Jean-Pierre Longeat OSB
Präsident der AIM

Reise nach Brasilien

November 2017

 

 

CIMBRA50ansMittwoch, der 22. November 2017: Aufbruch nach São Paulo, wo die Jubiläumsveranstaltung für das 50-jährige Bestehen von CIMBRA stattfindet, der Vereinigung, in der alle brasilianischen Klöster der Benediktinerfamilie zusammengeschlossen sind. Ich komme am folgenden Tag, den 23. November, in Kloster Vinhedo an, wo das Treffen stattfinden soll. Vinhedo liegt am Rande der Stadt in einem schönen Grünstreifen mit verschiedenen Gebäuden über einem größeren Gelände verteilt.

Die Hitze ist bereits beim Frühstück erheblich. Dort sehe ich einige bekannte Gesichter, die ich aus Rom oder anderen Treffen her kenne. Die Veranstaltung beginnt mit der Vesper, welche ein wenig erweitert ist mit einer Hymne zu Ehren der Jungfrau von Aparecida, der Landespatronin, und einer langen Litanei zum hl. Benedikt. Beim Abendessen können wir uns etwas besser kennenlernen. Ich begegne Sr. Teresa Paula aus dem Kloster Encontro, einer Gründung der belgischen Abtei Béthanie. Sie ist gebürtige Portugiesin, spricht aber fehlerfreies Französisch, nachdem sie einige Zeit Generalpriorin der Kongregation der Königin der Apostel war. Sie hat in verschiedenen Ländern gelebt und seit 1979 in Brasilien. In der Folge kann ich ihr Kloster besuchen.

Am Abend erlaubt uns eine Vorstellungsrunde ein weiteres Kennenlernen. Die Sekretärin von CIMBRA hat aus Archivbeständen eine Präsentation zusammengestellt, welche die vergangenen 50 Jahre in Erinnerung rufen. Anschließend ziehen wir uns zurück.

 

Freitag, 24. November

Die Laudes finden um 6.30 Uhr statt. Es folgt die Hl. Messe, welcher der frühere Zisterzienserabt und nunmehrige Bischof Amador Caetano vorsteht. Nach dem Frühstück findet eine Vollversammlung statt, bei welcher dieser Bischof den Eröffnungsvortrag hält. Seine Erfahrungen als Mönch, Abt, Präsident von CIMBRA und schließlich Bischof erlauben ihm einen weiten Blick auf die Hintergründe von CIMBRA seit ihrer Entstehung. Er legt Wert darauf, dass die geänderte Mentalität der heutigen Gesellschaft bei einer Weiterentwicklung unserer klösterlichen Strukturen mehr berücksichtigt werden solle. CIMBRA selbst sieht er als eine Konsequenz des II. Vatikanischen Konzils, was ihm sehr wichtig ist. Er lädt dazu ein, konsequent zwischen wesentlichen, nebensächlichen und unwichtigen Fragen zu unterscheiden. Seine Beschreibung der augenblicklichen Lage der Klöster sind weiterführend und nützlich für die Gemeinschaften. Dabei müsste man natürlich noch die Wege aufzeigen, wie sich die Gemeinschaften modernisieren können, ohne ihre Identität zu verlieren.

Am späten Nachmittag fand eine Podiumsdiskussion, bei der vier Personen ihre Sicht von CIMBRA darstellten: eine Schwester mit europäischem Hintergrund (die schon erwähnte Benediktinerin von Kloster Encontro), ein junger Trappist, der mehrere Weiterbildungsveranstaltungen von CIMBRA besucht hatte, eine Tutzinger Schwester, die vielfach mit CIMBRA zusammengearbeitet hatte, und der Prior von Kloster Vinhedo.

