einzige, was er verabscheut! Er sagt uns (RB 4,39): „Nicht murren.“ Obwohl wir in RB 6 auch ermutigt werden, zu schweigen, selbst bei guten Worten, gibt es in der Regel ein Gleichgewicht zwischen den Zeiten, in denen wir reden sollen, und den Zeiten, in denen wir schweigen sollen.

Das Schweigen ist dazu da, damit wir die Stimme des Herrn hören, die uns den Weg des Lebens zeigt, und das tun wir in der Stille unseres Gebets und unserer lectio divina, aber auch im Hören auf unsere Schwestern und Brüder, im Beispiel, das sie uns geben. Bei all dem lernen wir, klug zu unterscheiden (discretio), wann wir sprechen und wann wir schweigen sollten. Wie oft finden wir in den Gemeinschaftskapiteln, dass diejenigen, die selten sprechen, am meisten zu geben haben?

Dies bewahrt uns auch vor den versteckten Anliegen und Planungen, die wir alle haben. Wenn wir in Gemeinschaftstreffen Themen ansprechen, müssen wir darauf achten, dass unsere persönlichen Anliegen nicht das Wirken des Heiligen Geistes blockiert, weil wir nicht innerlich offen sind.

Wie wir wissen, weist uns die Benediktsregel das Evangelium als Richtschnur an; ich bin kürzlich dazu übergegangen, die Emmaus-Geschichte als Illustration der Synodalität am Werk zu sehen. Es war zunächst einmal eine Reise zu Fuß, aber es war auch eine spirituelle Reise. Man könnte es als die Geschichte eines klösterlichen Kapiteltreffens im Kleinformat beschreiben. Alle Elemente sind vorhanden: die beiden Jünger – die Gemeinschaft, Jesus – der Abt, und sie besprachen eine aktuelle Angelegenheit. Kehren wir zur Geschichte zurück, wie sie sich abspielt. Die beiden Jünger sind offensichtlich sehr niedergeschlagen, denn sie hatten gehofft, dass Jesus derjenige sein würde, der Israel erlösen würde (Lukas 24,21). Sie hatten sich gewünscht, dass er der Messias sei, der Israel befreien würde. Das tat er auch, aber nicht ganz so, wie sie es erwartet hatten und nicht gemäß ihrer eigenen Planung:

„25 Da sagte er zu ihnen: Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. 26 Musste nicht der Christus das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen? 27 Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.“ (Lukas 24,25-27)

Die Jünger öffneten ihre Herzen und hörten zu. Wir wissen, dass sie zuhörten, weil sie bereit waren, sich zu verändern. Jesus hat nicht nur Israel, sondern die gesamte Menschheit befreit. Erst als sie am Tisch sitzen und er das Brot nimmt, es segnet und bricht, gehen ihnen die Augen auf; dann erkennen sie, wer zu ihnen gesprochen hat, aber Jesus ist verschwunden. Sie fragten sich: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“ Sehr oft, wenn wir zusammenkommen, um wichtige Angelegenheiten zu besprechen, ermöglichen unsere Offenheit und unsere Bereitschaft zuzuhören, dass der Heilige Geist seine Arbeit tun kann.

Ich erinnere mich an die Zeit, als unsere Gemeinschaft Ende der 1990er Jahre den Weg nach vorne erkannte. Die Frage, die wir uns alle stellen mussten, war, was uns das Leben schenken würde. Wenn Sie mich 1996 gefragt hätten, ob ich umziehen und ein neues Kloster bauen möchte, wäre meine Antwort ein schallendes Nein gewesen. Was hat sich geändert? Es begann damals ein Prozess der Unterscheidung zusammen mit der gesamten Gemeinschaft, wobei zum ersten Mal Moderatoren eingesetzt wurden. Es war nicht das, was ich als durchschlagenden Erfolg bezeichnen würde, aber es ermöglichte uns, miteinander zu reden und einander zuzuhören. Wir erhielten alle möglichen professionellen Hilfen auf praktischer Ebene: Finanzexperten, Architekten etc. Wir hörten uns an, was sie zu sagen hatten. Wir erhielten auch ausgezeichnete geistliche Ratschläge von innerhalb und außerhalb unserer eigenen Kongregation. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass unsere gesamte gewohnte Sichtweise umgestürzt wurde. Es kam der Moment, in dem wir die ausgetretenen Pfade verlassen mussten!

Unsere ursprüngliche Vision bestand lediglich darin, unser Kloster anzupassen und zu verändern. Mutter Joanna Jamieson, die damalige Äbtissin, beschloss jedoch dann, unsere Vision nicht einzuschränken, sondern uns zu erlauben zu träumen. „Träumen Sie vom benediktinischen Leben der Frauen in Großbritannien im 21. Jahrhundert und wenden Sie es auf das Leben unserer Gemeinschaft an.“ So beschlossen wir, alle Optionen zu prüfen, die sich uns bieten könnten. Am Ende hatten wir fünf Optionen. Das war der Moment, in dem ich spürte, dass sich alles verändert hatte. Die Erlaubnis zu träumen hat mich befreit; die Fenster wurden geöffnet und der Heilige Geist durfte eintreten. Einige Ratschläge von Mutter Joanna halfen mir ebenfalls: „Gott ist in den Tatsachen zu finden.“

Wenn ich jetzt auf den Weg zurückschaue, den wir gemeinsam als Gemeinschaft gegangen sind, so muss ich sagen: Wir haben viele Pläne gemacht, die im Papierkorb gelandet sind. Gott hat uns aber dazu gebracht, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Wir haben viel aus unserer gemeinsamen Reise gelernt, es gab viele Höhen und Tiefen. Wir haben Fehler gemacht, aber vor allem sind wir zusammen als Gemeinschaft stärker geworden. Wir haben gelernt, gemeinsam zuzuhören, aber wir waren auch bereit, uns zu verändern. Der Spruch des heiligen John Henry Newman kam mir in den Sinn: „Leben heißt sich ändern, und vollkommen sein heißt, sich oft geändert zu haben.“