DIE ZUKUNFT DES MÖNCHTUMS UND DIE ROLLE DER AIM
Generalabt Mauro-Giuseppe Lepori OCist.
Mauro-Giuseppe Lepori ist Zeuge der Entwicklung der Gemeinschaften, die zum Zisterzienserorden gehören, dessen Generalabt er ist. Hier bringt er sein Verständnis der Situation zum Ausdruck und betont die Notwendigkeit einer wirklichen Solidarität zwischen den Klöstern jeder Kongregation, jedes Ordens und sogar zwischen den Orden. Die AIM kann hierbei eine wichtige Rolle spielen.
Eine große Familie
Wenn ich über Gegenwart und Zukunft meines Zisterzienserordens nachdenke, dann sind mir die einfachen Worte sehr im Gedächtnis, die mir Papst Benedikt XVI nach meiner Wahl als Generalabt gesagt hat, als das Gremium des Generalkapitels bei ihm zu einer Audienz war: ‚Ihr seid eine große Familie.‘ Am Ende des Kapitels sagte ich zu diesem Thema: „Wir sind eine große Familie. Die wahre Natur einer Familie ist nicht, dass sie eine Gruppe von Personen ist, die nur auf sich selbst bezogen sind, um ihren eigenen Kreis und die eigenen Interessen zu verteidigen. Die wahre Natur einer Familie ist, dass sie ein Glied in einer Kette von Generationen ist, das heißt, dass sie eine Gruppe von Personen ist, die sich hervorbringen lassen, um ihrerseits hervorzubringen. Und diese Generation durchschreitet ein Leben in Gemeinschaft, in dem die Mitglieder einander lieben, einander erziehen, und sich selbst der Fruchtbarkeit öffnen. Die Familie ist ein Ort des gemeinsamen Lebens und Arbeitens, um in einer immer wahreren und ungeschuldeten Liebe zu wachsen, ein Ort, an dem man gemeinsam daran arbeitet, immer mehr in der Erkenntnis der Wahrheit zu wachsen, zu wachsen in der Erfahrung der Güte, in der Betrachtung der Schönheit. Und all das bringt das Wachsen in der Einheit mit sich, das Wachsen in der Gemeinschaft, die es der Wahrheit, der Liebe und der Schönheit ermöglicht, ein Lebensstrom zu sein, der zwischen den Personen fließt und sich auf die Welt überträgt. Der hl. Benedikt bietet uns an und verlangt von uns, in dieser Erfahrung zu wachsen , in der Christus auf den Durst unseres Herzens nach Glück antwortet, auf der persönlichen Ebene, auf der der einzelnen Gemeinschaft und auf der Eben des Ordens. Uns als „eine große Familie“ zu definieren bedeutet nicht, unsere Größe zu berechnen, sondern sich bewusst zu machen, dass - auch wenn wir nur klein und gebrechlich sind – Gott uns dazu aufruft, zu wachsen im Geschenk unseres Lebens für das Reich Gottes, das Einheit und Rettung der unermesslich großen Menschheitsfamilie ist; und das durch den Tod hindurch, da in Christus das Gesetz des Lebens bereits das Ostergeheimnis ist“ (Rede am Ende des Generalkapitels 10. September 2010)
Im Verlauf der drei Jahre als Generalabt wurde mir bewusst, dass die Situation meines Ordens nicht so ganz einfach ist. Auch wenn wir aus Anlass des Generalkapitels und anderer Treffen der Obern sehr schöne Augenblicke der Gemeinschaft und des Austausches erleben, wurde mir die Tatsache bewusst, dass wir noch sehr weit davon entfernt sind, wirklich eine große Familie zu sein. Die Vorschläge des emeritierten Papsts sind mehr eine Aufgabe, die es zu erfüllen gilt, als eine Wirklichkeit, die schon erreicht wurde. Gebe Gott, dass es ein prophetisches Wort war! Eines ist sicher: ‚Eine große Familie‘ zu sein ist immer, und wird immer eine Arbeit bleiben, eine Aufgabe, auf die man sich unaufhörlich einlassen muss; eine Berufung, auf die wir immer wieder neu antworten müssen; eine Baustelle, auf der ständig gearbeitet werden muss, von jeder Generation, um auf neue Herausforderungen zu antworten, die die Lebenswirklichkeit unserer Tage uns aufgibt. Oft ist die Versuchung groß, den Mut zu verlieren und aufzuhören, an ein gemeinsames Ideal im gesamten Orden zu glauben. Vielleicht hat bereits die Trennung zwischen den Zisterziensern des gemeinsamen Lebens und den Zisterziensern der strengeren Observanz etwas Entscheidendes für unsere Identität, für unser Charisma gebracht. Tatsächlich war der Zisterzienserorden einer der ersten, der sich voll dessen bewusst war, dass er, sogar juristisch, eine große Familie von Klöstern und Gemeinschaften ist. Die Carta Caritatis gehört zu unserem Charisma, vielleicht sogar mehr als das Verlangen, die Regel des hl. Benedikt treuer zu befolgen als sie in Cluny befolgt wurde.
