Robert Igo OSB
Prior von Christ of the Word (Macheke, Simbabwe)
Ständige Weiterbildung –
„Anhalten, schauen, hören”
Klosterleben in Zeiten der Corona-Pandemie
Der Abtpräses der Englischen Benediktinerkongregation hat vor kurzem einen Rundbrief herausgegeben mit dem Titel: „Wie unsere Klöster auf eine neue Zeit vorbereitet werden können“. Worin diese neue Zeit besteht, kann jeder sich selbst aussuchen und es gibt bereits viele wilde Vermutungen. Vor einigen Jahren gab es in England ein Erziehungsprogramm für Kinder, welches „Überquerungsregeln grünes Licht“ hieß. Die Kernbotschaft lautete: „Anhalten, schauen, hören“. Diese Worte fielen mir ein, als ich über das Projekt nachdachte, das der Rundbrief vorschlägt.
Zunächst fiel mir ein, dass es in der Englischen Benediktinerkongregation fünf Klöster gibt, die außerhalb von Großbritannien liegen und sehr unterschiedliche Perspektiven haben, die nicht in englischer Kultur verwurzelt sind. Das gilt vor allem für die Gründungen in Peru und in Simbabwe. Was Simbabwe angeht, gehörte es ausdrücklich zum Gründungsprogramm, dass hier Klosterleben allein nach der Regel Benedikts weitergegeben werden soll, aber nicht die üblichen Regeln und Strukturen einer englischen Klostergemeinschaft. Dabei war gleichfalls selbstverständlich, dass mit einem solchen Vorgehen nicht der eigene englische Hintergrund abqualifiziert werden soll. Es soll lediglich die andere Realität und der andere kulturelle Hintergrund angemessen gewürdigt werden. Daher verbrachten wir auch viel Zeit damit, dass wir Grundprinzipien des benediktinischen Lebens herausfilterten, ohne deren Befolgung unsere benediktinische Identität verloren gehen würde. Oder anders ausgedrückt: Bei dieser Klostergründung bildeten wir uns nicht ein, dass wir schon alle Antworten wüssten. Unsere Grundhaltung war, dass wir erst einmal selbst lernen müssten, anstatt unsere eigenen Vorstellungen den Menschen in Simbabwe aufzudrängen. Und meine Erfahrung ist, dass dieser Prozess nie aufhört!
In gewisser Weise ähnelt das Leben nach der Corona-Pandemie einer solchen Neugründung in einer neuen und unbekannten Kultur. Möglicherweise können uns diese zwei Gründungen der Englischen Benediktinerkongregationen einiges lehren, was Flexibilität, Einsatz und Geduld anbelangt. Während der 24 Jahren seit der Gründung, beinahe nun 25 Jahre, wurde ich oft an das Buch Genesis errichtet: Es war vor allem eine Reise des Glaubens und des Vertrauens weniger absoluter Sicherheit.
Vor diesem Hintergrund frage ich mich, ob es nicht in der Startphase dieses Projektes sinnvoll wäre, wenn jede Gemeinschaft der Englischen Benediktinerkongregation eingeladen würde, zu folgenden Fragen eine Stellungnahme abzugeben:
1. Was waren 2-3 positive Erfahrungen des Corona-Lockdowns hinsichtlich a) unseres gemeinschaftlichen und persönlichen Gebetslebens? b) von Lectio und geistlicher Lesung? c) des Gemeinschaftsleben? d) eines tieferen Verständnisses der Regel?
2. In welcher Weise haben die Corona-Erfahrungen unsere missionarische Identität und Mission vertieft?
3. Wie haben diese Erfahrungen unsere besonderen Stärken und Schwächen hervortreten lassen?
4. Was haben sie uns hinsichtlich unserer traditionellen Apostolate und zukünftiger neuer Möglichkeiten gezeigt?
5. Auf welchen der genannten Erfahrungen wollen wir in den kommenden Monaten und Jahren aufbauen und daran weiterarbeiten?
Es handelt sich nur um einige Fragen, aber sie könnten dazu beitragen, dass tatsächlich gelebte Erfahrung eingebracht wird, welche den einzelnen Gemeinschaften Hoffnung für die Zukunft vermittelt und auch dem Abtpräses und dem Generalkapitel eine nützliche Orientierung und Hilfestellung bietet. Wie die Konstitutionen klar sagen, besteht die Englische Benediktinerkongregation aus unabhängigen Männer- und Frauenklöstern sui juris. Es handelt sich nicht um eine zentralisierte Körperschaft, die von oben regiert werden könnte, sondern die Engagement an den Wurzeln braucht, damit monastische Erneuerung tatsächlich stattfindet, wie es ja in diesem Sinne auch Papst Franziskus in seinen zwei Schreiben „Evangelii Gaudium“ und „Gaudete et Exultate“ darlegt.
