Isabelle Jonveaux*
Institut für Religionswissenschaft, Graz

Klösterliche Ökonomie
als Entwicklungsmotor

 

Wie auch immer das ökonomische Modell aussah, das Klostergemeinschaften im Laufe der Geschichte entwickelt haben, es trug immer immer zur sozialen Entwicklung bei. Der Ordenshistoriker Philibert Schmitz spricht von der „Kulturarbeit“[1] der Mönche in Europa. Inwiefern kann heute das Mönchtum noch als innovative Kraft zur Entwicklung beitragen?

 

1. Warum sind Klöster Innovationslabore?

Auch wenn Klöster im Lauf der Geschichte immer wieder als Innovations- und Fortschrittslabore auftraten, so war dies keineswegs das erste Ziel, sondern ergab sich vielmehr aus dem Umstand, dass den monastischen Strukturen Eigenschaften zukommen, welche eine gewisse Dynamik begünstigen. Nach dem französisch-nigerianischen Anthropologen Olivier de Sardan lässt sich Innovation folgendermaßen definieren: „Verbindung von noch unbekannten Techniken, Erkenntnissen und Organisationsformen (meist eigene Anpassungen von wahrgenommenen oder von außen eingeführten Elementen) mit örtlich vorhandenen Techniken, Erkenntnissen und Organisationsformen.“[2] Er unterstreicht, dass Innovation ein sozialer Prozess ist.

EconomieSegueyaAuf den ersten Blick handelt es sich bei einer Klostergemeinschaft nicht um eine Wirtschaftseinheit, die auf Profit ausgerichtet ist. Ziel der klösterlichen Wirtschaft ist theoretisch der Selbsterhalt der Gemeinschaft. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer gewissen Risikobereitschaft, da das unmittelbare Ziel der Gemeinschaft nicht in der Erwirtschaftung eines Überschusses am Jahresende besteht. Die Klostergemeinschaft ist ein stabiler Faktor mit einer Lebenserwartung, welche die Durchschnittslebensdauer eines normalen Unternehmens übersteigt. Daher kann sie auch langfristige Risiken auf sich nehmen oder in menschlichem Kapital investieren. Eine Klostergemeinschaft denkt in großen Zeiträumen, was mit der Idee der Stabilität (stabilitas loci) zusammenhängt. Hinzu kommt, dass diese Gruppe die meiste Zeit in sozialem Frieden lebt: Sie sieht sich selbst als Personenverband, der Gott sucht.

Die dauerhafte Anlage der Gemeinschaft erleichtert die Weitergabe von Erfahrungen und Kenntnissen. Man erinnere sich nur der Kopierarbeit von Mönchen, die während des Mittelalters die Weitergabe von unter anderem medizinischem, landwirtschaftlichem, botanischem Wissen erlaubte. Die Langlebigkeit des Mönchtums ermöglicht schließlich Verbesserungen, indem man Erfahrungen anderer Gemeinschaften oder anderer Zeitalter konsultiert: „Die bemerkenswerte Stabilität des Mönchtums besteht zu einem guten Teil aus einer Stabilität der Erinnerung, einem durchgehenden Wissen, dass sich über dreißig Generationen erstreckt.“[3]

Selbst wenn die Gemeinschaft jung und eine Neugründung ist, kann jedes Kloster auf eine lange monastische Tradition zurückgreifen, was seine Legitimierung vereinfacht.[4]

 

2. Ökonomie und Entwicklung in Afrika

In Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen das Mönchtum noch keine lange Geschichte besitzt, kommt Klostergemeinschaften eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu. Jean-Pierre Olivier de Sardan definiert Entwicklung als eine „Gesamtheit von sozialen Prozessen, die durch bewusste Veränderungshandlungen hinsichtlich eines sozialen Milieus herbeigeführt und von externen Institutionen und Akteuren ausgelöst werden, aber mit dem Willen, dieses Milieu voranzubringen“.[5] Was das Mönchtum betrifft, so nimmt Entwicklung viele unterschiedliche Gestalten an. Wie schon gesagt, sind Innovation und Entwicklung keine Ziele des Klosterlebens, können aber positive Folgen seiner Präsenz sein. Dies bedeutet, dass Entwicklung aus Aktivitäten entspringt, die in ihrer eigentlichen Zielrichtung monastisch gedacht sind, d.h. mit dem religiösen Anliegen des Klosterlebens verbunden sind. Beispielsweise führten mittelalterliche Mönche hydraulische Apparate ein, um Zeit für das Chorgebet zu gewinnen.[6]