 

CarteBresilSamstag, 25. November

Der morgendlichen Messe steht der Präsident der Brasilianischen Kongregation, Abt Filipe da Silva von Kloster São Bento in Rio de Janeiro vor. Ich werde in den folgenden Tag sein Kloster besuchen. Die folgenden Sitzungen beginnen mit einer Einstimmung durch Abt Bernardo Bonowitz vom Trappistenkloster Novo Mundo und Vizepräsident von CIMBRA. Sein anregender Vortrag nennt einige konkrete, aber auch spirituelle Zielvorgaben für die kommenden Jahre. Anschließend folgten verschiedene Workshops über anstehende Aufgaben von CIMBRA. Es gibt viele Vorschläge, wobei aber die Teilnehmer vor allem die Weiterführung der bisherigen Tätigkeit wünschen.

Am Nachmittag entwirft zunächst die Präsidentin von CIMBRA, Mutter Lucia Parreiras Horta, ihre Zukunftsvision. Die Äbtissin des Klosters von Salvador de Bahia zeigt sich dabei gleichzeitig sensibel und energisch. Danach ist die Reihe an Abtprimas Gregory Polan, der das Jubiläum von CIMBRA zur Teilnahme und zum Besuch einiger brasilianischer Klöster nutzt. Sein Vortrag setzt sich mit dem Klosternachwuchs auseinander und hat als Anliegen, dass die Klöster nach einer neuen Dynamik suchen, um attraktiver zu werden. Er schlägt dafür klosterinterne Diskussionen in kleinen Gruppen vor. Diese sollen sich mit Themen des Gemeinschaftslebens, aber auch der persönlichen geistlichen Erfahrung auseinandersetzen. Wie er erläutert, hätte das seine eigene Gemeinschaft erheblich vorangebracht.

Am Abend nehmen wir an der ersten Vesper von Christkönig der Gemeinschaft von Vinhedo teil. Wir ziehen feierlich in Prozession in die Kirche ein. Bei unserem Einzug ertönen gewaltige Orgelklänge und ein Kirchenchor sang abwechselnd mit den Mönchen das Officium. Die Gemeinschaft besteht aus 25-30 Mönchen. Abt Bernardo Bonowitz steht der Vesper vor, die schlicht und erhebend wirkte. Wir alle freuen uns über diese Momente des Gebets.

Anschließend folgt ein Abendessen im Refektorium mit allen Mönchen, von denen viele recht jung sind. Das Gespräch verläuft sehr offen. Die Mahlzeit besteht aus Pizza und leckeren Desserts. Mir gegenüber sitzt ein Mönch, der früher Zahnarzt war, ein anderer war Berufstänzer von Samba, Tango und anderen schönen südamerikanischen Tänzen. Nach dem Essen soll ich mit Abtprimas Gregory weiterfahren zum Kloster São Geraldo, das in São Paulo liegt. Aber zu dieser späten Stunde fehlt mir die Lust für eine lange Autofahrt. So bleibe ich über Nacht im Kloster und werde am folgenden Tag mit dem öffentlichen Bus nach São Paulo fahren. Dort soll ich in São Geraldo nach einer Jubiläumsmesse einen Festvortrag halten.

 

Sonntag, 26. November

In der Nacht geht mir der Inhalt meines geplanten Vortrags durch den Kopf. Irgendwie bin ich damit nicht recht zufrieden. Beim Aufwachen gegen ca. 5.30 Uhr beginne ich nochmals alles neu zu schreiben. Nach der Laudes und dem Frühstück schließe ich mit der Neufassung ab und springe gegen 8.00 Uhr in den Bus.

Messe in São Geraldo: Die feierliche Messe wird von Kardinal Orani João Tempesta, dem Erzbischof von Rio de Janeiro, zelebriert, auch er ein ehemaliger Zisterzienserabt. Die Benediktinergemeinschaft von São Geraldo besteht lediglich aus ungefähr einem Dutzend Mönche, dafür sind die Bauwerke äußerst imposant. Auch eine renommierte Schule mit ca. 2000 Schülern gehört dazu. Bei der Messe ist die Kirche vollständig gefüllt. Der Mönchschor bietet die gregorianischen Choräle dar, wobei sich die Liturgie beträchtlich in die Länge zieht.