Das Charisma der demütigen Liebe
Der Wunsch, besser als andere zu sein, ist niemals ein christliches Charisma. Ein Charisma ist dann christlich, wenn es zwei grundsätzliche Charakteristika aufweist: Demut und Liebe. Vielleicht war es genau der Augenblick, als wir zu fixiert waren auf die Observanz, auf den Vergleich mit anderen, dass wir unser Charisma verlassen haben, weil wir uns von der Demut und Liebe entfernt haben, die die Einheit, Gemeinschaft und Freundschaft zwischen Klöstern nähren, was – zumindest dem Wunsche nach – zisterziensische Gemeinschaften der ersten Jahrzehnte ausgemacht hat.
Nach Zusammenbrüchen, die an der Observanz, an Krisen, und Teilungen festgemacht wurden, fing der Heilige Geist wiederum an, das Charisma neu zu stärken, uns zu ihm zu rufen. So wurde es möglich, dass auch in der neuen Form eine religiöse Familie, ein Orden, bei aller menschlicher Zerbrechlichkeit und historischen Einflüssen in der Lage war, es wieder aufzunehmen. Es ist aber wichtig nie aus dem Blick zu verlieren, dass wir, um ein Charisma zu leben und es in der Kirche fruchtbar zu machen, uns so oder so zu einer menschlichen und liebenden Gemeinschaft wandeln müssen. Manchmal – ja vielleicht oft – waren Krisen und Perioden der Unsicherheit von Personen, Gemeinschaften und Orden Zeiten der Gnade, um die Quelle menschlicher Liebe wieder freizulegen, die die Gemeinschaft stärkt. Trotzdem kann das nur dann geschehen, wenn wir es uns verwehren, an den Ruinen der Macht und an verletztem Stolz festzuhalten, die schwer genug auf uns lasten könnten, um uns auf den Boden des Abgrunds sinken zu lassen.
Diejenigen, die meinen, alleine gut zurechtzukommen, enden oft damit, dass es schief geht, auch wenn sie das nicht zugeben wollen. Das habe ich in den letzten drei Jahren oft beobachtet. Bei Gemeinschaften, die denken, dass es ihnen gut geht, weil sie Berufe, Erfolg, Wohlstand haben, und deshalb meinen, dass sie andere Gemeinschaften nicht bräuchten, kommt es über kurz oder lang zu ruinösen Abstürzen und Katastrophen. Allein zu arbeiten ist schlecht arbeiten; das wird durch die Theologie des hl. Paulus über den mystischen Leib Christi deutlich. Ein Glied kann das edelste, das schönste am Leib sein, aber wenn es sich von ihm trennt, stirbt es und verwest. Andererseits wird ein schwaches und verwundetes Glied, das am Leib bleibt, weiterleben und immer vom Leib Lebenskraft und Verjüngung erhalten.