EconomieKsanzaIn ähnlicher Weise entsteht Fortschritt im Umkreis heutiger afrikanischer Klöster meist als positive Nebenerscheinung von klösterlicher Aktivitäten und Innovationen. So äußerte der Abt von Keur Moussa: „Wir streben den Fortschritt nicht an, er kommt von selbst.“ Zur benediktinischen Tradition gehört auch, dass man im und um das Kloster herum die Lebensbedingungen verbessert, weil dies auch für die Gemeinschaft von Vorteil ist. Im Rahmen einer Neugründung bedeutet dies, dass Mönche und Nonnen sich darum bemühen, die Fruchtbarkeit ihrer Felder zu verbessern, wofür Bewässerungsanlagen geschaffen werden, oder Zugang zu Elektrizität zu erhalten. Die Abtei Keur Moussa (Senegal) hat als Wahlspruch das Wort aus Jesaja 35,1 gewählt: „Und die Wüste wird blühen“. Tatsächlich gelang ihr die Nutzbarmachung von bisher ausgetrockneten Landstrichen, wozu auch neue Pflanzenarten eingeführt wurden. Die Einstellung lokaler Arbeitskräfte trägt zum Wachstum der örtlichen Wirtschaft bei und hilft der umliegenden Bevölkerung. Nach den Worten eines Mönches des kenianischen Klosters Our Lady of Mount Kenya liegt darin sogar ein Hauptfaktor, wie das Kloster örtliche Entwicklung fördert. Schließlich ist die anspruchsvolle Ausbildung der Mönche oder Nonnen auch ein Beitrag zur örtlichen Entwicklung. Und indirekt trägt das Kloster zur Entwicklung der Region bei, wenn sich Menschen um das Kloster herum ansiedeln, weil sie dort Arbeit, medizinische Versorgung oder eine Schule finden.

Ein anderer Aspekt klösterlicher Enwicklung entspringt aus Reaktionen von Mönchen und Nonnen auf örtliche Bitten um Beistand. Da die ersten religiösen Gemeinschaften in Afrika missionarischen Kongregationen waren, die Schule, Krankenstationen und Krankenhäuser einrichteten, werden auch kontemplative Gemeinschaften regelmäßig mit solchen Anfragen konfrontiert, wenn sie an einem Ort eine Neugründung vornehmen. Daher mussten die Mönche von Keur Moussa, die als Gründung von Solesmes eigentlich strikt kontemplativ und auf eine strenge Klausur ausgerichtet waren, eine Schule und eine kleine Krankenstation eröffnen. Sie konnten allerdings schon bald die Schule an ein Laiengremium und die Krankenstation an eine apostolische Schwesternkongregation weitergeben. Ein Mönch erinnert sich: „Zu uns kamen schwangere Frauen, damit sie hier ihre Kinder zur Welt bringen können. Das ist einfach nicht die Aufgabe von Mönchen!“ Die Gemeinschaften unterstützen auch gelegentlich soziale Programme. Beispielsweise nimmt das Kloster Our Lady of Mount Kenya an einem landwirtschaftlichen Entwicklungsprogramm teil, wodurch armen Familien geholfen werden soll.

