Bernardo Olivera OCSO
Generalabt em. der Trappisten

Berufungsklärung
nach der Benediktusregel*

 

OliveraBernardoÜberfluss und Mangel an Berufungen sind Erscheinungen, die gleichermaßen eine genaue Klärung erfordern. Ein Mangel an Berufungen verführt oft dazu, dass man sich ohne genauere Prüfung auf Kandidaten einlässt. Ein Überfluss an Nachwuchs kann mit sich bringen, dass man die Ernte nicht genügend aussiebt.

Wir wollen im Folgenden genauer die Lehre Benedikts hinsichtlich der Berufungsklärung betrachten, welche die Zeit unmittelbar vor dem Eintritt bis zur Professablegung umfasst.

Benedikt besaß sicher das Charisma der Unterscheidung der Geister. Dennoch zeigt er sich bei der Berufungsklärung vor allem pragmatisch: Er hält sich an das Sichtbare und Messbare. Dazu führt er vier Kriterien an.

Beharrlichkeit

Das erste Kriterium findet sich zu Beginn von Kapitel 58. Dort heißt es:

„Kommt einer neu und will das klösterliche Leben beginnen, werde ihm der Eintritt nicht leicht gewährt, sondern man richte sich nach dem Wort des Apostels: ,Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind.‘ Wenn er also kommt und beharrlich klopft und es nach vier oder fünf Tagen klar ist, dass er die ihm zugefügte harte Behandlung sowie die Schwierigkeiten beim Eintritt geduldig erträgt, aber trotzdem auf seiner Bitte besteht, gestatte man ihm den Eintritt, und er halte sich einige Tage in der Unterkunft für die Gäste auf“ (RB 58, 1-4).

Es handelt sich also um eine erste Prüfung, ob der Kandidat tatsächlich vom Geist Gottes erfasst ist, was seinen Eintrittswunsch betrifft.

Benedikt weist damit auf zwei Eigenschaften hin, die sich leicht feststellen lassen: Beharrlichkeit und Geduld. Der Zeitfaktor hilft dabei, diese Haltungen nachzuprüfen. Wenn der Kandidat auch noch nach einigen Tagen zurückhaltender Behandlung auf seinem Wunsch beharrt, kann man wohl sagen, dass eine Eingebung von oben ihn ins Kloster geführt hat. Es heißt aber natürlich noch lange nicht, dass er deswegen Mönch werden müsse. Geduld ist die erste Tugend eines Kandidaten. Sie ist in ihrer Anwendung gegenüber mir selbst und anderen ein entscheidender Punkt, um im klösterlichen Leben zu beharren. Ohne Geduld ist die Gemeinschaft mit den Leiden Christi nicht möglich und ebensowenig eine tiefere und barmherzige Anteilnahme an den Schwächen der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft (vgl. RB Prol. 50; 72,5).

Praktischer Hinweis: Aufgrund von Nachwuchsmangel werden oft Kandidaten ohne Prüfung durchgelassen, ohne dass man die Vorsichtsmaßnahmen beachtet, welche die Regel und die gesamte monastische Tradition nahelegen. Aus diesem Grund wird dann gerne versäumt, dass man die Kandidaten vorab darüber informieren sollte, welche Härten sie auf ihrem klösterlichen Weg zu Gott erwarten (58,8).

 

Wahrhafte Gottessuche

Das zweite Kriterium Benedikts lautet folgendermaßen:

„Man achte genau darauf, ob der Novize wirklich Gott sucht, ob er Eifer hat für den Gottesdienst, ob er willig ist zu gehorchen und ob er bereit ist, niedrige Arbeiten zu verrichten“ (58, 7).

OliveraFresqueIn diesem Zusammenhang ist mit Gottsuche nicht die Suche nach dem unfassbaren verborgenen Gott gemeint, sondern die Rückkehr zu einem Gott, von dem wir uns entfernt hatten und zu dem wir zurückkehren wollen, einem Gott, der unserer Suche zuvorkam, indem er uns zuerst erwählt hat (vgl. Prol. 2,14; 58,8). Man überlese in diesem Satz nicht die Aufforderung zu Achtsamkeit. Anders gesagt, verlangt die von Benedikt empfohlene Prüfung vor allem aufmerksame Beobachtung. Der Text legt nahe, dass diejenigen, welche beobachten, die gesamte Gemeinschaft der Brüder umfasst. Dabei legen die vorhergehenden Erläuterungen der Regel nahe, dass ein erfahrener Mönch (senior), der Seeen zu gewinnen versteht (Novizenmeister) in besonderer Weise für diese Beobachtung zuständig ist.

