Matias Fonseca de Medeiros OSB
Abtei Rio de Janeiro (Brasilien)
Basílio Penido OSB
(1914-2003)
I. Christo nihil præponere (Christus nichts vorziehen)
Am Nachmittag des 24. Novembers 1961 erhielt Pater Basílio Penido von der brasilianischen Nuntiatur ein Dekret des Heiligen Stuhls zugestellt, worin er zum Abt-Koadjutor der Abtei Olinda ernannt wurde. Der junge Prior des Klosters und Generalvikar der Abbatia Nullius[1] von Rio de Janeiro war nach seinen eigenen Worten „sprachlos“[2]. Die unerwartete Ernennung traf ihn tief. Er fühlte sich in der Gemeinschaft von Rio de Janeiro sehr wohl und wurde als heiterer und freundlicher Mensch von den Mitbrüdern geschätzt. Zudem war Rio de Janeiro seine Geburtsstadt, wo seine Familie lebte. Das Dekret ließ ihm keine Wahl. Es wurde im Gehorsam erwartet, dass er in die 2300 km entfernte Stadt Olinda aufbrach.
Zunächst wollte er sich der Ernennung verweigern. Dies hatte er bereits einmal im Jahr 1948 gewagt, als er zum Abt von Rio postuliert wurde. Damals hatte er vorgebracht, dass er mit 34 Jahren „noch zu jung sei und keinerlei Erfahrung habe“ (eigene Erzählung). Sein Abt bat ihn jedoch darum, dass er zunächst einmal vor dem Allerheiligsten eine längere Überlegungszeit verbringen und auf das „hören solle, was Gott ihm im Gebet“ mitteile. Während dieser Zeit des Gebets und der inneren Unruhe kamen ihm zwei Worte in den Sinn: Gehorsam und Demut! Als ehemaliger [3] Jesuitenzögling war ihm die ignatianische Tugend des „Kadavergehorsams“ vertraut. Und als Sohn des hl. Benedikt wusste er, dass „der erste Schritt zur Demut Gehorsam ohne Zögern ist. Er ist die Haltung derer, denen die Liebe zu Christus über alles geht. (RB 5,1f.). Nach dem Gebet vor dem Tabernakel fühlte er seinen inneren Frieden wiederhergestellt und wählte als Wahlspruch: Christo nihil præponere (Christus nichts vorziehen, RB 72,11). Die späteren Ereignisse zeigten, dass dieses Motto für seine Amtszeit als Abt von Olinda (1962-1987) und Präses der brasilianischen Kongregation (1972-1996) gut gewählt war. Der Abschied von Rio de Janeiro blieb allerdings für ihn ein „echtes Opfer Abrahams“.
Im Jahr 1966 begab er sich erstmals nach Rom, um am Äbtekongress der Konföderation teilzunehmen. Es war der erste nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dank seiner ausführlichen Rundbriefe an die eigene Gemeinschaft in Olinda, welche zahlreiche Einzelheiten enthalten, lässt sich der Verlauf dieses Kongresses gut nachvollziehen. Dabei ging es vor allem um die Erneuerung des Ordenslebens nach den Vorgaben des Konzils. Bei den Besprechungen gab Abt Basílio öfters eigene Stellungnahmen ab.
Abt Basílio kam 1914 in Rio de Janeiro zur Welt und verbrachte dort die ersten sechs Lebensjahre, zog dann aber mit der gesamten Familie nach Paris, wohin der Vater als Militärattaché bei den Vereinten Nationen versetzt worden war. Der Junge erwies sich als äußerst sprachbegabt. Neben Portugiesisch sprach er fließend Französisch, das er in seinen neuen Schule Sainte-Croix in Paris brauchte. Englisch hatte er von seinem englischen Kindermädchen erlernt. Nach einem dreijährigen Aufenthalt und der Erstkommunion in der Pariser Pfarrei Notre-Dame de Grâce in Passy kehrte die Familie wieder nach Brasilien zurück.
