Reise nach Argentinien, Oktober 2019
(Fortsetzung)*
Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM
Freitag, 27. septembre 2019, Abtei Niño Dios
Ich besuche das Kloster Niño Dios in der Region Paraná nahe der Stadt Victoria.
Wir erreichen das Kloster gegen Mittag, nachdem wir weite Strecken endloser argentinischer Pampa unter einer strahlenden Frühlingssonne durchquert haben.
Abt Carlos Martín Oberti kommt mir am Eingangsbereich des Klosters entgegen und wir gehen gemeinsam ins große Refektorium, um das Mittagessen einzunehmen. Ungefähr zwölf Mönche nehmen am Essen teil.
Das Kloster Niño Dios, also übersetzt Kind Gottes, wurde von der französischen Abtei Belloc im Jahr 1899 gegründet. Es handelt sich um das erste Benediktinerkloster in Lateinamerika. Der Bischof von Paraná wünschte sich damals eine gefestigte und zahlreiche Klostergemeinschaft für seine Diözese. Dafür unternahm er eine Wallfahrt zum Heiligtum Unserer Lieben Frau in Luján, wo er von der Gottesmutter eine Ordensgemeinschaft für sein Bistum erbat. Ein französischer Missionar gab ihm daraufhin den Hinweis, er solle sich doch an die Abtei Belloc wenden.
Die damaligen staatlichen Stellen wären kaum bereit gewesen, einer Ordens- oder Kongregationsniederlassung zuzustimmen, die keine erzieherischen oder sozialen Aufgaben wahrnahm. Daher blieb den Mönchen nichts anderes übrig, als eine Handwerkerschule zu eröffnen.
Unter den Aktivitäten, welche die Gemeinschaft über die Jahre übernahm, sei vor allem die Seelsorge in der Stadt Victoria und in der gesamten Region in der Zeit zwischen 1899 bis 1988 erwähnt. Zur Pfarrei, die unter dem Schutz Unserer Lieben Frau von Aranzazu steht, gehört auch ein weiter ländlicher Umkreis und einige Inseln mit vielen Kapellen und religiösen Einrichtungen, die in dieser Zeit ausschließlich von den Patres der Gemeinschaft betreut wurden.
Dabei war der seelsorgliche und missionarische Einsatz nicht auf den Landkreis von Victoria oder die Provinz Entre Ríos beschränkt, sondern erstreckte sich auf weitere Regionen Argentiniens. An manchen Einsatzorten waren Mönche über mehrere Jahre hinweg tätig. So betreuten sie von 1921 bis 1934 das Heiligtum Unserer Lieben Frau von Itatí in Azul (Provinz von Buenos Aires), wozu neben der Kirche ein Waisenhaus und eine Schule gehörten, und in Larramendy (gleichfalls Provinz von Buenos Aires) betreuten sie die Schule und eine Kirche im ländlichen Raum (1917-1924).
Von Niño Dios aus wurden mehrere andere Klöster gegründet: die Abtei Christkönig in El Siambón, Tucumán (Argentinien) im Jahr 1956 und das Priorat La Pascua in Canelones (Uruguay) im Jahr 1976, das leider vor kurzem geschlossen wurde. 1982 übernahm Niño Dios die Verantwortung für das Priorat San Benito de Llíu-Llíu in Limache (Chile).
Seit 1965 betreut die Abtei die Privatschule John F. Kennedy, die in der Stadt Victoria liegt und das Ausbildungsinstitut San Benito, das seit 1983 Lehrer ausbildet und von einem Laiengremium geleitet wird.
Die Gemeinschaft hat den Bau eines Wohnviertels angeregt, deren erster Teil 1971 fertiggestellt wurde. Auch der Sozial- und Sportclub, der seit 1959 verschiedene kulturelle Aktivitäten oganisiert, geht auf eine Initiative der Mönche zurück. Hingewiesen sei auch darauf, dass das Kloster ein wichtiger Arbeitgeber ist.
Der gegenwärtige Abt Carlos Martín Oberti wurde im Jahr 1997 gewählt.
Am 29. August 1998 konnte eine neue Abteikirche in einem neo-romanischen Stil eingeweiht werden. Das Innere ist lichtdurchflutet. Sie ist dem Weihnachtsgeheimnis, der Geburt unseres Herrn Jesus Christus gewidmet.
Nach dem Mittagessen treffe ich mich mit der Gemeinschaft bei einem Likör, der im Kloster hergestellt wird. Wir sprechen über die Lage der Klöster in aller Welt und wo sinnvolle Schwerpunkte gesetzt werden könnten. Es ist eine lebhafte Diskussion, bei welcher jeder Anwesende seine Meinung äußert und was ihm wichtig ist. Die Gemeinschaft durchlebt zur Zeit eine schwierige Phase, da vor kurzem der Prior von Kloster Christkönig in El Siambón bei einem Bergunfall ums Leben kam. Sein Körper wurde erst einige Tage nach dem Unfall aufgefunden. Für die Klosterfamilie von Niño Dios ist dies ein harter Schlag.