cimbraconfNach der Eucharistie erhält jeder ein Glas in die Hand gedrückt und kann sich eine Ausstellung in einem Saal ansehen, wo die letzten 50 Jahre des brasilianischen Mönchtums und von CIMBRA dokumentiert werden. Anschließend begeben wir uns in einem Vortragssaal mit 300 Plätzen, wo Mönche, Nonnen, Schwestern und zahlreiche Oblaten Platz nehmen, welche meinen Vortrag über die Zukunft des monastischen Lebens hören möchten. Ich nenne in meinen Überlegungen sieben Punkte, die mir für die Gegenwart und Zukunft wichtig scheinen. Dabei stütze ich mich auf die Arbeit der Internationalen Kommission von AIM, die dazu ein Dokument verfasst hat, das eine innere Neuaufstellung des Klosterlebens empfiehlt. Nach der Konferenz begeben wir uns ins Refektorium, um an einem Festmahl teilzunehmen, das von der Schulküche vorbereitet wurde.

Anschließend fahre ich nach Vinhedo zurück, wo ich am Nachmittag ankomme. Nach einer kurzen Ruhepause gibt es um 18.30 Uhr das Abendessen und dann geht es zum Flughafen von Campinas. Ich fliege von dort aus mit Abt Bernardo Bonowitz und Äbtissin Liliana Schiano Moriello von Boa Vista nach Curitiba, um dann in der Nacht zum Kloster Novo Mundo weiterzufahren. Gegen halb ein Uhr Nachts langen wir dort an und fallen sofort ins Bett, um am folgenden Tag einigermaßen frisch zu sein.

 

Montag, 27. November

NovoMundoDas Frühstück nehme ich mit einem Laien im Gästetrakt ein. Die Mönche sind ausgesprochen besorgt um das Wohlergehen jedes Einzelnen. Man erlebt in Männergemeinschaften eher selten so viel Aufmerksamkeiten. Nach dem Frühstück führt mich der Novizenmeister durch das Kloster und seine Außenanlagen. Der äußere Rahmen ist beeindruckend. Die Gebäude befinden sich inmitten eines Grundstücks von ungefähr 100 Hektar Wald und Felder. Das Kloster liegt vollständig isoliert und in einer Atmosphäre der Stille. Die Gebäude wurden in zwei Phasen errichtet: zunächst in der Gründungszeit um 1979 mit Ziegelbauten und Gängen, welche die Gebäude verbinden. Eine zweite Bauphase begann vor ungefähr zehn Jahren mit Baulichkeiten, die recht modern wirken, sich aber gut einfügen. Die Kirche wurde damals zu klein für die Gläubigen, zumindest am Sonntag. Die Mönche vergrößerten sie damals, so dass sie nun für ungefähr 200 Gläubige reicht. Ziemlich klein ist weiterhin das Gästehaus.

Die ganze Anlage wirkt ausgesprochen schlicht, ist hell und geschmackvoll konstruiert. Die Einnahmen kommen überwiegend aus der Landwirtschaft, die von zwei Angestellten und den Mönchen selbst betrieben wird. Die Gemeinschaft besteht aus ungefähr 25 Mönchen, die überwiegend recht jung sind. Ein amerikanischer Gründermönch lebt noch mit, der zwar bejahrt, aber rüstig und schlagfertig ist. Dem Noviziat fehlt es nie an Kandidaten. Ich bin beeindruckt vom Klima des Zuhörens und Respekts, das überall spürbar ist. Für das Mittagessen wird im Freien ein Festessen in Form eines Picknicks geboten. Ein lebhaftes Gespräch entwickelt sich und am Schluss bieten uns mehrere Gruppen Gesänge oder andere Programmpunkte dar.

