Benedikt XVI.
Aus der Rede
im Collège des Bernardins (Paris, 2008)
Da ist zunächst und als erstes ganz nüchtern zu sagen, dass es nicht die Absicht (der mittelalterlichen Mönche) war, Kultur zu schaffen oder auch eine vergangene Kultur zu erhalten. Ihr Antrieb war viel elementarer. Ihr Ziel hieß: quaerere Deum. In der Wirrnis der Zeiten, in der nichts standzuhalten schien, wollten sie das Wesentliche tun – sich bemühen, das immer Gültige und Bleibende, das Leben selber zu finden. Sie waren auf der Suche nach Gott. Sie wollten aus dem Unwesentlichen zum Wesentlichen, zum allein wirklich Wichtigen und Verlässlichen kommen. Man sagt darüber, daß sie „eschatologisch“ ausgerichtet waren. Aber das ist nicht in einem zeitlichen Sinn zu verstehen, als ob sie auf das Ende der Welt oder auf ihren eigenen Tod hingeschaut hätten, sondern in einem existentiellen Sinn: Sie suchten das Endgültige hinter dem Vorläufigen. Quaerere Deum: Weil sie Christen waren, war dies nicht eine Expedition in eine weglose Wüste, eine Suche ins völlige Dunkel hinein. Gott hatte selbst Wegzeichen ausgesteckt, ja, einen Weg gebahnt, den zu finden und zu gehen die Aufgabe war. Dieser Weg war sein Wort, das in den Büchern der heiligen Schriften vor den Menschen aufgeschlagen war. Die Suche nach Gott verlangt so von innen her eine Kultur des Wortes oder – wie Jean Leclercq es ausgedrückt hat: Eschatologie und Grammatik sind im abendländischen Mönchtum inwendig miteinander verbunden (vgl. L’amour des lettres et le désir de Dieu, S. 14).
Das Wort, das den Weg der Gottsuche öffnet und selbst dieser Weg ist, ist ein gemeinsames Wort. Gewiss, es trifft jeden einzelnen mitten ins Herz (vgl. Apg 2,37). Gregor der Große beschreibt dies wie einen jähen Stich, der unsere schläfrige Seele aufreißt und uns wachmacht für Gott (vgl. Leclercq, ebd., S. 35). Aber es macht uns so auch wach füreinander. Es führt nicht auf einen bloß individuellen Weg mystischer Versenkung, sondern in die Weggemeinschaft des Glaubens hinein. Und darum muß dieses Wort nicht nur bedacht, sondern auch recht gelesen werden. Wie in der Rabbinenschule, so ist auch bei den Mönchen das Lesen selbst des einzelnen ein zugleich körperlicher Vorgang. „Wenn aber legere und lectio ohne ein erläuterndes Beiwort gebraucht werden, dann bezeichnen sie meistens eine Tätigkeit, die wie Singen und Schreiben den ganzen Körper und den ganzen Geist ergreift“, sagt Jean Leclercq dazu (ebd., S. 21).