Nach dem Gespräch besichtige ich das Kloster und vor allem die Krypta, in der sich die berühmte Statue des Jesuskindes befindet, die aus Belloc stammt und dem Kloster seinen Namen gegeben hat. Es gibt Anlass zum Nachdenken, dass diese einstmals große und nun sehr zusammengeschrumpfte Gemeinschaft gerade dem Jesuskind geweiht ist. Sie muss sich nun den Händen des Vaters für ihre weitere Zukunft anvertrauen, wie es einst der Gottessohn gemacht hat.
Benediktinerinnenkloster von Paraná
Am Abend gelangen wir beim Frauenkloster von Paraná an, das von der Abtei Córdoba gegründet wurde. Wir werden von einer kleinen Gemeinschaft von acht Schwestern empfangen. Die Begrüßung erfolgt spontan, offen und herzlich. Man fühlt sich wie in einer Familie aufgenommen. Die Priorin, Sr. Isabel, verfügt über viel Erfahrung. Es handelt sich bei ihr um eine geistliche Tochter der Äbtissin von Córdoba, Mutter Candida Cymbalista, von der bereits früher die Rede war (vgl. ihre Biographie in Bulletin 113, S. 101-112). Ich bin beeindruckt von ihrem exzellenten Französisch.
Wir beten gemeinsam die Vesper und anschließend ist Abendessen im Gästehaus, wo sich zwei junge Frauen für eine Auszeit befinden. Sie arbeiten in der Nähe in einer französischen Käsefabrik. Wir unterhalten uns lebhaft, während eine Schwester uns bedient ähnlich wie Abraham die drei Engel in Mambre versorgte. Das macht mich etwas verlegen und ich versuche ihr zu helfen, was sie aber eisern ablehnt. Sie will die ihr übertragene Aufgabe selbst erledigen.
Samstag, 28. September
Nach dem Frühchor schlägt mir die Priorin einen Rundgang vor. Wir beginnen in der neu eingerichteten Marmeladenfabrik. Diese war früher in wenig geeigneten Räumlichkeiten untergebracht, doch können die Schwestern und Angestellten nun in angemesseneren Räumen mit besserer technischen Ausstattung arbeiten. Die Cellerarin ist dankbar für die finanzielle Unterstützung von AIM, die diese Verbesserung ermöglicht hat.
Seit der Gründung im Jahr 1987 befindet sich das Kloster ständig im Umbau. Die Zahl der Schwestern bewegt sich immer um die Zahl acht herum. Einige junge Frauen sind eingetreten, haben aber das Kloster später wieder verlassen. Die Schwestern träumen vom Bau einer kleinen Kirche. Die bisherige Kirche könnte dann die Bibliothek werden. Ein letztes großes Bauvorhaben der Schwestern wäre dann noch ein vierter Klosterflügel, der den an einer Seite offenen Innenhof abschließen würde.
Von Anfang an zeigte sich die Gemeinschaft sehr offen für die örtliche Bevölkerung. Das Nachbardorf besteht aus ehemaligen Wolgadeutschen. Auch dort findet eine ständige Bautätigkeit statt. Obgleich schon drei oder vier Generationen seit der Gemeindegründung vergangen ist, hat es noch keine kommunale Selbstständigkeit erreicht. Die umliegende Region von Entre Rios ist gekennzeichnet durch viele derartige Dörfer und Städtchen, die im 19. oder 20. Jahrhundert von Einwanderern gegründet wurden.
Die Priorin legt mir einen Besuch im Dorf nahe. Wir sehen eine sehr deutsch wirkende Kirche, deren Turm mangels Geld noch ein Stumpf ist. Im kleinen Supermarkt macht meine Begleiterin einige Einkäufe, daneben gibt es eine Apotheke, eine Schule und einige Freizeitanlagen. Jeder kennt jeden. Es wirkt wie eine große Familie, zu der die Schwestern ganz selbstverständlich dazugehören. Jeder, der vorbeigeht, grüßt sie und nimmt sich Zeit, um einige Worte auszutauschen. Als wir ins Kloster zurückkehren, warten vor dem Haus schon einige Leute. Die Schwestern sind offen für Begegnungen, achten aber auch auf ihren privaten Raum. Zum Kloster gehört auch eine Gruppe von ungefähr zwanzig hochengagierten Oblaten.
Die Situation der Gemeinschaft rührt mich an. In gewisser Weise zeigt dieser Konvent in Paraná mögliche Wege, wie ein Mönchtum der Zukunft gestaltet sein könnte: Kleine Gemeinschaften, gut integriert in das jeweilige soziale und kirchliche Umfeld, tief verwurzelt in der Berufung zum Gebet und zu einem geschwisterlichen Leben, die positive Signale der Hoffnung ausstrahlen, dass Leben in Gemeinschaft schön sein kann und friedliches Leben in unserer Welt möglich ist. Auch wenn die Gemeinschaft von Paraná fragil ist, erfüllt sie vollauf eine solche Mission.