 

Dienstag, 28. November

EncontrocteAm Vormittag, nach Laudes, Eucharistiefeier und Frühstück, begeben wir uns zum Kloster Encontro. Dort werde ich ausgesprochen herzlich von den ungefähr zwölf Schwestern begrüßt, aus denen die Gemeinschaft besteht. Das Kloster wurde von der belgischen Abtei Béthanie (Loppem) gegründet. Alle Schwestern sprechen Französisch, was mir das Leben ziemlich erleichtert. Ich bin positiv überrascht von der Freiheit und Lebensfreude der Schwestern. Nachdem ich mich im Gästebereich einquartiert habe, begleitet mich die Priorin durch das Kloster, dessen Architektur mich beeindruckt: Es sind Gebäude, die lebendig wirken. Der bekannte brasilianische Künstler Cláudio Pastro hat bei der Planung der Anlage mitgewirkt und war hier besonders gerne zu Besuch. Auf bildliche Umsetzungen des Motivs der Begegnung, also der Darstellung Jesu im Tempel, dem Patronat des Klosters, stößt man überall. Die Priorin teilt mir mit, dass man für ein gelingendes Klosterleben viel Raum braucht, um sich nicht ständig auf die Füße zu treten. Wenn man das so sieht, ist die Anlage von Kloster Encontro sehr gelungen.

Das Mittagessen nehmen wir gemeinsam im Refektorium ein. Wie so oft in Brasilien ist die Küche hervorragend. Nachmittags gibt es eine Austauschrunde mit dem Konvent. Dort werde ich gebeten, dass ich nochmals die Ausführungen vortrage, die ich vor zwei Tagen in São Geraldo gehalten habe. Doch kürze ich alles etwas ab und rege vor allem praktische Übungen zum Thema Gemeinschaft an. Die Atmosphäre ist entspannt und mehrere Schwestern bekunden ihre Bereitschaft, sich mit diesem Thema in der vorgeschlagenen Weise auseinanderzusetzen. Nach Vesper und Abendessen gibt es eine Rekreation mit der Gemeinschaft. Die Schwestern interessieren sich für alles, und es macht Freude, sie so natürlich und lebendig zu erleben.

 

Mittwoch, 29. November

Die Messe findet um 6.00 Uhr morgens nach den Laudes statt. Nach dem Frühstück nehme ich Abschied von den versammelten Schwestern, die ich als ausgesprochen geschwisterliche Gemeinschaft erlebt habe. Angefangen von Sr. Marie-Chantal, die ungeachtet ihrer 99 Lebensjahre Begeisterung und eine unglaubliche Lebensfreude ausstrahlt, bis zur jüngsten Kandidatin, die gerade ihr Postulat mit großer Entschlossenheit, aber auch vielen Fragen begonnen hat. Der Abschied ist brasilianisch von überströmender Herzlichkeit. Das Flugzeug startet um 10.40 Uhr, doch die Straßen sind etwas verstopft, so dass wir zum Flughafen rasen. Sr. Maria-Paula sitzt am Steuer, die ich schon von ihrem Studium in Kloster Vanves/Paris kenne.

SBRioJaneiroDas Flugzeug erreicht Rio de Janeiro ohne Zwischenfälle. P. Matias Fonseca de Medeiros aus der Abtei São Bento holt mich am Flughafen ab. Wir fahren in sein Kloster, die eine wahre Festung des 17. Jahrhunderts darstellt und unmittelbar ans Meer angrenzt, wo ein großer Marinestützpunkt liegt. Das Kloster ist ein beliebtes Touristenziel und wird von 300 Angestellten betreut. Überall hörbar sind die Geräusche der Großstadt. In geringer Entfernung sieht man Flugzeuge auf dem kleinsten Flughafen Rios landen und aufsteigen. Nach dem Mittagessen und einer Siesta führt mich P. Matias durch die Klosteranlage. Alles recht schön. Die Barockkirche enthält zahlreiche vergoldete Holzschnitzereien, welche die Mauern überdecken.

Danach kann ich mich noch ein wenig ausruhen, bis die Vesper beginnt, die vollständig auf Lateinisch gesungen wird. Die Gemeinschaft besteht aus ungefähr 30 Mönchen, darunter eine Reihe junger Menschen. Abt Filipe da Silva ist ein ausgesprochen friedfertiger Charakter, der liturgische Rhythmus der Gemeinschaft ist sehr erholsam. Ich treffe mich mit dem früheren Abt P. José Palmeiro Mendes, an den ich mich noch von den römischen Äbtekongressen her erinnere und von seinen Aufenthalten in der Pariser Abtei Marie de la Source, wo er während seiner Frankreichbesuche unterkam.