Das Adjektiv, mit welcher Benedikt die Beobachtung charakterisiert, lautet „genau“. Diese Genauigkeit bezieht sich auf die Intensität, aber auch auf die Zeit. Denn was Klugheit und Menschenkenntnis nicht ergründen können, gelingt der Zeit ohne jede Mühe. Mit Verlauf der Zeit werden die Herzen offenbar. Der Gegenstand der genauen Beobachtung ist nicht die (unsichtbare) Einstellung des Kandidaten hinsichtlich des Klosterlebens, sondern sein (sichtbares) Verhalten und dies in dreifacher Hinsicht: die Hingabe an das Gebetsleben, die Annahme des Willens anderer Menschen und von allem, was den Stolz des Kandidaten mit Füßen tritt.

Wir müssen uns auch bewusst sein, dass es nicht nur um die Annahme von Gebet, Gehorsam und Demut geht, sondern um eine bedingungslose, leidenschaftliche Annahme, die von gutem Eifer erfüllt ist.

 

Opus Dei

Was das Opus Dei betrifft, so nimmt das Gebet darin die erste Stelle ein. Benedikt sagt hierzu ganz klar und ausdrücklich:

„Vor allem: wenn du etwas Gutes beginnst, bestürme ihn beharrlich im Gebet, er möge es vollenden“ (Prol. 4).

Und aus Sorge um die nötige Klarheit, damit auch ja kein Zweifel bleibe, heißt es: „Dem Gottesdienst (Opus Dei) soll nichts vorgezogen werden“ (43, 3). Opus Dei bezieht sich dabei auf das Stundengebet, aber auch in allgemeiner Weise auf das Grundbemühen, seine Aufmerksamkeit ganz Gott zu schenken (vgl. 19,1-2 ; 7,10ff.).

Praktischer Hinweis: Es geht nicht nur darum, den Eifer des Kandidaten hinsichtlich einer aktiven und bewussten Teilnahme am Gebet zu beobachten, sondern auch um seine allgemeine Art, wie er die Ratschläge der Ausbilder in die Praxis umsetzt, beispielsweise wie die Chorbücher benutzt werden, wie der Gesang erfolgt, das Studium, wie er mit Geschichte, Theologie, der Struktur des Stundengebets, der Mystagogie, dem Psalmengebet umgeht und ob sich der Geist mit dem Herzen in Einklang befindet.

 

– Gehorsam

Der benediktinische Gehorsam ergibt sich aus dem Gebet (vgl. 6,2), wodurch auch diesem ein gewisser Vorrang zukommt. Die erste Stufe der Demut ist ja Gehorsam ohne Zögern (5,1).

Die Forderung nach Gehorsam (mit Leidenschaft und gutem Eifer) betrifft nicht nur das Verhältnis zu den Oberen, sondern zu allen Mitbrüdern der Gemeinschaft (72,6). Dieser Gehorsam bringt uns Jesus Christus nahe, der gesagt hat: „Ich bin nicht gekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (7,32, womit Joh 6,38 zitiert wird).

Praktischer Hinweis: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es zwei Arten von Gehorsam bzw. Freiwilligkeit gibt:

– Gehorsam aufgrund von Zwang: man handelt aus Furcht,

– Gehorsam aufgrund von Überzeugung: man entscheidet sich aus freiem Willen für ein bestimmtes Tun.

Bei der ersten Form von Gehorsam wird die Freiheit durch Furcht vor Strafe bestimmt, bei der zweiten Form liegt tatsächlich freier Wille vor, der von der Vernunft bestimmt wird: Der Wille identifiziert sich mit dem frei geleisteten Gehorsam, wovon auch das päpstliche Schreiben Perfectae caritatis spricht.

 

Opprobria

Bei den sogenannten opprobria, den Demütigungen, greift Benedikt möglicherweise als Quelle auf die Basiliusregeln 6-7 zurück. Dort werden unter opprobria bescheidene und alltägliche Dienste verstanden, welche aus weltlicher Sicht Sklavenarbeit sind.

Benedikt hat bei dieser Weisung das gesamte Leben des Kandidaten im Blick, um ihm durch unvermeidbare Demütigungen dabei zu helfen, in der Demut zu wachsen (vgl. 7,44-54). Auf diese Weise gewöhnt sich der Kandidat daran, dem Christus ähnlich zu werden, der von sich sagt: „Ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“ und „Ich bin gekommen um zu dienen, nicht um bedient zu werden“ (Mt 11, 29 bzw. Mk 10,45).

Praktischer Hinweis: Natürlich geht es nicht absichtliche und gesuchte Demütigungen, sondern um die Annahme einer Lebensform, die von Dienstbereitschaft und Schlichtheit geprägt ist.

