Anna Chiara Meli OCSO
Priorin von Mvanda (Kongo)
Die Seligpreisungen
als Leitbild klösterlicher Ausbildung
„Viele sagen, wer lässt uns Gutes schauen?
Herr, lass dein Angesicht über uns leuchten!“
(Ps 4,7)
Dieser Vers aus dem vierten Psalm ist ein guter Einstieg für unsere Meditation über die Seligpreisungen. Es geht um die Suche nach Glück. Denn das ist allen Menschen gemeinsam: jeder strebt danach, glücklich zu werden. Aber um was für ein Glück handelt es sich dabei?
Die acht Ausrufe „selig“ bei Matthäus schlagen uns einen Weg zum Glück vor, der von menschlichen Glücksmaßstäben weit entfernt ist. Wer würde es heute wagen, jemand, der weint, der hungert oder auch nur barmherzig ist, glücklich zu nennen? Unsere Welt stellt sich Glück unter gerade entgegengesetzten Bildern vor, nämlich mit Bildern von lachenden, satten und starken Menschen.
Der Weg der Seligpreisungen enthält im Grunde diesselbe Antwort wie der anfangs zitierte Psalm 4: das Gesicht des Herrn. Es scheint ganz so, als ob die Seligpreisungen des Matthäus vor allem ein inneres Antlitz Jesu vorstellen wollen, der den Armen in seiner Vollendung darstellt, damit wir auf diese Weise sein Angesicht entdecken können.
So sagt es auch Marcel Dumais in seinem Kommentar: „Jesus konnte die Seligpreisungen formulieren, weil er sie als erster gelebt hat. Sie drücken seine persönliche Erfahrung aus, seine konkrete Glaubenspraxis, seine Hoffnung, die er durch Leiden und die Erwartung des Todes gewonnen hat. Auf diese Weise wird Jesus selbst der Garant und das Modell für glückliches Leben.“[1] Und dieser Jesus eröffnet sein Programm bei Matthäus mit einer Beschwörung des Glückes.
André Chouraqui vermutet hinter dem Ausdruck „selig“ eine aramäische Redewendung, die „vorwärts“ bedeutet und zum Aufbruch aufruft. Damit werden wir eingeladen, unsere Glückssuche zusammen mit Jesus vorzunehmen. Es stammt von Gott, beruht aber auch auf unseren eigenen Entscheidungen und Festlegungen. Diesen Gedanken finden wir mehrfach in der Heiligen Schrift. Beispielsweise wird in Psalm 1 derjenige glücklich genannt, der sich nicht mit „Spöttern“ abgibt, sondern sich „an der Weisung des Herrn erfreut und Tag und Nacht darüber nachsinnt.“ Solche Worte legen uns nahe, ein inneres Konzept durch ein anderes zu ersetzen, Grundeinstellungen neu zu definieren, die „unnützen Pläne der Völker“ (Ps 2,1) zum Schweigen zu bringen, die so schnell ein Echo in uns finden. Auf diese Art können wir in uns in der Tora wie ein Baum verankern, der seine Wurzeln in die Tiefe hineinsenkt, bis sie Wasser finden. Auch der Psalm 2 enthält eine Seligpreisung, wenn er zum Abschluss sagt: „Selig, die bei ihm sich bergen!“ Wenn man die Seligpreisungen zusammenfassen möchte, könnte man das vielleicht mit folgenden Worten versuchen: „Selig, wer Jesus ähnlich ist. Selig, wer seine Freude darin findet, dem Vater nahe zu sein.“
Ein hilfreicher Zugang zu den Seligpreisungen besteht darin, dass man die sieben letzten Anrufungen als Variationen zur ersten Seligpreisung verstehen kann. Denn alle Seligpreisungen umspielen das Thema der Armut im Geiste. Wir wollen uns daher dieser ersten Seligpreisung im Folgenden eingehender zuwenden.
Der Ausdruck „die Armen im Geiste“ ist in der gesamten Heiligen Schrift einmalig, auch wenn er durchaus einen biblischen Hintergrund besitzt und er in Beziehung mit anderen Begriffen des Matthäus steht wie „die Reinen im Herzen“ (5,8) oder wenn Jesus „sanftmütig und von Herzen demütig“ (11,29) genannt wird.
Solche Herzensarmut bezeichnet eine Geisteshaltung, welche das gesamte Dasein eines Menschen durchdringt. Eine Haltung, welche ihre Armut einsieht, ist nicht selbstgenügsam, sondern kennt ihre Not und die Notwendigkeit, von anderer Seite Beistand zu erhalten, um wachsen und reifen zu können. Daher wird wohl heute einmütig diese Seligpreisung folgendermaßen gedeutet. „Glücklich, wer einsieht, dass er ganz und gar von Gott abhängt und sich ihm umfassend anvertraut.“[2]
Bei der ersten Seligpreisung handelt es sich um das Glück der Gewaltlosigkeit, der freiwilligen Selbstentmachtung, der Hingabe des Willens an Gott. Dies war das tägliche Schicksal der Menschen, welche das Alte Testament „anawim“ nannte, was ethymologisch von „gekrümmt sein“ abzuleiten ist. Daher schlägt auch Erri de Luca als alternative Übersetzung für die erste Seligpreisung vor: „Glücklich die vom Wind Gekrümmten“. „Anawim“ sind ursprünglich sozial ausgegrenzte Menschen, die ihre Rechte nicht durchsetzen können und sich unter den Reichen und Mächtigen krümmen müssen. Später wurde dieser Ausdruck für diejenigen verwandt, welche „sich vor dem Herrn krümmen“ und alles von ihm erwarten, da sie ihre Not einsehen.