Nach der Vesper begeben wir uns zum Abendessen in einem schön proportionierten Refektorium. Das Essen ist sehr vielfältig und gut zubereitet. Als Tischlektüre hören wir das Buch von Kardinal Sarah über das Schweigen. Nach dem Essen versammeln wir uns in einem Gemeinschaftsraum, um uns über die Arbeit von AIM auszutauschen. Die Fragen kommen aus allen Richtungen und man fragt mich sogar über die Lage des Mönchtums in Westeuropa aus. Wir sprechen über Vietnam, Indien, Afrika und viele andere Themen. Dann beten wir die Komplet, die mit einer Prozession zur Statue der Unbefleckten Empfängnis endet, wobei eine Marienlitanei gebetet wird.

 

Donnerstag, 29. November

RioCrecheAm Fest des hl. Andreas begeht P. Matias sein goldenes Professjubiläum. Die Messe wird vom Kardinal-Erzbischof von Rio, Orani Tempesta OCist, geleitet. Es konzelebrieren zwei seiner Weihbischöfe, dann der frühere Abt von São José do Rio Pardo, Paulo Celso Demartini OCist, der Prior von Santa Rosa, Cristiano Collart sowie Abt Filipe und die Mönche der Abtei. Bei dieser Gelegenheit kann ich P. Matias auch meine mitbrüderliche Anteilnahme und meinen Dank für seine Mitarbeit an der portugiesischen Ausgabe des Bulletins ausdrücken.

Nach dem Frühstück kommt eine Oberin der örtlichen Gemeinschaft der Tutzinger Missions-Benediktinerinnen und begleitet mich zu einer favela, einem Elendsviertel, wo die Schwestern eine Kinderkrippe und Schule betreuen. Der Aufstieg zur favela taucht uns in eine seltsame Atmosphäre ein. Im Viertel leben ungefähr 80.000 Menschen, wobei es sich um die ruhigste favela Rios handelt. Der Besuch in der Kinderkrippe zeigt mir, wie die Schwestern mit Laien zusammenarbeiten, was mich sehr beeindruckt. Gerne würde ich den ganzen Tag dort verbringen, was der enge Zeitplan nicht erlaubt. Nach zwei Stunden geht es weiter, wobei die Erfahrung noch lange in mir weiterklingt. Anschließend geht es zum Haus, in dem die Schwestern leben, welche eine Schule mit insgesamt 300 Schülern betreuen. Ich nehme mit den ungefähr zehn Schwestern das Mittagessen ein. Danach besuchen wir die Schule. Die Schwestern bereiten gerade einen Zuschussantrag an AIM vor, weil sie einige Umgestaltungen vornehmen wollen. Wir unterhalten uns länger über diese Maßnahmen. Am späten Nachmittag kehre ich in die Abtei São Bento zurück.

 

Freitag, 1. Dezember

SBSBahiaNach Laudes, Eucharistiefeier und Frühstück geht es wieder zum Flugplatz mit Ziel Salvador da Bahia. Dort komme ich gegen 12.00 Uhr an und werde von zwei Mönchen der Erzabtei São Bento erwartet. Das Kloster liegt mitten im Zentrum der historischen Altstadt und ist die Heimat für ungefähr 30 Mönche. Das imposante Gebäude erhebt sich inmitten eines Armenviertels. Der Rundgang durch die Anlage am Nachmittag ist beeindruckend. Allein der Zellengang erstreckt sich über 98 Meter. Jedes der drei Stockwerke enthält einen solchen langen Korridor. Davon beherbergt eines die Verwaltung, ein weiteres den Gästetrakt und ein drittes eben die Zellen der Mönche. Eine ganze Reihe von Räumen wird als Lagerraum genutzt oder steht einfach leer. An das Kloster angeschlossen ist eine Schule. Das Kloster wird auch von vielen Touristen besucht. Die schöne Bibliothek ist für die öffentliche Nutzung zugänglich. Es gibt zahlreiche Angestellte.