Die weitere Schulzeit verbrachte der Junge im Kolleg St. Ignatius in Rio de Janeiro und trat nach Schulabschluss ins Noviziat der Jesuiten ein. Sein lebhaftes Temperament kollidierte allerdings mit der strengen Hausdisziplin der Jesuiten. Erschöpft gab er schließlich auf, trat aus dem Noviziat wieder aus und begann ein Medizinstudium, das er sechs Jahre später mit einer Promotion abschloss. Anschließend trat er bei den Benediktinern ein. Die damals übliche monastische Observanz fiel ihm allerdings auch recht schwer. Wie er uns erzählte, war er „ schließlich kräftemäßig völlig erschöpft“. Dennoch war er inzwischen reifer geworden, konnte die Belastung aushalten, ohne sich zu verbiegen oder bitter zu werden.
In seiner Studentenzeit hatte er sich bei der „Ação Universitária Católica“ engagiert, einem Zusammenschluss katholischer Studenten, aus dem später das „Instituto Superior de Estudos Católicos“ hervorging. Viele der beteiligten Studenten waren von der damaligen Erneuerung des liturgischen Lebens und der Wiederentdeckung der frühen Kirche tief beeindruckt und wurden Ordensleute oder Priester.
Als Mensch war Abt Basílio sehr offen für andere Menschen, begeisterungsfähig, kultiviert, aber auch schlicht in seinem Auftreten, so dass seine jeweilige Umwelt von selbst zu ihm als einer „Führergestalt“ aufschaute. Mit großer intellektueller Neugier, ohne dass er sich irgendwie zu profilieren versuchte, interessierten ihn die jeweiligen moralischen, politischen oder sozialen Probleme der Menschen.
Seine Spiritualität war sowohl in den ignatianischen Exerzitien als auch in der Regel des hl. Benedikt verankert. Daneben gab es aber auch weitere spirituelle Autoren, die ihm wichtig waren wie Johannes vom Kreuz, Thérèse von Lisieux, Charles de Foucauld oder Thomas Merton.
Er war ein begeisterter Leser der französischen Literatur und kannte sich gut in den Schriften von Jacques Maritain, Paul Claudel, François Mauriac, Julien Green, Charles Péguy und vielen anderen aus. Er wurde ein persönlicher Freund von Georges Bernanos, als dieser in Brasilien im Exil weilte.
Die Erneuerung von Kirche, Theologie und vor allem des monastischen Lebens in der nachkonziliaren Zeit fanden in ihm einen entschiedenen Vorkämpfer. Für die Umsetzung dieser Neuerungen bedurfte es in einer ständig im Wandel begriffenen Welt viel Fingerspitzengefühl und Klugheit. Er zögerte auch nicht, zu entscheiden und zu handeln, wenn die Situation es erforderte.
Seine Begabung, der eigenen Gemeinschaft genau zuzuhören und mit ihr zu beraten, erlaubten ihm, Schritt für Schritt die konziliaren Veränderungen einzuführen. Hervorzuheben ist sein ökumenisches Interesse. Im Jahr 1966 nahm er in Olinda drei Brüder von Taizé auf. Sie wurden in einem Haus neben der Abtei untergebracht und integrierten sich gut in die Gemeinschaft. Dabei nahmen sie an bestimmten Gebetszeiten, den Mahlzeiten und der Arbeit teil.
Abt Basílio war nicht entgangen, dass im Umkreis des Klosters viel Elend zu finden war. Er überließ in Absprache mit der Gemeinschaft und den Behörden einen beträchtlichen Teil des weitläufigen Klostergrundstücks an besonders bedrängte Menschen, damit sie dort eine Unterkunft errichten konnten. So entstand ein neuer Stadtteil in Olinda, der „Vila São Bento“ genannt wird.
Im Interesse eines gemeinsamen Auftritts beim römischen Äbtekongress von 1967 lud Abt Basílio die Äbte und Prioren der anderen Klöster Brasiliens zu einer Vorbesprechung ein. Dabei wurde sein Vorschlag einer größeren Annäherung aller Klöster Brasiliens unter der Benediktusregel diskutiert. Ziel sollte die Erarbeitung einer gemeinsamen Sprache zu sein, um innerhalb der brasilianischen Gesellschaft das monastische Charisma, seine Berufung und Mission zu vermitteln. Die Diskussionen erwiesen sich als ausgesprochen zäh, da alle Äbte an ihren jeweiligen Traditionen hingen und neben der brasilianischen Kongregation eine Reihe weiterer Kongregationen vertreten waren. Nachdem aber alle das Anliegen verstanden hatten, nämlich dass „Einheit in Verschiedenheit“ gesucht wurde, stimmten die Oberen schießlich der Gründung einer monastischen Oberenkonferenz für Brasilien zu, der CIMBRA. Erster Präsident wurde Abt Basílio.