 

– Schlussfolgerung

Benedikt ist in seinen Anweisungen sehr konkret: Die Gottsuche äußert sich in der Absage des Egoismus und des Stolzes, da solche Haltungen einer Gemeinschaft mit Jesus Christus und dem Nächsten im Weg stehen. Zu beachten ist auch, dass die von ihm genannten drei Kriterien auch in den Stufen der Demut wiedergefunden werden können. So bezieht sich die erste Stufe der Demut auf das Verhältnis des Mönches zu Gott, die zweite bis vierte Stufe befassen sich mit dem Gehorsam und die fünfte bis achte Stufe beschreiben Formen der Selbsterniedrigung, also der freiwilligen Annahme von opprobria.

Aus uns unbekannten Gründen, vielleicht einfach aufgrund von literarischen Traditionen oder einer eigenen Pädagogik, nennt Benedikt nicht die Fähigkeit zu schweigen als Kriterium einer Berufungsfindung. Doch legen auf jeden Fall die Stufen 9 bis 12 der Demutsleiter dieses Erfordernis nahe.

Wenn man alles zusammenfasst, könnte man Benedikts Anforderungen an Klosterkandidaten in zwei Fragen verdichten: Will der Kandidat Christus folgen und ähnlich werden durch sein Gebet, seinen Gehorsam und seine Selbstverleugnung? Und sind sein Gebet, sein Gehorsam und seine Demut im Dienst einer echten Gottsuche?

 

Einhaltung der Regel

Das dritte herausgehobene Kriterium besteht in der Konfrontation mit der Regel, also den Lebensgewohnheiten der Gemeinschaft.

Benedikt sagt, dass sie dem Kandidaten drei Mal vollständig vorzulesen ist, bevor er seine Gelübde ablegt. Die Fähigkeit des Kandidaten, den Anweisungen der Regel geduldig zu folgen, ist ein weiteres Eignungskriterium (58, 9-16).

Praktischer Hinweis: Eine gehorsame und demütige Grundhaltung gilt für die gesamte Einhaltung der Regel. Es ist ein zusätzliches Kriterium, ob die Gottsuche echt ist. Neben der Benediktusregel sollte der Gehorsam auch die Lebensgewohnheiten seines Ordens umfassen, die in den Konstitutionen und Gebräuchen seiner eigenen Gemeinschaft konkretisiert werden.

 

Der gute Eifer

Der Aufnahmewunsch des Kandidaten ist untrennbar mit dem guten Eifer verbunden, der jeden auszeichnet, welcher sich von einem gottfernen Leben verabschieden und seinen Weg zu Gott hin ausrichten will. Daher finden wir im 72. Kapitel der Regel, das sich mit dem guten Eifer oder der brennenden Liebe befasst, weitere Kriterien, um seine Grundhaltung und sein Wachsen im übernatürlichen Leben besser einschätzen zu können.

Die dort genannten Kriterien für den guten Eifer können wie folgt zusammengefasst werden:

– sich gegenseitig respektieren (Ehre);
– sich gegenseitig unterstützen (Geduld);
– sich gegenseitig gehorchen (Gehorsam);
– sich selbst verleugnen, aber dem Nächsten treu bleiben (Selbstverneinung – Hingabe);
– sich gegenseitig lieben (in brüderlicher oder schwesterlicher Weise);
– Gott in Liebe fürchten (Anfang der Weisheit);
– den Abt aufrichtig lieben (Sohnschaft);
– dem eingeborenen Sohn nichts vorziehen (Christozentrismus).

Praktischer Hinweis: Ein Novize, der nicht gelegentlich ein wenig von Leidenschaft gepackt wird, selbst wenn diese übertrieben scheint, schwebt in der Gefahr, nur ein mittelmäßiger Mönch zu werden. Die Volksweisheit drückt es so aus: Neue Besen kehren gut und einen alten Esel bringt man nicht zum Galoppieren.

 

Abschluss

Es ist offensichtlich, dass die genannten Kriterien, vor allem der gute Eifer, nicht nur für den Kandidaten als Beurteilungsmaßstab seines Durchhaltevermögens gelten, sondern überhaupt den Weg der Benediktiner von der Zeit in die Ewigkeit.

Auch heute besitzt die Lehre unseres Ordensvaters bleibende Gültigkeit dank seiner engen Anlehnung an das Evangelium. Diese Lehre muss nicht nur berücksichtigt, sondern auch für die heutige Welt jeweils neu ausgelegt werden. Dabei kann die Fleischwerdung dieser Richtlinien sich auch ändern und einen bisher unbekannten neuen Sinn eröffnen.

 

* Vortrag beim Magistertreffen von ABECCA im Jahr 2019.