Nichodemus Ohanebo OSB
Kloster Ewu-Ishan (Nigeria)
Schwäche und Kraft
einer Klostergemeinschaft
An einer Stelle seines schönen Buches „Briefe aus der Wüste“ schreibt Carlo Caretto: „Gott erbaut seine Kirche aus Steinen, die so zerbrechlich sind wie wir selbst.“ Das beschreibt treffend die Erfahrungen, die ich in meiner Gemeinschaft mache. Ob ein Gotteshaus oder ein Teil des Leibes Christi gesund ist, hängt weniger von den Tugenden oder Schwächen der Mitglieder ab als vielmehr von Gott selbst, der darüber entscheidet, ob eine neue Gemeinschaft entstehen und eine Verbindung zwischen einem kleinen Teil und dem großen Leib Christi entstehen soll. Anders ausgedrückt: Nicht die zerbrechlichen Steine machen das Bauwerk stabil, sondern die Gottesliebe, die in diesen Steinen glüht.
Wie es sich gehört, will ich zunächst kurz etwas zu meinem Kloster sagen. Das Kloster St. Benedikt wird meist Kloster Ewu genannt, weil es auf einem Hügel oberhalb des Dorfes Ewu-Esan im südlichen Nigeria liegt. Wir gehören zur Kongregation von der Verkündigung. Zum Tagespensum zählen Stundengebet, Arbeit und Gastfreundschaft und vor allem das geteilte Gemeinschaftsleben. Doch was bedeutet das konkret?
Ohne hier in Grundsatzüberlegungen über das Klosterleben eintreten zu wollen, möchte ich ganz allgemein sagen, dass unsere Gemeinschaft aus gestandenen Männern besteht, bei denen man alle spontanen und normalen (manchmal auch unnormale) menschlichen Gefühle findet und das ohne jeden Abstrich. Da wir ganz konkret mit unserer Menschlichkeit konfrontiert werden, ist uns nur zu gut bewusst, dass die Bekehrung und die Disziplin der Mönche ihren Sinn hat. Jeden Moment gilt es aufs Neue, die Ohren des Herzens auf das Gotteswort auszurichten. So wie in jedem Winkel des Klosters alle möglichen Pflanzen sprießen, so schießen unter uns Mönchen von Ewu die Blumen der Menschlichkeit empor, die bei jedem entsprechend seiner Anlagen anders aussehen. Um die Mönche hier zu verstehen, müsste man beinahe ein Gedicht schreiben, das ganz schlicht wäre und sich vom ständig wechselnden Alltag inspirieren ließe. Denn unser Alltag in seiner Natürlichkeit und konkreten Wirklichkeit erklärt vieles in unserem Leben. Meine Mitbrüder sind in unterschiedlicher Weise rational oder spontan veranlagt oder beides zugleich. Insgesamt befindet sich die Gemeinschaft ständig im Umbruch und erfindet sich immer wieder neu.
Für mich bedeutet das Klosterleben in Ewu eine lebendige Erfahrung des christlichen Lebens, das einerseits natürlich, aber auch übernatürlich ist und zutiefst menschlich. Wenn man hier lebt, entdeckt man sich selbst oder entdeckt sich neu und das auf eine Weise, die über das äußerlich Sichtbare hinausgeht. Wir nehmen die Gebet, die Arbeit und das Studium ernst, achten dabei aber auch sehr auf die Eigenheiten jedes Mönches. Der eine braucht Hilfe, der andere weist viele Schwächen auf und wieder ein anderer geht seinen klaren Weg. Ein Beispiel für unseren Alltag: Bei einer Mahlzeit nahm einmal ein Novize den Platz neben dem Prior ein, da alle älteren Mönche abwesend waren. Nach dem Essen fragte man ihn, wie es ihm dabei ergangen sei. Er meinte, dass er sich gefühlt habe, als ob er zum Subprior ernannt worden sei. Alle lachten. In einer anderen Gemeinschaft hätte man über eine solche Antwort vielleicht nicht gelacht und ihn sofort entlassen, da er einen Mangel an Demut gezeigt habe. Bei uns in Ewu werden solche Vorkommnisse einfach hingenommen. Natürlich heißt das nicht, dass alle Auswüchse und Grenzüberschreitungen akzeptiert werden. Aber als Gemeinschaft unvollkommener Menschen erlauben wir auch, dass jedes Mitglied auf seine Weise die ihm gegebenen Saiten anschlägt und dabei mit besten Kräften sein Lied spielt, so wie es geheimnisvoll aus seinem Herzen und dem Alltag emporsteigt.
So finden wir in Ewu trotz Konflikten und Versöhnungen, Missverständnissen und Konfrontationen letztlich zu einer harmonischen Vision, welche die Unterschiede überbrückt. Dabei werden viele Wunden geheilt, aber manche bleiben auch sichtbar wie ein Narbe im Gesicht. Diese Gesichtsnarben halten der Gemeinschaft einen Spiegel vor und erinnern an die Folgen schlechter Entscheidungen. Wenn ich unser Gemeinschaftsleben betrachte und dabei meine eigene Schwäche berücksichtige, sehe ich bei jedem Mitbruder gewisse Grenzen und dennoch steckt in jedem ein potentieller Heiliger. Unsere Lebensweise erweckt in mir manchmal das Gefühl, dass wir dringend Hilfe benötigen und zugleich denke ich, dass wir auch anderen helfen könnten. Und das spirituell, psychologisch, medizinisch, emotional und sogar im sexuellen Bereich, also bei allem, wo sich Berührung und Unsagbares, das Konkrete und das Geheimnisvolle durchdringen.
Wer unter seinen eigenen Möglichkeiten bleibt, verweigert sich letztlich, in der Wahrheit und in der Tiefe Fortschritte zu erzielen. Wir Mönche in Ewu sind uns unserer Unvollkommenheit bewusst. In spiritueller Hinsicht müssen wir auch den Finger in diese Wunde legen, unsere Schattenseiten erkennen, ihnen einen Namen geben und sie ins Licht bringen, um sie so Gott vor dem Hintergrund unseres Ordenslebens anzuvertrauen. Nach meiner Aufassung suchen wir hier aufrichtig nach Gott, dem Vater Jesu. Das bedeutet aber auch, dass wir eine Gemeinschaft von Sündern sind. Wenn Sie also vollkommene Mönche treffen wollen, besuchen Sie uns besser nicht. Dennoch möchte ich nicht ausschließen, dass unter uns einige Heilige leben.
Das alles sage ich nicht, weil ich Werbung für Ewu machen möchte. Mir geht es lediglich um die nüchterne Feststellung, dass wir eine Gemeinschaft im Aufbruch sind und auf der Suche nach einem authentischen Leben, das aus der Mitte des Herzens und der konsequenten Gottessuche entspringt. Dabei durchlaufen wir Krisen wie jede menschliche Gruppierung, aber auch im Bemühen, unseren Alltag in Schlichtheit und Gewissenhaftigkeit zu bewältigen und immer auf der Suche nach unserer persönlichen Note und unserer individuellen Musik, die wir zum Lob Gottes erklingen lassen wollen. Letztlich wollen wir so in Harmonie mit dem großen Leib Christi leben. Täglich beten wir darum, dieses letzte Ziel zu erreichen, damit Christus in allem verherrlicht werde und er „uns alle zum ewigen Leben führe“ (RB 72,12).