Ich nehme in der ausgesprochen nüchternen Kirche in klassizistischem Stil an der Vesper teil. Zur der Barockkirche São Bento in Rio de Janeiro liegen Welten. Anschließend esse ich mit der Gemeinschaft zu Abend. Es handelt sich um ein Festessen zu meinen Ehren mit weißen Servietten, Wein und verschiedenen Gängen. Das Ganze wird umrahmt von einer ausgesprochen mitbrüderlichen Atmosphäre. Ich hatte bereits bei den römischen Äbtekongressen oft Gelegenheit, Erzabt Emanuel d’Able do Amaral zu treffen, als er noch Präses der Brasilianischen Kongregation war. Er hat eine schlichte und umgängliche Art, so dass man mit ihm offen über jedes Thema reden kann. Er legt mir herzlich nahe, bald wiederzukommen und wenigstens eine Woche in seiner Gemeinschaft zu verbringen. Nach dem Abendessen breche ich auf, um mich ans andere Ende der Stadt zu begeben, wo ich zwei Tage bei den Benediktinerinnen verbringen werde. Auch dort erwartet mich ein herzlicher Empfang.

 

Samstag, 2. Dezember

SalvadorDanseDer neue Tag ist randvoll gefüllt. Zunächst bringt mich nach Laudes und Frühstück Äbtissin Vera Lucia Parreiras Horta zur Tanzschule, welche die Schwester für die armen Kinder ihres Viertels eröffnet haben. Das Kloster befindet sich am Rand einer favela, wo wie in vielen anderen die Gewalt alltäglich ist. Die Tanzschule, welche das Kloster eingerichtet hat, erlaubt den Jungen und Mädchen, sich körperlich und geistig anders auszudrücken. Ich wohne an einigen Vorführungen bei, bei denen Gruppen von Jugendlichen klassische Tänze darbieten.

Danach begleitet mich die Äbtissin zu einem Katechesekurs. Dort bereiten die teilnehmenden Kinder eine Weihnachtsaufführung vor. Auch die Eltern sind anwesend. Die Umgangsformen sind herzlich und offensichtlich ist diese Art von Kontakt für alle Familien angenehm und tröstlich. Ich begrüße jedes Kind einzeln und dann gehen wir auch schon wieder, weil ich für 10.30 Uhr mit Marie verabredet bin. Dabei handelt es sich um eine gute Freundin aus meiner Heimat, die sich schon früh für ein radikales Leben in den Armenvierteln von Brasilien entschieden hat. Hier lebt sie als Ärztin und stellt sozial und pastoral viel auf die Beine. So hat sie ein Marionettentheater erfunden, bei dem vieles spielerisch vermittelt wird.

Es ist ein langer Weg bis zur favela, wo sie wohnt. Wir kommen an vielen Stadtvierteln vorbei und überall kann Marie viele Geschichten erzählen. Ich bewundere, wie sie als Europäerin (die überdies immer noch ihren regionalen Akzent von der Limousin beibehalten hat) sich derart in eine andere Kultur einleben konnte. Schließlich kommen wir an. Marie lebt in einer engen Straße, die steil nach oben führt. Das Auto muss ziemliche Kunststücke vollbringen, um irgendwo sicher zu parken.

Wir betreten ihr Haus, das sie sich originell eingerichtet hat. Es ist einerseits sehr schlicht entsprechend dem Gesamtcharakter des Viertels, aber auch wieder geschmackvoll gestaltet. Es besitzt sogar einen kleinen Garten mit Eremitage, in der ich mich etwas ausruhen kann. Wir sprechen viel über das Leben in der favela, ihre Arbeit mit Kindern, über viele Erfahrungen von Nächstenliebe, die man auch im tiefsten Elend noch finden kann. Marie kam nach Brasilien aufgrund einer Einladung von Dom Helder Camara. Sie sollte nur zwei Jahre bleiben, aber nun ist ein ganzes Leben daraus geworden.