Vor diesem Hintergrund erkennt sich der „anaw“, der von Herzen Arme, als das, was er ist: „ein Geschöpf, dessen Reichtum in Gott besteht. Er ist offen und aufnahmebereit (...), für ihn ist das Heil in erster Linie ein Geschenk und nicht ein Ziel, das durch eigene Anstrengungen zu erwerben ist. Die erste Glückseligkeit drückt daher das fundamentale Glück aus, da sie die grundlegende Eigenschaft bezeichnet, welche zu einer Zugehörigkeit zum Gottesreich befähigt: die Haltung der Aufnahmebereitschaft. Ohne diese Haltung kann man sich nicht beschenken lassen und in der Gemeinschaft mit Gott und den Nächsten leben und wachsen.“[3]
Die erste Seligpreisungen enthält also bereits alle anderen und beinhaltet deren Grundmuster. Was in der Folge noch ausgeführt wird, enthält lediglich besondere Aspekte der Herzensarmut. Wie wir schon gesagt haben, ist der wahre Herzensarme Jesus selbst. Das finden wir bestätigt, wenn wir auf drei weitere Seligpreisungen schauen, nämlich „Selig die Sanftmütigen“, „Selig die Trauernden“ und „Selig die Barmherzigen“.
Bei dem Ausruf „Selig die Sanftmütigen“ ist zu beobachten, dass der Begriff „sanftmütig“ (griechisch: praeis) bei den anderen Evangelien überhaupt nicht auftaucht und bei Matthäus nur noch an zwei anderen Stellen verwendet wird, nämlich in Matthäus 11,29: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“ und dann noch Matthäus 21,5, wo Sacharja 9,9 zitiert wird: „Siehe dein König kommt, sanftmütig und auf einem Esel reitend.“ Beide Stellen befassen sich also mit der Selbsterniedrigung Christi. Er ist der Sanftmütige par excellence. Die Sanftmütigen sind diejenigen, welche wie er ihre Freude darin finden, dem Willen Gottes zu folgen.
„Der Sanftmütige will Gott keine Gewalt antun und ihm gewaltsam entreißen, was er begehrt (...) Er folgt der von Gott vorgegebenen Zeit und der Handlungsweise Gottes. Man kann ihn daher auch nicht als schwach bezeichnen, sondern im Gegenteil als jemand, der eine große Seelenstärke besitzt.“[4]
Wenn man den Ausruf „Selig die Trauernden“ mit Lukas 6,21 vergleicht, könnte man zunächst einmal an alle armen Menschen denken, denen im Leben nichts erspart bleibt. Man muss allerdings auch beachten, dass der Begriff „penthos“ (Trauer) von einem Verb kommt, das nur noch ein weiteres Mal in Matthäus 9,15 zu finden ist: „Können die zur Hochzeit Eingeladenen trauern, wenn der Bräutigam bei ihnen ist?“ Vor diesem Hintergrund sind unter Trauernden auch solche Menschen zu verstehen, welche durch die Abwesenheit oder Ablehnung Gottes tief verstört werden. In ähnlicher Weise ist Jesus zutiefst betrübt, dass das Haus seines Vaters zu einem Nest von Geschäftemachern und Räubern geworden ist, dass das Gebot der Gottesliebe dazu missbraucht wird, um schlichte Menschen schwer zu belasten, dass die Tora gegen und nicht zugunsten der Menschen ausgelegt wird. Mit anderen Worten, er ist bedrückt, dass mit solchen Handlungen das Gesicht des himmlischen Vaters verunstaltet wird!
„Selig die Barmherzigen“ lässt anklingen, dass im Alten Testament die Barmherzigkeit zu den Eigenschaften Gottes zählt. Gottes Barmherzigkeit besteht vor allem darin, Sünden zu vergeben und sich für Menschen in Not einzusetzen. Das in der Bibel verwendete Wort für Barmherzigkeit lautet „rehem“, was übersetzt auch Uterus oder Mutterschoß heißt.
„Barmherzig sein bedeutet, dass es einem die Eingeweide umdreht, wenn man das Elend und Unglück der Menschen mit ansehen muss. (...) Barmherzige sind Menschen, welche ihr Herz für die Mitmenschen öffnen und mit Taten ihre Not lindern. (...) Ausgehend von den Beispielen in Matthäus 25 kann man darauf schließen, dass mit der Seligpreisung der Barmherzigkeit alle Dienste gemeint sind, durch welche man das Unglück anderer Menschen erleichtert.“
Das Gleichnis von Matthäus 18,23-35 stellt klar, dass die „Vergebung, die man anderen schenkt, aus der Vergebung entspringt, welche man selbst von Gott empfangen hat (...). Erst die Erfahrung, dass Gott uns vergeben hat, befähigt uns dazu, den Menschen zu verzeihen, welche uns Böses getan haben. Die Annahme von Vergebung wird dann authentisch und echt, wenn derjenige, dem vergeben wurde, seinerseits Frucht trägt, indem er anderen Vergebung schenkt.[5]“ Wie könnte man hier sich nicht an die Worte Jesu am Kreuz erinnert fühlen: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“?
Man könnte ohne weiteres auch noch die anderen Seligpreisungen, die hier übergangen wurden, christologisch auslegen. Doch das bisher Gesagte erlaubt uns vielleicht schon, das „Antlitz des Schönsten der Menschen“ zu erkennen. Durch ihn erahnen wir auch die Schönheit des Vaters im Himmel.
[1] Marcel Dumais, Le sermon sur la Montagne (Matthieu 5-7), CE 94, Paris 1995, S. 18.
[2] A.a.O., S. 18.
[3] M. Dumais, Le sermon sur la Montagne (Matthieu 5-7), CE 94, Paris 1995, S. 18-19.
[5] A.a.O., S. 20.
[6] A.a.O., S. 23.