II. In carcere eram (Ich war im Gefängnis)
Das Jahr 1964 markierte einen Wendepunkt im politischen Leben Brasiliens und der dortigen Kirche. Am 31. März installierte ein Staatsstreich eine Militärdiktatur, die die kommenden 21 Jahre regieren sollte. Nur einige Wochen später wurde Helder Camara Erzbischof von Olinda und Recife. Zu Beginn war das Verhältnis zwischen dem neuen Erzbischof und den staatlichen Stellen noch respektvoll und ein Dialog schien möglich. Doch bald schon verhärtete sich der Regierungskurs. Es kam zur Verhaftung von Oppositionellen, Folterungen und politischer Repression, was das Verhältnis zur Kirche zunehmend beeinträchtigte. Abt Basílio hatte gute Beziehungen zum Militär, da sein Vater zuletzt Flottenadmiral gewesen war und drei seiner Neffen hohe Offiziersposten innehatten. So wurde er zum Vermittler zwischen Erzbischof Helder, der offen jede Form von Gewalt verurteilte, und den militärischen Stellen von Recife. Als enger Freund und Vertrauter des Erzbischofs konnte er diese delikate Aufgabe immer wieder erfolgreich bewältigen.
Mit großem Mut, manchmal sogar an der Grenze zur Unvernunft, verbarg er in diesen dunklen Zeiten verfolgte Studenten im Kloster und verhalf ihnen zur Flucht. In dieser Zeit gab es zahlreiche politische Häftlinge, die er regelmäßig als Priester und Arzt in den Gefängnissen besuchte. Bei diesen Besuchen musste er oft seitens der Polizei alle möglichen Schikanen erdulden. Als er einmal davon erzählte, fragte ihn ein empörter Mitbruder, wie er so etwas ertragen könne. Seine Antwort lautete: „Gott gibt mir so die Gnade, an den Leiden Christi Anteil zu haben. Beim letzten Gericht wird Jesus mir sagen: ,Ich war im Gefängnis und du hast mich besucht.‘“
Auf seinem hölzernen Abtskreuz war sein Wahlspruch eingraviert: „Christo nihil præponere.“ Bei einem Gefängnisbesuch wollte ein Gefangener sich das Kreuz näher anschauen und gab es ihm zurück, ohne etwas zu sagen. Zwei Wochen später schickte ihm dieser Gefangener, der ein guter Schreiner war, im Namen aller Gefangenen ein genau gleiches Holzkreuz zu. Darauf war als neuer Wahlspruch das Wort Jesu eingraviert: „In carcere eram“ (Ich war im Gefängnis). Abt Basílio war sehr bewegt und benutzte von nun an dieses Kreuz.
Die Liebe Christi allem anderen vorzuziehen war die eine große Leidenschaft seines Lebens! Seine tiefe Verbundenheit mit der Kirche und den Mitbrüdern, sein unermüdlicher Einsatz für diejenigen, die „hungern und dürsten nach Gerechtigkeit“, vor allem Arme und Gefangene, sein Eintreten für die Erneuerung des monastischen Lebens, das authentisch der Tradition folgen, aber auch offen für die Werte der Moderne sein sollte, haben gezeigt, wie intensiv er Christus und dem Evangelium nachfolgen wollte. Die letzten Jahre seines Lebens, als er mit der Krankheit kämpfen musste, verbrachte er in seinem Professkloster in Rio de Janeiro. Dort kehrte er am 2. Juni 2003 mit 88 Jahren heim zu Gott. Getragen von der Freude und dem Frieden des auferstandenen Christus hat er viele neue Wege eröffnet.
[1] Vom CIC 1917 eingeführter Begriff für Territorialabteien. Im Fall der Abtei Rio de Janeiro wurde der Titel bzw. Status im Jahr 2002 eingezogen.
[2] Persönliche Erinnerung an Erzählungen von Abt Basílio im Noviziat.
[3] Auf den Ausdruck „Perinde ac si cadaver esset“, der sich in den frühen Konstitutionen der Jesuiten befindet, kam Abt Basílio gerne in seinem Noviziatsunterricht zurück, wenn es um den Gehorsam ging.