 

3. Klösterliche Ökonomie als alternative Ökonomie

Klösterliche Ökonomie kann auch Entwicklungen anstoßen, indem sie alternative Lebensweisen einführt. Beispielsweise versuchten europäische Klöster, gegenüber vorherrschenden kapitalistischen Wirtschaftsformen Alternativen zu entwicklen,[7] erdachten ernstzunehmende Gegenvorstellungen oder boten Kurse zu diesem Thema an. Die französische Schwester Nicole Reille bezeichnet daher die Wirtschaftsform von Kongregationen als „prophetische Ökonomie“, da sie der Welt ein Zeugnis anderer ethischer Wertsetzungen bietet.

Die alternative Seite der Wirtschaftsform afrikanischer Klöster zeigt sich auch im Vergleich zu den dort geltenden Normen, denn Alternativität lässt sich nur durch Gegenüberstellung zu herrschenden gesellschaftlichen Normen feststellen. Eine erster Aspekt betrifft dabei die Art und Weise, wie Arbeit im klösterlichen Leben gelebt und gerechtfertigt wird. So äußert beispielsweise eine junge Schwester in Karen (Kenia):

„Ich betreibe meine Arbeit mit Liebe, nicht nur, um sie einfach nur zu erledigen. Es handelt sich sogar um sehr viel Liebe, so dass sogar die Schwestern selbst merken, dass ihre Kleider mit Liebe gewaschen wurden. Auch wenn man irgendwo nur Putzarbeiten mit Liebe verrichtet, wird es irgendjemand auffallen und er wird sagen: ,Ach, das ist aber mit viel Liebe gemacht worden.‘ Dabei ist ganz nebensächlich, worin irgendwann einmal die Ausbildung bestand, sondern dass du so die Gemeinschaft förderst.“[8]

Ein interessantes Beispiel findet sich in Kloster Séguéya im kommunistisch regierten Land Guinée Conackry, wo die Mönche dazu beitragen, dass die Arbeit eine neue Würde erhält: Die Mönche verrichten Handarbeit, um sich zu ernähren.

„In Guinea gibt es aufgrund des politischen Systems keine echte Arbeitskultur, die einfach verloren ging. Wenn die Leute sehen, wie die Mönche auf den Feldern arbeiten und sich abmühen, möchten sie es ihnen nachmachen. Ich glaube, diese Botschaft kommt an.“ (04/07/2016)

Ein weiterer Aspekt ist die Personalführung in menschlicher und sozialer Hinsicht, welche Klöster bei ihren Angestellten betreiben. Bei der Anstellung sind nicht selten soziale Gründe wichtiger als wirtschaftliche Gesichtspunkte. So erläutert der Cellerar von Keur Moussa:

„Für uns steht die soziale Dimension an erster Stelle. Schon seit der Klostergründung wollten wir den Menschen im Umkreis beistehen, die keine Arbeit haben und bei uns deswegen nachfragen. Hier würden wir gerne noch mehr helfen, aber unsere Mittel sind beschränkt. Dennoch können wir vielen Menschen in der Nähe helfen.“ (4/07/2016)

Erwähnt sei auch, dass manche afrikanische Gemeinschaften Sozialabgaben für ihre Angestellten zahlen, was in den dortigen Gesellschaften wenig verbreitet ist.

Für eine wachsende Zahl afrikanischer Klöster sind umweltfreundliche und nachhaltige Formen des Wirtschaftens ein wichtiges Thema geworden. So hat sich die Gemeinschaft von Keur Moussa für eine biologische Landwirtschaft entschieden. In Kenia haben die Mönche sich für Solarenergie und Wasserwiederaufbereitung entschieden, um Umweltbeeinträchtigungen zu vermeiden, solange noch kein Anschluss an staatliche Netze möglich ist. Kloster Agbang im Togo erzeugt gleichfalls seinen Strombedarf aus Solarenergie, was den stromlosen Bewohnern im Umliegenden Busch die Möglichkeit gibt, im Kloster ihre Handys neu aufzuladen.