Nach meiner Rückkehr ins Kloster nehme ich an der Eucharistiefeier teil, bei der an einen verstorbenen brasilianischen Priester gedacht wurde, der wegen seines pastoralen, künstlerischen und sozialen Engagements hier in der Diözese Bahia sehr geschätzt wurde. Der Messe steht der Weihbischof der Diözese vor und eine Reihe von Priestern konzelebriert. Die zahlreichen Gläubigen nehmen in ausgesprochen aktiver Form an der Eucharistie teil.

Anschließend folgt die Vesper des ersten Adventssonntags. Der Beginn von Advent wird in Brasilien mit großer Inbrunst begangen. Ich bin dankbar für diese neue spirituelle Erfahrung. Abends teile ich mit den Schwestern eine festliche Mahlzeit im Refektorium.

 

Sonntag, 3. Dezember

Am folgenden Tag soll ich die Sonntagsmesse mit einem Mönch von São Bento konzelebrieren. Dieser kommt allerdings zu spät und man befürchtet, dass er gar nicht mehr kommen wird. Er ist im Verkehrschaos der Stadt gestrandet. Die Äbtissin fragt mich, ob ich nicht die Messe auf Französisch feiern will, sie würde alles übersetzen. Schließlich kommt der Priester doch noch hinzu. Auf jeden Fall hat mir diese französisch-portugiesische Messe mit Simultanübersetzung durch eine Frau gezeigt, dass Eucharistie auch anders gefeiert werden kann: mit mehr Arbeitsteilung, mehr Absprachen und in weit natürlicherer Form.

ItapecericaSofort nach der Messe geht es nach Itapecerica da Serra, wo sich das Frauenkloster Nossa Senhora da Paz befindet. Dort leben ca. 30 Schwestern, die einen grauen Habit und einen langen, sehr gepflegten Schleier tragen. Es handelt sich um eine Gründung der Abtei Santa-Maria in São Paulo. Wir begeben uns unverzüglich in den Kapitelsaal, wo der Austausch mit der Gemeinschaft stattfinden soll. Der Saal ist beeindruckend, vor allem da die Schwestern dort schon in einer langen Reihe nebeneinander sitzend auf mich warten. Es beginnt ein Gespräch in ausgesprochen herzlicher Atmosphäre mit allen möglichen Fragen und Kommentaren. Dieser Austausch geschieht in aller Offenheit lässt ein schönes Gefühl der Gemeinschaft entstehen. Anschließend begeben wir uns in die Vesper, die nach dem Schema B des benediktinischen Officiums gefeiert wird. Dazu erklingen einige Gesänge aus dem gerade neu erschienenen monastischen Antiphonale.

Nach der Vesper findet ein feierliches Abendessen statt mit weißen Servietten und einem vorbildlichen Tischdienst durch drei Nonnen. Was mich im Kloster von Itapecerica am meisten beeindruckt, ist die Liebe zum Detail. Alles ist in perfekter Ordnung sowohl von der Einrichtung her als auch von der Form.

 

Montag, 4. Dezember

Am Morgen besichtigen wir das Kloster. Der architektonische Entwurf und die Gebäudeaufteilung sind perfekt. Dazu sei gesagt, dass die Gemeinschaft dem großen Künstler Cláudio Pastro als Freund und dann als Oblate verbunden war.* Seine Werke hängen überall im Kloster, das er beim Entwurf der Klostergebäude umfassend beraten hat. Nach seinem Tod im Jahr 2016 wurde er in der Nähe der Klosterkirche begraben. Während seiner letzten zehn Lebensjahre lebte er in der Nachbarschaft des Klosters. Sein eigenes Haus war gleichfalls in erstaunlich ausgeklügelter Weise als Miniaturkloster entworfen. An meinem Rundgang durch die Klausur nehmen alle Schwestern teil. Die geschwisterliche Atmosphäre ist schon sehr beeindruckend und der Abschied entsprechend herzlich.