Nur wenige Kilometer weiter befindet sich der Fluss Rio Paraná, der diese Region prägt und ihr den Namen Entre Rios gegeben hat. Sie unterscheidet sich vollkommen von der Pampa, die sich kilometerweit in Richtung Buenos Aires erstreckt. Paraná liegt eindrucksvoll auf den ungefähr 50 Meter hohen Uferböschungen an der östlichen Seite des Flusses, dessen Namen sie trägt. Die Entfernung nach Buenos Aires beträgt von hier aus ca. 470 km und zur nächsten Stadt Santa Fe sind es 25 km. Mit der Stadt ist sie kommunal verbunden, was zu einem guten Teil einem Tunnel zu verdanken ist, der unter dem Fluss hindurchführt und die beiden Orte verbindet. Die Gesamtzahl der Einwohner beträgt ca. 250.000 Personen.
Sonntag, 29. September
8.00 Uhr morgens ist Abfahrt von Paraná. Sr. Andrea sitzt am Steuer und Priorin Isabel kommt auch mit, da beide am Treffen von EMLA in Córdoba teilnehmen wollen, wohin auch ich unterwegs bin.
Bei einem ersten Zwischenstop halten wir in Rafaela, einer Stadt, die ungefähr drei Fahrstunden entfernt liegt. Dort befindet sich eine Klostergründung der Abtei St. Scholastica von Buenos Aires (die erste von mir besuchte Gemeinschaft in Argentinien, vgl. Bulletin 118, S. 97f.). St. Scholastica hat auch ein Kloster in Uruguay und in San Luis in Argentinien gegründet. Allerdings soll dieses letztere Kloster nun wieder zu einem einfachen Haus heruntergestuft werden, da es sich nicht recht entwickeln will.
Wir erreichen Rafaela gerade richtig zur Morgenmesse. Diese ist gut besucht, da heute die Diakone der Diözese (ungefähr 15 Männer) anwesend sind. Während des Gottesdienstes werden zwei weitere Männer als Kandidaten für das Diakonat aufgenommen. Die Diakone gestalten die Messe. Die Klostergemeinschaft nimmt ohne weiteres an den Gesängen und den gestalteten Teilen teil. Es wirkt wie ein Pfarreigottesdienst, auch wenn für die Klostergemeinschaft ein Teil der Kirche reserviert ist.
Das hiesige Kloster von Rafaela wurde auf Wunsch des Ortsbischofs gegründet, der dem Mutterhaus St. Scholastika sehr nahe steht, und neben dem diözesanen Bildungshaus errichtet. Die Schwestern betreuen dieses Bildungshaus und bieten Kurse an, wodurch sie in der Diözese recht bekannt sind. Es ist ein interessantes Beispiel, wie benediktinisches Leben sich den jeweiligen Umständen anpassen kann, da das Mutterhaus St. Scholastica eigentlich einen klassisch-kontemplativen Hintergrund hat.
Das Kloster weist also eine große Lebendigkeit auf und sein Gebetsleben ist zu einem beträchtlichen Teil von den Gebetsanliegen der Ortskirche bestimmt. Die Schwestern betreuen Gruppen zur Berufungsklärung oder Katechumen und haben beste Beziehungen zum Bischof und allen Priestern der Diözese. Ihr Gästehaus ist besonders am Wochenende das ganze Jahr hindurch belegt.
Nach dem Gottesdienst führen mich die Schwestern durch die Anlage und zeigen mir die Orte, wo Zuschüsse der AIM eingesetzt wurden. Dazu zählt eine Paramentenwerkstatt und eine Hostienbäckerei.
Nach dem Mittagessen fahren wir weiter nach Córdoba, was ungefähr fünf Stunden Fahrzeit bedeutet.
Bei meiner Ankunft überrascht mich eine ganz andere Gestaltung benediktinischen Lebens im Frauenkloster von Córdoba, das sich zu Recht Gaudium Mariae nennt, Freude Mariens. Damit wird auf die Heimsuchung Bezug genommen, und in der Gemeinde ist tatsächlich viel Freude spürbar. Wir werden mit offenen Armen aufgenommen. Andere Teilnehmer des EMLA-Treffens sind bereits eingetroffen. Wir nehmen ein gemeinsames Picknick ein und ich freue mich, also ich in dieser lockeren Atmosphäre eine Reihe von Oberen entdecke, die ich schon von früheren Treffen mit lateinamerikanischen Ordensleuten kenne.
In den folgenden Tagen finden die Sitzungen des EMLA-Treffens statt. Es umfasst zahlreiche Vorträge, Begegnungen und Exkursionen, die jeweils starke geistliche Impulse mit sich bringen. Das Treffen hat mehrere Anliegen: die Mönche und Schwestern wollen sich geschwisterlich austauschen, informieren und stärken, um ihr Leben aus der Dynamik des Gotteswortes und unter der Führung des Evangeliums heraus zu leben (so das Leitthema des Treffens). Gott sei gedankt für die vielen Gaben, die er uns dafür in seiner Liebe schenkt!
* Der erste Teil des Reiseberichts erschien im Bulletin 118 (2020), S. 97-106.