 

Schluss

Worin besteht eine klösterliche Ökonomie? Wir können an diesem Punkt nur sagen, dass es keine Form klösterlicher Wirtschaft an sich gibt, sondern lediglich unterschiedliche klösterliche Wirtschaftsformen, die sich aus der politischen und religiösen Geschichte eines Landes und dem heutigen wirtschaftlichen und sozialen Kontext ergeben. Man kann jedoch einige gemeinsame Grundprinzipien beobachten, welche die Gemeinschaften einzuhalten versuchen. Denn die wirtschaftliche Form spielt eine wichtige Rolle dabei, ob ein Klosterleben nach außen glaubwürdig erscheint. Die ökonomische Seite ist oft ein herausragender Faktor, wie Klöster mit ihrer Umwelt kommunizieren. Darüber hinaus hat sie Auswirkungen auf das gesamte Klosterleben und wird natürlich auch davon beeinflusst.

Für afrikanische Klöstern ist es oft noch ein weiter Weg, bis die wirtschaftlichen Aktivitäten zu Stabilität finden. In ihrer Situation spiegelt sich der jeweilige sozio-ökonomische Kontext eines Landes und Einflüsse der Gründungsvorstellungen. Doch oft sind es gerade die wirtschaftlichen Aktivitäten der Klöster, die ihnen erlauben, die Entwicklung ihrer Umgebung positiv zu verändern. Auch wenn dies kein ausdrückliches Ziel des Klosterlebens ist, gibt es nach einem Ausdruck von Max Weber eine Art „Wahlverwandtschaft“ zwischen der Ökonomie eines Klosters und der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung des klösterlichen Umfeldes. Das Klosterleben kann also durchaus seine jeweilige Umwelt beeinflussen und, wenn die klösterliche Lebenswelt eine größere Ausstrahlung besitzt, sogar auf die gesamte Gesellschaft einwirken, wie es in der europäischen Geschichte der Fall war.

 

* Isabelle Jonveaux lehrt als Soziologin an der Universität Graz und ist Mitglied von CéSor (Paris). Zu ihren Themen zählen Fragen des klösterlichen Lebens (Ökonomie, Arbeit, Ökologie, Geschlechterverhältnis, Körpergeschichte, Askese), Internet und Religion (religiöse Praktiken im Internet, Internetfasten), aber auch das Fasten oder alternative Ernährungsformen (Fasten- und Wanderkurse, positive Genügsamkeit...). Zur Zeit arbeitet sie an einem Forschungsprojekt über das afrikanische Mönchtum. Der hier vorgestellte Artikel ist ein Auszug aus einem Vortrag bei einem Symposium des monastischen Instituts in Rom zum Thema „Mönchtum und Ökonomie“ (vgl. Studia Anselmiana Monasticism and Economy: Rediscovering an Approach to Work and Poverty, Acts of the Fourth International Symposium, Rome, June 7-10, 2016).

[1] Vgl. Ph. Schmitz, Geschichte des Benediktinerordens, Bd. 2: Die Kulturarbeit des Ordens von seiner Gründung bis zum 12. Jahrhundert, Einsiedeln-Zürich 1948.

[2] Jean-Pierre Olivier de Sardan, Anthropologie et développement. Essai en socio-anthropologie du changement social, Marseille-Paris 1995.

[3] The remarkable stability of monasticism is in large part a stability of memory, a continuity of understanding spanning thirty generations.“ So R.H. Winthrop, Leadership and Tradition in the Regulation of Catholic Monasticism, in: Anthropological Quarterly 58 (1985) 30.

[4] B. Delpal, Le Silence des moines, Les Trappistes au XIXe siècle, Paris 1998, S. 15.

[5] Olivier De Sardan, Anthropologie et développement.

[6] M. Derwich, La Vie quotidienne des moines et chanoines réguliers au Moyen-Age et Temps Modernes, Wroclaw 1995.

[7] I. Jonveaux, Le Monastère au travail, Paris 2011.

[8] ‘I do it with love, not just doing it, I do it with a lot of love. Until they feel themselves that this cloth is washed with love. Even when you sweep you sweep a place with love and somebody will look at it and say “Yes, this was done with love.” It doesn’t matter what you have gone to school for but what matters is what you give to the community.’