Heute hat monastisches Leben im Grunde alles, was nötig ist, damit Klöster Teil einer großen Familie sein können und Orte und Sauerteig im Reichtum und in der Verschiedenheit der Charismen. Aber es hat nicht die Strukturen, um das durchzusetzen. Jedem, der hört, der annimmt und um Hilfe bittet, wird geholfen werden und er wird gut weitermachen können, auch wenn er vor großen Problemen steht. Jeder, der nicht hört, der es vorzieht, allein zu gehen und zufrieden mit dem ist, was er allein bewältigt, wir wirklich allein bleiben, ausgeliefert an seine eigene Zerbrechlichkeit und seine eigenen Probleme, besonders wenn er sie gar nicht sehen will. Wie der hl. Paulus an die Korinther schreibt: „Wer also zu stehen meint, gebe acht, dass er nicht fällt.“ (1 Kor 10,12)
Gemeinschaft des Hörens und der Formation
Die große Herausforderung des Mönchtums unserer Tage ist es, wie auch für die gesamte Kirche, die Herausforderung der Freiheit der Berufung. Der hl. Benedikt lehrt uns, dass Gehorsam aus dem Hören auf die Wahrheit erwächst, die uns im Wort Gottes und der Kirche eint. Die Aufgabe der Obern ist es, dass das Wort Gottes „die Herzen seiner Jünger wie Sauerteig göttlicher Heilsgerechtigkeit“ durchdringt (RB 2), das heißt, ein Wort der Freiheit, das die Freiheit von Menschen herausfordert, so dass es ihnen hilft und sie dazu bringt, der Wahrheit mit ihrem ganzen Leben zu gehorchen, indem sie Christus in Liebe folgen. Das gilt für eine bestimmte Gemeinschaft genauso wie für den gesamten Orden. Es scheint mir heute dringender denn je, dass jede Gemeinschaft und jeder Orden insgesamt durch ein gemeinsames Unterrichten gestärkt wird, weil das im Laufe der Zeit eine Einheit in den Absichten, den Meinungen (Eph 4,15) schafft, das heißt, sich auf eine Gemeinschaft der Wahrheit in sich selbst und in gegenseitigen Beziehung zuzubewegen. Oft schafft ein Orden es nicht, das in den eigenen Reihen zu kultivieren, sei es aus strukturellen, kulturellen, historischen oder anderen Gründen, die immer durch menschliche Zerbrechlichkeit gekennzeichnet sind. Deshalb ist eine enge und transparente Zusammenarbeit zwischen den Zentralorganen der verschiedenen Orden und der AIM sehr wichtig. Ja, ich denke, dass es die wesentliche Rolle der AIM wird und immer sein sollte, uns zu helfen, die ‚Wahrheit in Liebe‘ zu tun!
Wir sind immer am Anfang
Abschließend möchte ich die letzte Zeile der Regel des hl. Benedikt aufgreifen. Das ist vielleicht der Ausgangspunkt, von dem aus sich unser monastisches Leben immer bewegen sollte, wenn es treu bei seinem Charisma bleiben und einer fruchtbaren Zukunft sicher sein möchte. Benedikt hat eben von den Beispielen und Unterrichtungen der Väter des monastischen Lebens gesprochen. Sie sollen uns zu einem heroischen Leben einer strengen Askese anregen. Aber Benedikt darf kein Träumer sein; er hat vor seinen Augen die Menschen dieser Zeit, Mönche und ihre Gemeinschaften. Natürlich wäre es schön, wenn wir alle Heilige wären, Vorbilder des monastischen Lebens. Aber Menschen sind menschlich, und Christus kam, um alle Menschen zu retten und ihnen eine Leben in Überfülle anzubieten. So scheint der hl. Benedikt streng und über unsere Zerbrechlichkeit empört zu sein. Aber in Wirklichkeit glaubt er mehr an Barmherzigkeit als an Strenge, mehr an Liebe als an asketische Vollkommenheit. Am Ende der Regel bringt er uns auf den Weg, auf dem wir Christus nachfolgen, zu einem Neuanfang, der immer möglich und immer richtig ist, weil die Vollkommenheit der Lehre und der Tugend, die wir erlangen müssen, auf uns zukommt, um uns in Christus zu treffen, der mit uns auf dem Wege ist. ‚Wir aber sind träge, leben schlecht, sind nachlässig und müssen deshalb vor Scham erröten. Wenn du also zum himmlischen Vaterland eilst, wer immer du bist, nimm diese einfache Regel als Anfang und erfülle sie mit der Hilfe Christi. Dann wirst du schließlich unter dem Schutz Gottes zu den oben erwähnten Höhen der Lehre und der Tugend gelangen. (Amen)!‘ (RB 73)