Nun geht es gegen Ende des Vormittags zum Mittagessen und einem Besuch zu den Schwestern von Santa Maria, dem ersten Nonnenkloster der brasilianischen Benediktinerinnen im 20. Jahrhundert. Sie kamen ursprünglich aus dem Stadtzentrum von São Paulo, wo es ihnen zu laut wurde. Sie zogen daher an den gegenwärtigen Ort um, wo sie zurückgezogen leben können. Das Kloster ist in moderner Betonbauweise vom selben Architekt wie in Vinhedo errichtet.

StaMariaSPauloBei meiner Ankunft versammelt sich die Gemeinschaft mit der erst vor einigen Jahren gewählten Äbtissin Escolástica Ottoni de Mattos. Sie hat in Paris studiert und dabei auch in Vanves gewohnt, wo AIM das Studentinnenwohnheim finanziert hatte. Wir kannten uns daher schon und freuten uns über das Wiedersehen. Mutter Escolástica hat der Gemeinschaft eine neue Dynamik verliehen, welche an Überalterung und Perspektivenlosigkeit litt. Inzwischen haben sich einige jüngere Schwestern der Gemeinschaft angeschlossen.

Wir nehmen im Schweigen das Mittagessen im Refektorium ein. Es erklingt lediglich eine Tischmusik, nämlich das Oboenkonzert von Albinoni. Darüber freue ich mich sehr, weil ich gerade dieses Stück besonders mag. Ich bin geradezu glücklich, dass ich es gerade hier in diesem Rahmen hören darf. Die Mahlzeit ist bestens zubereitet von hoher Qualität, aber auch schlicht.

Danach besuchen wir im Eiltempo die Anlage, worin sich auch eine gut ausgestattete Bibliothek befindet mit Lesetischen, die vor großen Glasfenstern einen schönen Blick in die Natur bieten. Dann geht es ins Kapitel für den Austausch mit der Gemeinschaft. Ich bitte darum, dass einige Schwestern ihre Berufungsgeschichte erzählen. Dadurch ergibt sich ein eindringlicher und anregender Blick auf die Sitution der brasilianischen Gemeinschaften, wo sehr viel Unterschiedliches zusammenkommt. Wir hätten diesen Austausch noch lange fortführen können, aber dann ist die Zeit auch schon abgelaufen. Die Äbtissin führt mich noch durch die Werkstätten, wo unter anderem Schokolade und Liköre hergestellt werden, dann geht es zum Flughafen, den ich schwer beladen mit Geschenken erreiche. Wenn es geht, sollte ich zurückkommen, um noch andere Aspekte dieses gewaltigen Landes kennenzulernen.

Beim Rückblick auf diesen ersten Besuch gehört zu den ungewöhnlichsten Erfahrungen, dass viele brasilianische Gemeinschaften auf mehrere Jahrhunderte Geschichte zurückblicken. Daher hat sich bei allen ein reiches materielles und spirituelles Erbe angesammelt. Dieses reiche Erbe hilft ihnen, aber andererseits behindert es auch eine Erneuerung inmitten einer Gesellschaft, die in schnellem Wandel begriffen ist. Die Klöster der nördlichen Halbkugel teilen diese Erfahrung und sogar noch in gesteigerter Form mit entsprechenden Konsequenzen. Brasilien verfügt zwar noch über viele jüngere Ordensleute und einige Neugründungen, die sehr dynamisch wirken, doch ist das nicht der Regelfall. Europa und Nordamerika befinden sich zwar in weit gravierenderen Erneuerungsprozessen, aber auch Brasilien bewegt sich auf eine solche Situation zu, da auch dort die Säkularisierung, der Vorrang materieller Werte und der Erfolg der evangelikalen Bewegungen zunimmt. Neue Initiativen sind gefragt, um der monastischen Bewegung in dieser neuen Welt zusätzlichen Schwung zu verleihen.

 

* Zu Cláudio Pastro vgl. den Nachruf in AIM Bulletin 112 (2017), S. 69-73.