In welcher Weise können die Klöster unserer Kongregation am besten auf die jetzige Situation mit einem vertieften Verständnis ihrer Mission antworten? Mit einem Hunger nach Heiligkeit und dem Bedürfnis, die Frohe Botschaft weiterzugeben? Wie kann daraus ein echter Pool gemeinsamer Erfahrungen, von Weisheit und Hilfsmitteln erwachsen, indem man den genannten drei Aufforderungen der „Überquerungsregeln grünes Licht“ folgt? Dazu müssen wir zunächst einmal „Anhalten“ – und genau das ermöglicht uns der von außen aufgezwungene Lockdown. Zusätzlich könnte vielleicht jede Gemeinschaft zusätzliche Freiräume anbieten, die den einzelnen Mitgliedern und der Gemeinschaft als Ganzes einen moderierten Reflexionsprozess ermöglicht. Dies eröffnet einen Prozess des „Schauens“, bei dem weiterführende Fragen gestellt werden. Die vorgeschlagenen Fragestellungen könnten leicht von Kongregationsseite weiterentwickelt werden, und die darauf erfolgenden Antworten werden mit Sicherheit sehr unterschiedlich ausfallen. Um aber nicht in die Gefahr der Selbstbespiegelung zu verfallen, sollten wir „Hören“, was sich nicht nur auf unseren innergemeinschaftlichen Umgang bezieht, sondern auf die Ortskirche, in der wir tätig sind. Denn eine Frage ist die, was für ein Kloster wir sein wollen, aber wir sollten uns auch fragen, was die Orts- und Landeskirche von uns erwartet und vor allem, was sie von uns braucht.
Erlauben Sie mir, dass ich einige persönliche Erinnerungen hier einbringe. Als wir in Simbabwe ankamen, versuchten wir von Anfang an, gute Kontakte mit den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten des Landes aufzubauen. Wir haben inzwischen Einkehrtage für die Priester aller Diözesen des Landes und der Ordensleute aller hier vorhandenen Kongregationen abgehalten. Dabei ging es nicht nur um Dienstleistung für andere, sondern wir wollten von unseren Gästen lernen, wie wir spirituell aufbauend wirken können. Wir wollten begreifen, was sie von uns als Mönchen erwarten. Daraus entwickelte sich ein fruchtbarer Dialog, der Vertrauen schuf und uns bei unserem Einsatz bei den Gläubigen weiterhalf. Wenn unsere Gemeinschaft „Christus das Wort“ im Boden von Simbabwe verwurzelt sein soll, dann müssen wir respektvoll damit umgehen und die Bodenbeschaffenheit genauestens kennenlernen. Ein ähnliches Vorgehen würde ich allen Klöstern nach der Corona-Pandemie vorschlagen, damit echte Verwandlungsprozesse in Gang kommen.
Spezialisten im Bereich der Virenerkrankung haben uns schon darauf hingewiesen, dass der Virus nicht nur die nächsten Jahre, sondern wohl auch Jahrzehnte prägen wird. Man denke nur an den HIV-Virus, der jedes Jahr Tausende von Menschen befällt und gegen den man immer noch keinen Impfstoff entdeckt hat. Viktor Frankl sprach einmal von dem „Stacheldrahtsyndrom“, durch das KZ-Häftlingen zunächst innerlich und anschließend äußerlich sterben. Sie sahen nur noch den Stacheldraht und verloren jede Hoffnung. Andere sahen den gleichen Stacheldraht, hatten aber die Zuversicht, dass auf der anderen Seite noch Leben existiert. Was ich damit sagen will, ist, dass die letzten Monate uns auch viele positive Erfahrungen vermittelt haben, auf denen wir aufbauen sollten. Zwei Erfahrungen kommen mir in den Sinn. Zunächst ein gewachsenes Gespür für Gemeinschaftsleben aufgrund der erzwungenen Klausur. Nach meinem Eindruck hat diese Erfahrung mehr gebracht als alle Seminare und Workshops über Gemeinschaftsbildung. Ein anderer Zuwachs besteht in den kreativen Formen, mit denen Gemeinschaften über social media, online Gottesdiensten und Exerzitien, Blogs und vielem mehr experimentiert haben. Die Qualität mag nicht immer Hollywood-Niveau erreichen, aber diese freigesetzte Kreativität sollte gepflegt und weiterentwickelt werden. Dabei wäre es sinnvoll, wenn wir mit der jeweiligen Orts- und Landeskirche zusammenarbeiten und uns beraten lassen. Der Virus hat uns viele interessante pastorale Möglichkeiten aufgezeigt und wir könnten zusätzliche Synergien freisetzen, wenn wir uns mit der Ortskirche austauschen.
Der Virus hat auch viele spirituelle Leerräume offengelegt. Unsere Klöster sollten angemessen ausgestattet sein, um dank klar gefasster spiritueller Hilfsmittel als Feldlazarette tätig zu werden. In dieser Situation müssen wir in erster Linie auf Evangelium und Regel schauen und uns fragen, wie diese den Mitmenschen Hilfe bringen können, und uns nicht hinter Programmen, Strukturen und Strategien verkriechen, die nur auf dem Papier stehen und keine Relevanz für die Menschen besitzen. Mit solchen Maßnahmen kratzt man sich an Stellen, an denen es gar nicht juckt. Wir stehen vor einer gottgegebenen Chance, die uns zeigen kann, welche monastischen Traditionen unserer Kongregation tatsächlich spirituell authentisch und weiterführend sind.
Diese Gedanken sind entstanden aus der Hoffnung, dass wir uns so gemeinsam auf den Weg einer monastischen Erneuerung begeben. Es kann nur ein Anfang sein, aber in diesem Anfang liegt ein Zauber.